Kurze Wege und Brüder im Geiste
Die Identitären sind ideologisch mit dem Rechtsterrorismus verbunden
Von Judith Goetz und Alexander Winkler
Am 15. März 2019 tötete ein aus Australien stammende Rechtsterrorist insgesamt 51 Menschen bei einem Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch, Neuseeland. Vor allem im Nachgang dieses rechtsterroristischen Attentats wurden die »Identitäre Bewegung« (IB) mit dem Rechtsterrorismus in Verbindung gebracht. Der Grund: Der Attentäter hatte Geld an Martin Sellner, den österreichischen IB-Chef gespendet, es gab Emailkontakte und Manifest des Attentäters, »The Great Replacement«, trug denselben Namen wie eine Kampagne der österreichischen Identitären. Es folgten Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung gegen Sellner, mehrere Hausdurchsuchungen sowie eine bis dato anhaltende Diskussion darüber, sich »des Problems« über ein Verbot der IB zu entledigen. Viel wichtiger wäre jedoch ein Blick auf die Ideologie der Gruppe. Dieser zeigt, wie kurz der Weg vom gewaltbereiten Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus ist.
Gewalt als Notwehr
Wenngleich die Identitären seit ihrer Gründung 2012 darum bemüht waren, sich selbst als »gewaltfrei« zu inszenieren, zeichnete die aktivistische Praxis oftmals ein gänzlich anderes Bild. Zahlreiche dokumentierte Übergriffe auf politische Gegner*innen sprechen eine andere Sprache als die einer »patriotischen NGO«, der es lediglich darum gehe, mit Begriffen in den »vorpolitischen Raum« vorzudringen. Schon der rechte Vordenker Götz Kubitschek gibt programmatisch vor, wie der rechte Kulturkampf auszusehen hat. Er schreibt, dass zur Überzeugung »von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns« kein Wort, »sondern bloß ein Schlag ins Gesicht« helfen würde. In Camps präsentieren sich die Identitären in paramilitärischen Formationen und huldigen einem »Kult der Gewalt« – schon immer ein Kennzeichen des Faschismus. Die Gewaltdisposition der als »Neue Rechte« firmierenden Identitären spiegelt sich aber nicht nur in ihrer (Bild-)Sprache wider, die durch zahlreiche Kampf- und Kriegsmetaphern geprägt ist. Sie findet sich auch in ihrer Ideologie. Diese präsentiert Gewalt als scheinbar letzte Lösungsmöglichkeit der »letzten Generation, die den großen Austausch noch aufhalten« könnte.
Auch der Attentäter von Christchurch glaubte an die von den Identitären maßgeblich popularisierte Verschwörung eines geplanten »Bevölkerungsaustauschs« und legitimierte damit die brutale Ermordung von 51 Menschen aus rassistischen Motiven. Die Namensgleichheit seines Manifestes mit der IB-Kampagne kam daher auch nicht von ungefähr: Über den Titel hinaus gibt es weitreichende ideologische Überschneidungen mit den Identitären, aber auch zur extremen Rechten insgesamt. Wie die Identitären beruft sich der Attentäter auf das rassistische Konzept des Ethnopluralismus. Dieses sieht vor, »ethnisches Überleben« mittels einer globalen Apartheid abzusichern, in der alle »Völker« klar voneinander separiert leben sollen. Eine weitere Gemeinsamkeit gibt es in den ausgemachten Ursachen der imaginierten Untergangsbedrohung: niedrige Geburtsraten der autochthonen Bevölkerung sowie die mangelnde Wehrhaftigkeit von Männern.
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) betonte schon vor einigen Jahren, dass »die identitäre Selbstwahrnehmung als letzte Generation, die den Niedergang des Abendlandes abwenden könne, und die damit verbundene Rhetorik der letzten Chance auf ein Potenzial zur gewaltsamen Radikalisierung schließen (lassen), das in vereinzelten gewaltsamen Übergriffen auch bereits sichtbar wurde«. Gewalt wird diesem Gedankengang folgend als angeblich letzte Lösungsmöglichkeit des Problems »der aufgezwungenen Vermischung«, als scheinbar legitime »Notwehr« präsentiert.
