Nicht nur eine Frau
Die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters war in der DDR kurzzeitig in aller Munde, heute ist sie zu Unrecht vergessen
Von Nane Pleger
In der DDR erschien 1954 ein Roman, der zu einem kuriosen Kassenschlager wurde. Das Buch hat eine Protagonistin, die an einer real existierenden Frau aus der Vergangenheit orientiert ist. Eine Frau, die so gar nicht in das marxistisch-leninistische Geschichtsbild der DDR passen wollte. Der Titel des Historienromans »Nur eine Frau« von Hedda Zinner klingt bescheiden. Doch das reale Vorbild war nicht irgendeine Frau, sondern eine, deren Kämpfe bis heute nachwirken. Zinner erzählt von den jungen Jahren der bürgerlichen Vertreterin der ersten deutschen Frauenbewegung, Louise Otto-Peters.
1819 in Meißen, Sachsen geboren, wächst Otto-Peters in liberal-bürgerlichen und wohlhabenden Verhältnissen auf. Unbeschwert kann sie ihre Zeit zur Bildung nutzen. Damals völlig untypisch für Mädchen und junge Frauen. Denn zum einen gehörte der Großteil der Mädchen des 19. Jahrhunderts dem Proletariat an und musste schon im Kindesalter arbeiten, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen; eine allgemeine Schulpflicht gab es noch nicht. Zum anderen war es selbst den bürgerlichen Mädchen verwehrt, eine höhere Bildung zu erhalten. Nach dem zwölften Lebensjahr war Schluss für sie – auch für Louise Otto-Peters, die sich danach aber autodidaktisch und unterstützt durch den Zuspruch ihres Elternhauses weiterbildete.
Ein Besuch 1840 bei ihrer Schwester im Erzgebirge, die einen Großindustriellen geheiratet hatte, wurde zum Wendepunkt ihres Lebens. Dort wurde sie mit der bitteren Realität ihres Jahrhunderts konfrontiert: Sie sah die Arbeiter*innen, die im erbarmungslosen industriellen Kapitalismus ausgebeutet wurden. Otto-Peters wandte sich angesichts dieses Elends nicht ab und erkannte: Gerade Frauen litten unter den unmenschlichen Arbeitsbedingungen am stärksten. Sie begann zu schreiben, und das Schreiben wurde ihr eine Waffe, um für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. 1846 veröffentlichte sie den Roman »Schloss und Fabrik« – ein literarischer Text, der eine Vorreiterrolle einnahm. Frühzeitig nutzte Otto-Peters das Medium Roman, um Gesellschaftskritik zu üben und von prekären Verhältnissen zu erzählen, denen ansonsten kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
1840 der Wendepunkt: Louise Otto-Peters wurde mit der bitteren Realität des industriellen Kapitalismus konfrontiert.
Sie fing zudem an, in Zeitungen Artikel zu publizieren, in denen sie sich für die Rechte der Frau und besonders der Arbeiterinnen einsetzte. Im revolutionären Jahr 1848 schrieb sie: »Meine Herren – wenn Sie sich mit der großen Aufgabe unsrer Zeit: mit der Organisation der Arbeit beschäftigen, so wollen Sie nicht vergessen, daß es nicht genug ist, wenn Sie die Arbeit für die Männer organisiren, sondern daß Sie dieselbe auch für die Frauen organisiren müssen.« Als ihren Texten selbst in linken Publikationen nicht genügend Platz eingeräumt wurde, gründete sie 1849 kurzerhand selbst eine Zeitung: die Frauen-Zeitung. Louise Otto-Peters war damit eine der ersten Frauen, die eine politische, sozialkritische Zeitung herausgab.
Wahrscheinlich war ihr Einsatz für die Arbeiter*innen der Grund, warum Zinners Roman und dessen gleichnamige DEFA-Verfilmung 1958 in der DDR so erfolgreich waren. Auch 66 Jahre später lohnt es sich, diesen Film zu sehen. Denn leider ist Louise Otto-Peters heute doch »nur eine Frau«, die wie viele andere Frauen, in den Abgrund des Vergessens gerutscht ist. In Westdeutschland kam in ganzen neun Geschichtsschulbüchern der Name Louise Otto-Peters vor, meist als knappe Erwähnung im Kontext der ersten Frauenbewegung. In der DDR flachte das Interesse nach dem Hype um »Nur eine Frau« ab, ihr Name schaffte es in kein einziges Lehrbuch. In der Forschung wird das zum einen mit ihrem bürgerlichen Hintergrund erklärt, aber auch mit der generellen nachlässigen Betrachtung der »Frauenfrage«.
Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat sich daran kaum etwas geändert. Weder im Geschichts- noch Deutschunterricht werden Otto-Peters Geschichte und Geschichten behandelt. In der Wissenschaft ist sie nur in kleinen Expert*innenkreisen bekannt. Dabei kann man von ihr und ihren Kämpfen viel lernen. Sie organisierte sich in einer Zeit, in der alles darangesetzt wurde, dass Frauen zu Hause oder in der Fabrik ein Einzelschicksal fristen sollten.
Warum also künftig zum Beispiel den internationalen Frauenkampftag nicht als Anlass nehmen und sich mit Louise Otto-Peters und ihrem Erbe beschäftigen? Der Film bietet einen guten Zugang und ist gleichzeitig herrlich komisch, wenn das Umfeld der Bourgeoisie von Otto-Peters durch die Brille der DDR gezeigt wird. Für diejenigen, die lieber lesen, hat Kiepenheuer&Witsch tatsächlich in diesem Jahr das kleine Büchlein »Wenn die Zeiten gewaltsam laut werden« mit Originaltexten von ihr herausgebracht. In einem Text heißt es: »Was aber diejenigen, welche die gesellschaftlichen Zustände mit aufmerksamem Auge betrachteten, längst in die Welt hinausriefen: dass die einzige Rettung in dem Wahlspruch der Humanität liege: ›Alle für Alle!‹«