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|ak 698 | International

Selektiver Humanismus

Der Umgang mit dem Krieg in Sudan reflektiert die imperialen globalen Verhältnisse

Von Saskia Jaschek

Aufnahme eines weißen UN-Helikopters auf einer sandigen Piste.
Es gibt nach wie vor zu wenig humanitäre Unterstützung für die Millionen Menschen im Sudan. Es fehlt an Nahrungsmitteln, medizinischen Materialien und Medikamenten, berichten die Notfallzentren immer wieder. Foto: BScar23625 / Flickr, gemeinfrei

Seit über sieben Monaten wütet der Krieg nun in Sudan. Die Revolution, die 2019 das langjährige Militärregime durch friedlichen Widerstand absetzte, kam am 15. April dieses Jahres zu einem blutigen Ende. Seitdem bekämpfen sich Sudans Armee (SAF) unter Führung von Abdelfattah al-Burhan und die paramilitärische RSF (Rapid Support Forces) unter Führung des ehemaligen Vizepräsidenten Mohamed Hamdan Dagalo, kurz Hemetti. (ak 693) Der Krieg ist eine Folge des 2021 von SAF und RSF gemeinsam ausgeführten Staatsstreiches, der die damalige zivile Übergangsregierung außer Kraft setzte.

In den deutschen Medien wird über den Krieg kaum noch berichtet. Es scheint verständlich, dass es angesichts der Vielzahl globaler Krisen, der stetig neu ausbrechenden Kriege und der täglichen Konfrontation mit dem sich schnell ausbreitenden Leid schwierig ist, über jeden Konflikt im Detail informiert zu bleiben. Doch der Berichterstattung über aktuelle Krisen und Konflikte lässt sich entnehmen, welche Länder, Menschen und Regionen für uns geopolitisch bedeutsam genug sind, als dass auch medial Nähe zu diesen Konflikten hergestellt wird. Sudan gehört nicht dazu.

Dabei ist die Lage verheerend: Die Konfliktbeobachtungsstelle ACLED schätzt, dass etwa 9.000 Menschen direkt durch den Krieg getötet wurden. In Anbetracht der immer wieder auftauchenden Massengräber werden diese Zahlen wohl kaum stimmen. Zusätzlich gibt es die Tausenden von Menschen, die an den Folgen des landesweit nahezu vollständig kollabierten Gesundheitssystems sterben.

Das feministische SIHA-Netzwerk dokumentierte zuletzt 136 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Sklaverei von Frauen und Mädchen. Doch aufgrund der stark eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten dürften auch diese Zahlen nur einen Bruchteil der tatsächlichen Opfer und Gräueltaten abbilden.

Flucht und ethnische Säuberung

UNHCR zufolge befinden sich sechs Millionen Menschen auf der Flucht. Dazu kommen die Millionen Binnenvertriebenen, die es schon vor Kriegsbeginn gab. Damit ist Sudan eines der Länder mit den meisten Binnengeflüchteten weltweit.

Denn die Flucht außerhalb der Landesgrenzen ist für die meisten Menschen nicht mehr möglich. Die meisten Nachbarländer haben ihre Grenzen zu Sudan geschlossen. Besonders stark wiegt die Schließung der Grenze zu Ägypten. Ägypten bricht damit ein bilaterales Abkommen zwischen den beiden Ländern, das Menschen mit sudanesischem Pass erlaubt, ohne Visum die Grenze zu überqueren und sich dauerhaft in Ägypten aufhalten zu können. Viele Menschen, besonders aus der Region Darfur in Sudans Westen, fliehen ins benachbarte Tschad. In Darfur kommt es seit Kriegsbeginn zu einer ethnischen Säuberung der Masalit und anderer als nicht-arabisch geltender Ethnien durch sich als arabisch identifizierende Milizen.

Doch auch im konfliktreichen Tschad finden sie nur begrenzt humanitäre Hilfe. Das macht die Lage in den riesigen Geflüchtetenlagern fatal. Anfang Oktober starben BBC zufolge 42 Geflüchtete in einem Auffanglager an den Folgen von Hunger. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das UN-Kinderhilfswerk UNICEF gaben bekannt, dass 20,3 Millionen Menschen in Sudan akut von Hunger bedroht sind. Sie schätzen, dass bis Ende des Jahres 10.000 Kinder daran sterben könnten. Und dennoch – flächendeckende humanitäre Hilfe bleibt aus.