Franco A. und Komplizen
Ideologische und personelle Überschneidungen zwischen Identitären und mutmaßlichen Rechtsterroristen wurden auch im Zuge von Ermittlungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) festgestellt. Anlass waren rund 450 Verdachtsfälle von mutmaßlich extrem rechten Soldaten. Zu diesen gehören auch Franco A. und seine Komplizen Maximilian T. und Mathias F., die seit 2017 unter Verdacht stehen, einen Terroranschlag in Deutschland geplant zu haben. Im Zuge der Ermittlungen prüfte der MAD auch Verbindungen zu den Identitären. Dabei stellte sich heraus, dass die von A. im Jahr 2013 geschriebene Masterarbeit starke Überschneidungen mit Ideologien der Identitären aufweist. Ein Gutachter sah in seiner Schrift keine wissenschaftliche Arbeit, »sondern ein Aufruf dazu, einen politischen Wandel herbeizuführen, der die gegebenen Verhältnisse an das vermeintliche Naturgesetz der rassistischen Reinheit anpasst«. Der Gutachter hatte übrigens schon damals vor der Gefährlichkeit Franco A.s gewarnt.
Die Ermittlungen führten auch an die Münchner Bundeswehr-Universität. Dort erhärtete sich der Verdacht eines seit vielen Jahren bestehenden rechtsextremen Netzwerks, das Verbindungen zu den Identitären und zu den Reichsbürger*innen aufweisen soll. Zudem hat nicht nur Maximilian T. an selbiger Bundeswehr-Uni studiert, sondern auch der mutmaßliche weitere Komplize von A., Tobias L. Dieser wurde aufgrund seiner Nähe zu den Identitären 2017 aus dem Dienst entlassen und soll unter anderem Vorträge zum Umgang mit Verfassungsschutz und Polizei für die Gruppe gehalten haben. Sein Name tauchte ein weiteres Mal im Zuge der Ermittlungen wegen eines geplanten Anschlags auf die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf. Im Zuge einer Hausdurchsuchung wegen »Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz« konnten jedoch keine Nachweise gefunden werden. Zudem spekulierten die Sicherheitsbehörden selbst, dass Tobias L. vor der Razzia gewarnt worden sein könnte. Inzwischen ist L. Burschenschafter und seit 2019 stellvertretender Vorsitzender der Jungen Alternative Ostbayern, der dortigen AfD-Jugendorganisation.
Die unterschiedlichen Spektren der extremen Rechten verbindet ein rassistisches Narrativ: Die Dominanzgesellschaft sei vom Untergang bedroht, es würde einen »großen Austausch« geben.
Auch Maximilian T. hat bereits für die AfD gearbeitet – ebenso wie namhafte Identitäre (z.B. Daniel Fiß im Büro von AfD-Bundestagsabgeordneten Siegbert Droese). Das ist wenig verwunderlich. Denn die unterschiedlichen Spektren der extremen Rechten – parteiförmig, außerparlamentarisch, neonazistisch und rechtsterroristisch – verbindet ein rassistisches Narrativ: Die Dominanzgesellschaft sei vom Untergang bedroht, es würde einen »großen Austausch« geben.
