Gereizte Stimmung, hohe Erwartungen
Bei den Tarifverhandlungen für den kommunalen Nahverkehr kämpfen ver.di und Klimabewegung gemeinsam – die Busfahrer Mustafa Ekit und Gökhan Sert sind mittendrin
Von Alix Arnold
Am 1. März waren Fridays for Future und ver.di wieder zusammen auf der Straße. FFF hatte zum bundesweiten Klimastreik aufgerufen und ver.di im Rahmen der Tarifverhandlungen für den kommunalen Nahverkehr (TV-N) zu Warnstreiks in fast allen Bundesländern. Die Kampagne #WirFahrenZusammen hat in den letzten Monaten wortwörtlich an Fahrt aufgenommen. In 57 Städten gab es gemeinsame Streiks und Demonstrationen mit ver.di. FFF waren insgesamt in 118 Städten unter dem Motto »Gute Arbeit und Mobilität für alle« auf der Straße. Die Leipziger Verkehrsbetriebe hatten versucht, dieses Bündnis juristisch auszubremsen, und eine einstweilige Verfügung gegen den »politischen Streik« eingereicht. Das örtliche Arbeitsgericht bewertete den Streik jedoch als zulässig.
In dem Block mit den gelben ver.di-Streikwesten liefen in Köln neben Beschäftigten der Kölner Verkehrsbetriebe auch streikende Kolleg*innen aus dem Einzelhandel mit, deren Tarifverhandlungen seit acht Monaten festgefahren sind. Dass ver.di branchenübergreifend zu Streiks aufruft und die Kolleg*innen auf der Straße zusammenbringt, war bislang ähnlich ungewöhnlich wie der Zusammenschluss von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften.
Bei der Tarifrunde TV-N geht es um Entlastung der Kolleg*innen im öffentlichen Nahverkehr. Schon jetzt fehlt es überall an Personal, weil unter den gegenwärtigen Umständen niemand mehr die Jobs machen will. Mit dem Aktionstag wurden die miserablen Arbeitsbedingungen bundesweit von den Medien aufgegriffen. Überall zeigt sich das gleiche Bild: ein kaputtgesparter Nahverkehr, Ausfälle durch defekte Fahrzeuge und fehlendes Personal, Überstunden und immer mehr Stress für die verbliebenen Beschäftigten. »Wir sind am Limit«, meint Mustafa Ekit, der vor 16 Jahren als Busfahrer bei der Kölner KVB angefangen hat. Er ist Vertrauensmann, seit fast sieben Jahren Betriebsrat und in verschiedenen Gremien aktiv. »Die Stimmung ist gereizt, und die Erwartungen sind hoch, dass für die Mitarbeiter was rauskommen muss. Sonst werden noch mehr das Handtuch schmeißen«, so Mustafa.
Keine Zeit, sich auf den Senkel zu gehen
Sein Kollege Gökhan Sert ist seit drei Jahren Busfahrer. Davor hat er 15 Jahre bei Ford in der Produktion gearbeitet. Bei seiner Entscheidung, von der Autoindustrie zu den Kölner Verkehrsbetrieben zu wechseln, hat neben der unsicheren Zukunft der Autoindustrie auch der Wunsch eine Rolle gespielt, mit seiner Arbeit etwas für die Allgemeinheit und für den Klimaschutz zu tun, damit auch seine Kinder noch eine lebenswerte Zukunft haben. Dass er bei Klimastreiks Reden halten und vor Fernsehkameras sprechen würde, hat er damals wohl noch nicht geahnt.
