Warten auf Marty und Rust
Der Erfolg von »True Detective« baute wesentlich auf Männlichkeitskrisenkult. Jetzt haben Frauen übernommen – kann das funktionieren?
Von Nelli Tügel
Ein einziges Mal zeigt sich die Sonne. In der allerersten Szene der Thriller-Serie »Night Country« liegt ein Jäger – gespielt von dem großartigen grönländischen Schauspieler Angunnguaq Larsen – noch bei Tageslicht auf der Lauer, um Karibus zu schießen. Diese wittern etwas, das ihnen so große Angst macht, dass sich die ganze Herde in einen Abgrund stürzt. Dann geht die Sonne unter – und die wochenlang anhaltende Polarnacht beginnt.
Der Rest der sechsteiligen Miniserie spielt sich in der Dunkelheit ab. Im Norden Alaskas, nahe der fiktiven Stadt Ennis, deren wirtschaftlicher Mittelpunkt eine dubiose Mine ist, werden im Eis sieben nackte, in groteskem Grauen erstarrte Wissenschaftler gefunden. Der Fall scheint in Zusammenhang mit dem Jahre zurückliegenden Mord an Annie Kowtok (gespielt von der ebenfalls grönländischen Schauspielerin Nivi Pedersen) zu stehen, deren Zunge damals entfernt wurde und nun auf der Forschungsstation, an der die toten Wissenschaftler tätig waren, wieder auftaucht. Die Polizistin Evangeline Navarro (Kali Reis), die den Fall nie hat aufklären können, ermittelt gemeinsam mit Ex-Kollegin Liz Danvers (Jodie Foster). Beide haben – wie ungefähr jeder Cop in der Geschichte des TV – ein ganz schön schweres Päckchen mit sich herumzutragen und blicken regelmäßig nicht nur in den Abgrund des Falls, sondern auch des eigenen Lebens. Gut gefilmt, mittelmäßiger Plot, tolle Schauspieler*innen und wunderschöne (arktische) Kulisse: eine Serie also, die unter normalen Umständen wahrscheinlich nicht übermäßig viel Aufmerksamkeit erhielte. Doch die Umstände sind nicht normal. Denn »Night Country« ist die vierte Staffel von »True Detective«.
Das, wonach sich die Fans von »True Detective« so sehr sehnen, kann selbst Jodie Foster nicht bieten.
Als vor zehn Jahren die erste Staffel lief, war das ein aufsehenerregendes Ereignis. Die Kritiken waren überwältigend positiv. Das Genre sei neubegründet worden, hieß es nahezu einhellig. Die schauspielerischen Leistungen von Woody Harrelson und Matthew McConaughey als Marty Hart und Rust Cohle seien grandios und so weiter. Die Serie erlangte – einer im Vergleich mit zeitgleich erschienenen Thrillern eher einfallslosen Geschichte zum Trotz – rasend schnell Kultstatus. Seither wartet die Fangemeinde auf eine würdige Nachfolge der anthologisch konzipierten Reihe, in der in jeder Staffel ein neues Duo an einem neuen Ort ermittelt. Die zweite (gar nicht so üble) Staffel galt gemeinhin als Totalreinfall, die dritte – mit Mahershala Ali in der Hauptrolle – als zufriedenstellend, hauptsächlich deshalb, weil Konzept und Story aus der ersten Staffel kopiert wurden, nur dass die Sümpfe Louisianas durch die Kornfelder von Arkansas ersetzt wurden.
Nostalgie für Männer
Weil man das nicht noch ein weiteres Mal machen konnte, Drehbuchautor Nic Pizzolatto aber offenbar auch keine anderen Einfälle mehr hatte, wurde zur Rettung von »True Detective« etwas ganz Gewagtes ausprobiert: Frauen. Issa Lopéz als Autorin, Foster und Reis als Hauptdarstellerinnen und eine ganze Reihe weiterer weiblicher Nebenfiguren. Mit großem Tamtam wurde dies alles im Vorfeld des Serien-Launches bekannt gegeben. Groß waren die Erwartungen und fast schon peinlich die Stoßseufzer der Erleichterung, nachdem der erste Teil draußen war. »Nach Sekunden weiß man: Diesmal klappt es«, hieß es etwa in der FAZ, ganz so, als hätte sich beim Autor eine tagelange Verstopfung gelöst und er nicht gerade nur Krimifernsehen geschaut.
Aber: Klappt »es« auch wirklich? Die mit jeder (wöchentlich) erscheinenden Folge eisiger werdenden Fan-Reaktionen und die eingefrorenen Quoten lassen das bezweifeln. Verwunderlich ist das nicht. Denn »es«, also der Kult um »True Detective«, drehte sich stets vor allem um eines: die ausufernde Zurschaustellung zweier (nicht einmal besonders origineller) Varianten von Männlichkeitskrise, an deren Ende die Protagonisten befreit und versöhnt miteinander in die Kamera heulen durften. Frauen kamen nur als Leichen, Ehe- oder Sexpartnerinnen vor – und in allen drei Funktionen sorgten sie nur für weiteres Männlichkeitsleid. Nix Neues unter der Thriller-Sonne also, nur eben so konsequent durchexerziert und in die Länge gezogen, wie man es bis dahin tatsächlich noch nicht im TV gesehen hatte. Danach sehnen sich jene, die seit einem Jahrzehnt auf die eine, die echte Fortsetzung hoffen: Sie warten nicht auf eine gute Show, sondern auf Marty und Rust. Dass Frauen da kaum Abhilfe schaffen werden, war absehbar. Mit »Night Country« kommt »True Detective« so an sein gerechtes und immerhin schön düsteres Ende.
Die sechs Folgen »True Detective – Night Country« laufen bei WOW TV (Sky).