Guter Ruhm, schlechter Ruhm
Der Film »Dream Scenario« von Kristoffer Borgli ist ein kurzweiliges Genre-Mashup über öffentliche Aufmerksamkeit und Geltungsdrang
Von Benjamin Wißing
Paul Matthews ist ein Durchschnittstyp, wie sich Hollywood Durchschnittstypen vorstellt: verheiratet, zwei Kinder, Einfamilienhaus und ein in allen Facetten ereignisarmes Leben. Als Professor der Biologie unterrichtet er an einem mittelmäßigen College, sein größtes Problem ist die fehlende Anerkennung durch die wissenschaftliche Welt. Der Durchbruch steht jedoch kurz bevor, da ist er sich sicher, wenn er nur endlich einen Verlag für sein großes Buch über Ameisen finden würde, das er seit 20 Jahren plant. Die Durchschnittlichkeit seines Lebens erfährt ein jähes Ende, als er immer mehr Menschen in ihren Träumen erscheint. Was er dort tut? Nichts. Während sich die Träumenden in einer bedrohlichen Situation wiederfinden, ist Paul lediglich als passiver Beobachter zugegen. Seine unspektakulären Auftritte haben in der realen Welt weitreichende Auswirkungen. Plötzlich und ohne je etwas dafür getan zu haben, geht er viral. Er genießt die Aufmerksamkeit in vollen Zügen und will seinen Ruhm dazu nutzen, um endlich auch als Wissenschaftler ernst genommen zu werden. Als sein Traum-Ich sich aber aus der Passivität löst und die Betroffenen mit brutalen Übergriffen nachhaltig traumatisiert, wird er von der gefeierten Berühmtheit zur verhassten Persona non grata, auch das, ohne je etwas getan zu haben.
Unterhaltung mit Lücken
Regisseur Kristoffer Borgli (»DRIB«, »Sick of Myself«) gelingt mit seinem englischsprachigen Debüt ein unterhaltsamer Film, der sich ungeniert an den Genres Fantasy, Sci-Fi, Horror und Komödie bedient und diese auf kluge Weise zusammenführt. Da stört es auch kaum, dass die Erzählung manchmal sehr schnell vorangetrieben wird. So plötzlich, wie Paul in den Träumen seiner Mitmenschen auftaucht, erst nichts tut und dann zur Albtraumversion wird, so unvermittelt verschwindet er auch wieder. Eine Erklärung, wie dieses Phänomen zustande kommt, bleibt der Film schuldig. Ohnehin ist es eher die Figur des Paul Matthews selbst (herausragend gespielt von Nicolas Cage), die eine genaue Betrachtung wert ist. Borgli, der sich ebenfalls für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, vollzieht mit seinem Protagonisten das Kunststück, einen sehr passiven Charakter in den Mittelpunkt der Erzählung zu stellen. Im Prinzip geschieht der Figur alles nur, und sie verhält sich bis zum Mittelpunkt des Films ausschließlich reaktiv. Was einem*einer Autor*in wohl von jeder*jedem Produzent*in um die Ohren gehauen werden würde, funktioniert in »Dream Scenario« hervorragend und ist letztendlich mit einer der Gründe, warum die*der Zuschauer*in im Kinosessel von Minute zu Minute mehr Empathie mit Paul aufbauen kann.
Ein passiver Charakter im Mittelpunkt der Erzählung: Das funktioniert hervorragend.
Hinzu kommt der zutiefst unentschlossene und widersprüchliche Charakter, der den Protagonisten zugänglich macht und sehr menschlich erscheinen lässt. Pauls Reaktionen und die wenigen Aktionen sind fast immer das genaue Gegenteil von dem, wie er eigentlich gerne reagieren würde. Selbst seine geäußerten Wünsche und Überzeugungen wirft er innerhalb von wenigen Szenen über den Haufen. Während er im Meeting mit einer Werbeagentur noch verlauten lässt, dass er an Ruhm keinerlei Interesse habe, so preist er seiner Ehefrau in der nächsten Szene die Zusammenarbeit mit einem großen Softdrinkhersteller als den Durchbruch an, um endlich berühmt und erfolgreich zu werden. Es sind vor allem solche Szenen, in denen sich die Inkonsequenz der Figur Paul in aller Deutlichkeit zeigt, die unterhaltsam und auch lustig sind.
So viel der Film in dramaturgischer Hinsicht richtig macht, so nichtssagend ist die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Thema. Merkwürdig unentschlossen werden den Zuschauenden immer wieder kurze Häppchen hingeworfen, die eine kritische Betrachtung von Ruhm in Zeiten des kollektiven Bewusstseins sozialer Medien jedoch nur vorgaukeln. Vielfach wirkt das aufgesetzt, etwa wenn im letzten Akt das Phänomen von einem Tech-Unternehmen weiterentwickelt wurde und nun dazu dient, um mit sogenannten Dreamfluencern Werbung direkt in das Unterbewusstsein der Menschen zu projizieren. Der Gedanke, dass der Kapitalismus nicht einmal vor dem Höchstpersönlichen, den Träumen, Halt macht, um Umsatz zu akkumulieren, ist ein völlig veritabler, wirkt als Teil des Films jedoch plakativ und taugt eher als kurzer Gag, denn als wirklich kritische Auseinandersetzung. Wäre man böswillig, könnte man Borgli zudem vorwerfen, eine Einteilung in guten, weil durch Leistung erworbenen und schlechten, weil nicht verdienten Ruhm vorzunehmen. Er versäumt es, grundlegend zu hinterfragen, ob das Streben nach individueller Anerkennung im gesellschaftlichen Maßstab überhaupt einen positiven Aspekt beinhaltet oder nicht viel mehr hierin einer der mannigfaltigen Gründe für persönliches und gesellschaftliches Unglück liegt.
Dream Scenario. USA 2023. 102 Minuten. Regie: Kristoffer Borgli.