Als der Krieg ausbrach, waren es die lokalen Widerstandskomitees, die Fluchtrouten organisierten und erste Hilfe ermöglichten. Die Widerstandskomitees sind Basisorganisationen, die seit 2018 gegen die langjährige Militärregierung Widerstand leisteten. Sie bauten unverzüglich Notfallzentralen auf, Auffanglager für Geflüchtete sowie Stätten zur Versorgung mit Medizin und Nahrungsmitteln. Finanziert werden sie hauptsächlich von der sudanesischen Diaspora.

Anstatt an diese Strukturen anzuschließen und mit den lokalen Komitees zu kooperieren, versuchten UN und internationale NGOs, inmitten des Krieges eigene Netzwerke zu schaffen. Das ist besonders verheerend für die Peripherien, wie etwa Darfur. Dort gab es schon vor dem Krieg kaum ausgebaute Infrastruktur oder Kommunikationswege. Internationale Hilfsorganisationen sind daher auf die Eröffnung humanitärer Korridore durch die beiden Kriegsparteien angewiesen. Bleiben diese ihnen wie bisher verwehrt, sind sie praktisch handlungsunfähig. Obwohl langsam ein Umdenken stattfindet, gibt es immer noch zu wenig direkte Hilfe. Es fehlt an grundlegenden Nahrungsmitteln, medizinischen Materialien und Medikamenten, berichten die Notfallzentren immer wieder.

Europas Interessen

Währenddessen berichtete das Wall Street Journal darüber, dass die Vereinigten Arabischen Emirate in Flugzeugen, die angeblich mit humanitären Hilfsgütern beladen waren, Waffen und Munition an die RSF sendeten. Diese wurden von den ugandischen Behörden bei Kontrollen von Flugzeugen mit Ziel Sudan gefunden. Anstatt die Lieferungen zu stoppen, wurden die ugandischen Beamt*innen von Vorgesetzten dazu angehalten, Flugzeuge aus den Emiraten zukünftig nicht mehr zu kontrollieren.

Die Nachricht darüber war zwar schockierend, überraschend war sie nicht. Die Vereinten Arabischen Emirate sind das Land, das am meisten vom Goldhandel Sudans profitiert. Viele der sudanesischen Goldminen sind Teil des paramilitärischen Industriekomplexes, aus dem Hemetti einen Großteil seiner Macht und seines Reichtums zieht. Weitreichend bekannt ist die Kooperation von RSF und der Söldnergruppe Wagner, die durch die Zentralafrikanische Republik Waffen an die RSF liefert. Dass Wagner schon seit langer Zeit in der Region operiert, hatte vor Russlands Angriffskrieg in der Ukraine im Westen kaum jemanden interessiert. Erst die geopolitische Bedeutung dieser Operationen für Europa rückten Wagners Aktivitäten in das Zentrum des medialen Interesses. Ansonsten tut Europa – wie auch bei anderen Konflikten auf dem Kontinent – gerne so, als habe es nichts mit diesen »afrikanischen Problemen« zu tun.

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Doch wie viel auch europäische Institutionen mit der Schattenwirtschaft der RSF zu tun haben, zeigte jüngst ein Bericht der Zeit: Zahlreiche europäische Botschaften und Entwicklungsorganisationen, darunter die Deutsche Botschaft und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), ließen ihre Gebäude von einer Sicherheitsfirma bewachen, die der RSF angehört. Das ist nicht nur aus staatlicher Sicherheitsperspektive brisant, sondern auch deshalb, weil die betroffenen Institutionen somit – wenn auch unfreiwillig – die RSF mitfinanzierten. Dass in einem solch prekären Kontext wie in Sudan Sicherheitsfirmen trotz kursierender Gerüchte über ihre Verbindungen zu den Paramilitärs von keinen der westlichen Institutionen ausreichend vor ihrer Einstellung geprüft wurden, lässt sich also bestenfalls auf Ignoranz für diese Verbindungen zurückführen. Andernfalls muss davon ausgegangen werden, dass die Verbindungen klar waren und sogar willentlich in Kauf genommen wurden.

Deutschland hat bis in die 1980er Jahre das sudanesische Militär ausgebildet und aufgerüstet.