Die Erzählung vom »großen Austausch«
Insbesondere die geschürte Angst vor dem Untergang treibt die scheinbar Bedrohten in die vor Widerspruch und Differenz schützende Gemeinschaft. Dort wird die Angst jedoch nicht aufgelöst, sondern verstärkt. Weil jene, die von Bunker- und Bollwerkmentalität beherrscht werden, zudem Angst davor haben, ihren Wahn alleine zu glauben, sind sie fest an die Glaubensgemeinschaft gebunden. Die Erzählung vom sogenannten großen Austausch versammelt mittlerweile eine internationale Glaubensgemeinschaft, die immer wieder handlungsanleitend für rechtsterroristische Attentate ist. Es ist die Erzählung, man sei am letzten entscheidenden Punkt, das Ruder nochmal herumzureißen. Dunkle Mächte haben sich verschworen, um einen »Bevölkerungsaustausch«, einen »Ethnozid« zu vollziehen. Das Überleben des Volkes liege jetzt in der Hand derjenigen, die dieses Spiel durchschauen und sich jetzt zur Wehr setzen. Im Bild des in die Ecke Getriebenen, dem »Ausharrenden auf verlorenem Posten«, wird die inhärente Gewalttätigkeit dieser rassistischen Erzählung sichtbar. Um den drohenden Untergang des Volkes aufzuhalten, ist jedes Mittel legitim. Vor dem Hintergrund des Mythos vom »großen Austausch« präsentiert sich die extreme Rechte als rettende, erlösende Kraft, aus dem heraus aber dennoch der »unbewusste Wunsch nach Unheil, nach Katastrophe« (Adorno) spricht.
Gerade weil die extreme Rechte sich gegen eine gesellschaftliche Realität stellt, entfaltet sie umso mehr ein zerstörerisches Potenzial. Wer in einer von Migration geprägten Gesellschaft von einer »homogenen Gemeinschaft« träumt, der muss sich bewusst sein, dass dieses Ziel nur mit brutalster Gewaltanwendung erreicht werden kann. Oder, wie es Carl Schmitt, einer der Lieblingsphilosophen der Neuen Rechten, formulierte: »Homogenität« ist nur durch die »Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen« zu haben. Schon in diesen Formulierungen ist ein rechtsterroristisches Potenzial angelegt, das die Vernichtung von Menschen zugunsten einer höheren Sache, für »Volk und Vaterland« bejaht. Und viel zu oft führt der Krieg der Worte zu einem Krieg der Taten.
Nicht ohne Grund sprechen Rechtsextremismusexpert*innen bei den Identitären von der »Generation Breivik« (Andreas Peham). Die Bereitschaft zuzuschlagen wird trainiert, denn der Ernstfall, der »Untergang Europas«, ist längst eingetroffen und man lauert nur mehr, bis man »vom Lagerplatz aus« in die »belagerten Regionen, in ihre besetzten Städte heimkehren und die Posten einnehmen« wird, wie Martin Sellner paranoid-programmatisch vorgibt. Und weiter: »Sie (die Identitären) wollen sie nicht nur halten – sie wollen gewinnen. Sie wollen die Reconquista.« Von dieser beschworenen »Kampfbereitschaft« ist es nicht mehr weit bis zum Pogrom, zumal sich offen auf die »Reconquista« bezogen wird, jener blutrünstigen Säuberungswelle, die sich neben muslimisch-gläubigen Menschen auch gegen Jüdinnen und Juden richtete.
Im Grunde wurde die »alte« Erzählung vom bevorstehenden »Volkstod« oder der »Umvolkung« von den »Identitären« bloß in eine scheinbar harmloser klingende Sprache übersetzt. Diese ideologischen Kontinuitäten und Verbindungen zeigen: Von dieser Form des gewaltbereiten Rechtsextremismus, wie ihn die Identitären kultivieren, ist es oft nicht weit zum mörderischen Rechtsterrorismus. Um Rechtsterrorismus effektiv zu bekämpfen, muss folglich zuallererst die Gefährlichkeit der dahinter stehenden Ideologien (an)erkannt und selbige eindämmt werden. Ein Verbot der Gruppe durch den Rechtsstaat bleibt ohne eine Gesellschaft, die sich gegen das von den Identitären verbreitete Gedankengut stellt, ohnehin wirkungslos.