Körperlich war der Wechsel von der Bandarbeit in den Fahrdienst eine Verbesserung. »Aber ich habe unterschätzt, wie belastend die seelische Komponente ist«, erklärt Gökhan. »Wir tragen Verantwortung für zigtausende Menschen, nicht nur in unseren Fahrzeugen, sondern auch darum herum. Der Berufsverkehr in dieser Millionenstadt ist sehr anstrengend, und der Stress schlägt irgendwann auf den Körper um. Aber die größte Belastung ist die Freizeiteinbuße.« Gökhan rechnet vor, wie wenig Zeit ihm neben der Arbeit bleibt. Wegen des Personalmangels sind Neun-Stunden-Schichten inzwischen die Regel. Die Schichten enden oft weit entfernt vom Anfangspunkt, was zusätzliche (unbezahlte) Fahrzeiten bedeutet. Wenn er den Dienst im Norden der Stadt beginnt und im Westen beendet, ist er 13 Stunden von zuhause fort. Bei sieben Stunden Schlaf bleiben gerade mal vier Stunden für alles andere. »Am schlimmsten ist es für mich, wenn meine Kinder mich fragen, wo ich denn bin.«
Der Fahrdienst gilt als der härteste Job bei den Kölner Verkehrsbetrieben. Mustafa betont jedoch auch die Macht, die sie haben: »Ohne Busfahrer geht es nicht. Wir können bei der KVB die besten IT-Manager und die besten Informatiker haben. Aber wenn die Jungs und Mädels die Busse und Bahnen nicht fahren, dann läuft nichts, dann haben alle ein Problem.«
Dass Leute, die gar nichts mit uns zu tun haben, frühmorgens zu uns kommen, mit uns auf die Straße gehen und sich die Kehle aus dem Hals schreien, das ist doch faszinierend.
Mustafa Ekit
Wie organisieren sich die Kolleg*innen, die den größten Teil ihrer Arbeitszeit alleine hinter dem Steuer sitzen und sich wegen der unterschiedlichen Schichten manchmal monatelang nicht sehen? »Wir haben eine sehr gute Community«, erklärt Mustafa. »Wir haben Verbindung über Telefon und WhatsApp. Die 27 Vertrauensleute haben verschiedene Gruppen mit bis zu 100 Leuten. Wenn ich eine Nachricht zum Streik verschicke, haben das in zehn Minuten alle bei der KVB. Und wenn ich bei der Arbeit eine Frage habe, sind da 100 Leute, die mir antworten können. Aber es hat sehr lange gedauert, das aufzubauen.«
Die Fahrer*innen arbeiten jeweils sechs Tage am Stück und haben dann zwei Tage frei. Alle sechs Wochen haben sie ein langes Wochenende. Mustafa berichtet, dass manche bewusst in dieselbe Schichtgruppe gingen, um sich an dem einen Wochenende auch privat treffen zu können, mit ihren Familien. Gökhan sieht aber gerade in der Einsamkeit des Jobs einen Grund, warum sie sich gut verstehen: »Früher habe ich 15 Jahre lang jeden Tag dasselbe Gesicht gesehen. Irgendwann hat man nichts mehr zu bereden. Wenn ich jetzt an einem Hauptknotenpunkt, wo wir Ablösung haben, einen Kollegen treffe, den ich lange nicht gesehen habe, dann unterhalten wir uns, über die Arbeit, die Familie, was wir erlebt haben, aber wir haben gar keine Zeit, uns gegenseitig auf den Senkel zu gehen.«
»Ich fahr’ Porsche«
In der derzeitigen Tarifkampagne sind die Fronten verhärtet. Nach zwei Verhandlungsrunden gibt es immer noch kein diskutables Angebot. Statt auf die Forderungen nach Entlastung einzugehen, stellte der Kommunale Arbeitgeberverband Gegenforderungen: Die Beschäftigten sollten produktiver sein und auf freiwilliger Basis 43 Stunden pro Woche arbeiten. Alte Regelungen wie ein Kündigungsschutz nach langer Betriebszugehörigkeit sollten gestrichen werden. Beide Kollegen sagen, dass sie eine solche Dreistigkeit noch nie erlebt haben.