Doch es gibt auch eine historische Verantwortung: Deutschland hatte bis in die 1980er Jahre das sudanesische Militär ausgebildet und aufgerüstet. Auch wenn es heute offiziell keine Waffenexporte aus Deutschland nach Sudan gibt, finden Lieferungen an Drittstaaten statt, die diese vermutlich weiterverkaufen. In den sozialen Medien kursieren Bilder von minderjährigen Soldaten mit deutschen G3 sowie Heckler und Koch Gewehren.

Außerdem instrumentalisierte Europa Sudan zur Sicherung der europäischen Außengrenze. Über Sudan verläuft eine der Hauptmigrationsrouten Ostafrikas. Die Route führt bis nach Libyen, von wo sich Menschen über das Mittelmeer nach Europa aufmachen. Im sogenannten Khartum-Prozess von 2015 machte die EU – und Deutschland als Mitunterzeichner – einen Deal mit der damaligen islamistischen Militärregierung, um diese Route zu schließen. Die sudanesische Regierung setzte zur sogenannten Grenzsicherung die Paramilitärs ein, angeführt von Hemetti. Und das, obwohl die Gräueltaten der Milizen schon damals bekannt waren: die brutalen Raubüberfälle, die sexuelle Versklavung von Frauen und der Genozid in Darfur Anfang der 2000er Jahre. Gestört hatte das im liberalen Europa keinen, solange die Grenzen dicht blieben. Im Zuge des Khartum-Prozesses wurden die RSF finanziell und strukturell aufgebaut, trainiert und erstmalig als offizielle staatliche Einheit anerkannt.

Doch anstatt sich dieser historischen Verantwortung zu stellen und nun Fluchtmöglichkeiten für Menschen aus Sudan und Ostafrika zu eröffnen, reiste die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nur wenige Wochen nach Kriegsausbruch nach Tunesien, um einen Deal mit der dortigen Regierung zur Migrationsabwehr auszuhandeln.

»Sudan-Müdigkeit«

Warum also bleiben helfende internationale Interventionen aus? Der ehemalige CIA-Beauftragte und Sudanexperte Cameron Hudson bezeichnete in einer Expert*innenrunde den Grund für die geringe Einsatzbereitschaft der USA als »Sudan-Müdigkeit« und »fehlende Priorisierung« des konfliktreichen Staates. Dennoch leiten die USA derzeit gemeinsam mit Saudi-Arabien erneut Verhandlungen zwischen RSF und SAF im saudischen Jeddah. Tatsächlich scheinen diese Verhandlungen mehr den bilateralen Beziehungen zwischen USA, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zu dienen als Sudan. Al-Burhan und Hemetti hatten schon vorher in verbalen Schlagabtauschen signalisiert, dass die Verhandlungen wohl kaum zu einem Waffenstillstand führen würden. Es bleibt also bei einer Symbolpolitik der Diplomatie, die an der Realität des Krieges wenig ändern wird.

Der Umgang der sogenannten internationalen Gemeinschaft mit Sudan ist ein Paradebeispiel für die imperialistische Ordnung, in welcher der Westen die Vorherrschaft hat und die finanzstarken Staaten des Nahen Ostens sich zusätzlich an der Ausbeutung ärmerer Länder beteiligen. In dieser geopolitischen Gemengelage wird nur interveniert – sei es im diplomatischen oder humanitären Sinne – wenn sich eine solche Intervention strategisch und ökonomisch lohnt. Dieser selektive Humanismus zeigt sich nicht nur in den geringen finanziellen Leistungen für Sudan, sondern auch an der weiterhin anhaltenden Verhinderung von Fluchtmöglichkeiten und der Verwehrung von Asyl. In diesem globalen Herrschaftssystem nehmen die Menschen im Sudan die Rolle der »Verdammten dieser Erde« ein. Sie werden alleingelassen in einem Krieg, der scheinbar niemanden berührt und der unterstützt wird von Politiken, die immer wieder signalisieren: Eure Leben sind nichts wert.

Porträtbild von Saskia Jaschek

Saskia Jaschek

lebt in Berlin. Sie ist freie Journalistin und promoviert an der Universität Bayreuth mit einer Forschung zur sudanesischen Widerstandsbewegung.

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