Die Kampagne #WirFahrenZusammen wird von manchen Kolleg*innen bei der KVB sehr kritisch gesehen. Immer wieder wird auf die »Klimakleber« geschimpft, manche brechen das Gespräch mit einem trotzigen »Ich fahr’ Porsche« ab. Mustafa setzt auf Kommunikation. Bei den Busfahrer*innen hat er auch die skeptischen überzeugt, dass diese Zusammenarbeit mit der Klimabewegung eine gute Sache für beide Seiten ist: »Ich habe immer gesagt, wir müssen auf die Straße gehen. Hier hinter dem Zaun sieht uns keiner. Und dass Leute, die gar nichts mit uns zu tun haben, frühmorgens zu uns kommen, mit uns auf die Straße gehen und sich die Kehle aus dem Hals schreien, das ist doch faszinierend.«
Gökhan sieht das ähnlich. »Die Kampagne ist für mich etwas sehr Besonderes«, sagt er, »weil wir es in der heutigen Zeit, die weltweit von Egoismus und Spaltung geprägt ist, schaffen, als zwei große Organisationen, FFF und ver.di, Gemeinsamkeiten zu finden und uns gegenseitig zu stärken. Vielleicht bringen wir damit die Regierung und den Kommunalen Arbeitgeberverband dazu zu verstehen, dass bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV nicht nur in unserem Interesse sind. Die Menschen, die wir befördern, sind teilweise abhängig von uns. Sie wollen das Auto stehen lassen oder können sich keines leisten. Sie brauchen einen verlässlichen ÖPNV. Investitionen sind jetzt definitiv nötig.«
Ob es mit der dritten Verhandlungsrunde Mitte März wie geplant zu einem Vertragsabschluss kommt, ist zurzeit nicht abzusehen. Aber auch nach dem Ende der Tarifrunde soll die Zusammenarbeit weitergehen. Mustafa würde gerne mit Kolleg*innen, auch aus anderen Betrieben, und gemeinsam mit Aktivist*innen gegen den Rassismus im Betrieb vorgehen, mit dem sie sowohl von Kolleg*innen als auch vonseiten der Fahrgäste konfrontiert sind. Als er vor sieben Jahren auf der ver.di-Liste kandidierte, wurde versucht, im Betrieb Stimmung gegen »den Türken« zu machen. Er wurde gewählt und war bei den Kölner Verkehrsbetrieben der erste Betriebsrat mit Migrationshintergrund. Aber er erinnert sich noch gut an die Hetze: »Es hieß, der Türke will auf dem Betriebshof Nord eine Moschee bauen, der will die türkische Nationalflagge hier anbringen, der wird nur für die Türken da sein. Plötzlich war ich nicht mehr Mustafa, sondern ›der Türke‹. Diesen Rassismus spüre ich immer noch. Dagegen wurde nichts Effektives unternommen.«
Geschichten aus dem »Busleben«
Die Busfahrer*innen werden bei der Arbeit oft beschimpft, für den maroden Zustand des ÖPNV verantwortlich gemacht, respektlos behandelt oder auch rassistisch angegriffen. Mustafa erzählt eines der vielen Beispiele aus seinem »Busleben«: »Ein Schulmädchen hatte den Halteknopf nicht gedrückt und beschwerte sich, weil ich an ihrer Haltestelle vorbeigefahren war. Bei der nächsten Gelegenheit hielt ich an und ließ sie aussteigen. Ein Fahrgast hinter mir meckerte, sie sollte doch zurückgehen in das Dorf, wo sie herkommt. Daraufhin zog ich die Handbremse, machte den Motor aus, packte meine Tasche, und sagte dem Mann ›Fahren Sie doch selbst, ich komme aus demselben Dorf‹. Alle haben applaudiert. Damit habe ich ein Zeichen gesetzt. Dem Fahrgast habe ich gesagt: ›Sie fahre ich nicht mehr weiter‹. Der Herr ist dann ausgestiegen, ich habe das der Leitstelle gemeldet, und die sagte: ›Alles gut‹.«
Auch andere Kolleg*innen wehren sich erfolgreich gegen rassistische Diskriminierung. Es würde sich sicher lohnen, diese Geschichten zu sammeln und zu verbreiten. Zunächst geht es aber noch um die Unterstützung der Kolleg*innen bei ihren Forderungen nach Entlastung. Ohne bessere Arbeitsbedingungen wird es keinen Ausbau des ÖPNV geben. Der Ausgang der laufenden Tarifrunde ist damit auch für die dringend nötige Verkehrswende von großer Bedeutung.