analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 697 | Alltag

Grizzly Otis, ein feinfühliger Fischer

USA: Die Fat Bear Week 2023 schrammte knapp am Shutdown vorbei

Von Axel Gehring

Ein runder Braunbär steht in einem Gewässer und schaut süß aus der Wäsche
Hobbys: Essen und Schlafen. 480 Otis, Fat Bear Rekordchampion und Vater der diesjährigen Titelgewinnerin 128 Grazer, in einer Aufnahme aus dem Jahr 2022. Foto: Katmai National Park and Preserve / Flickr

First things first: Bär*innen ernähren sich vorwiegend vegetarisch, zum Beispiel von Beeren, aber auch von Gras und Wurzeln etc. Doch, wo sie die Gelegenheit haben, jagen sie und zuweilen richtig viel. So fing ein Braunbär mit dem Namen 480 Otis an einem legendären Tag im Sommer 2017 über 40 Lachse an den Brook Falls im Katmai National Park, Alaska, USA. Ein Rekord.

Auch satt stellen Bär*innen das Jagen nicht immer ein, sondern fressen dann nur noch die Eier oder einzelne Organe ihrer Beute. Wir kennen dies von Orcas. (ak 694) Doch sollten wir eine Spezies aufgrund ihrer Essgewohnheiten ausgrenzen? Nein, denn das Bild ist differenzierter: Auch 747 Bear Force One, ein Nachbar von 480 Otis, ist nicht immer am ganzen Fisch interessiert. Deshalb erschnüffelt er das Geschlecht seiner Fänge, die Männchen lässt er wieder davon schwimmen, denn sie tragen keine Eier. Gemessen an der Barbarei der industriellen Tiertötung des Homo Sapiens ist dies ein Zeugnis der Humanität.

Inzwischen verwertet Otis seine Fänge effizienter, berichtet otisfishingreport.com. Mit etwa 28 Jahren ist er der wohl älteste Bär im Katmai National Park, und ihm fehlen schon einige Zähne. Das Wegschmeißen ist das Privileg der Jungen, Großen und Starken. Diese konkurrieren einmal im Jahr, in der von der Parkverwaltung ausgerichteten Fat Bear Week, um den Titel des Fat Bear Champion. Wir können online mit abstimmen.

Bär*innen sind gefräßige Opportunist *innen mit einer geradezu liebenswerten Gemütlichkeit – wenn wir sie denn lassen.

Doch prämiert die Fat Bear Week wirklich nur die besonders Dominanten, besonders Dicken? Entscheidend für den Fat Bear Titel ist der Jo-Jo-Effekt, der wiederum hängt mit dem Metabolismus und den Winterschlafzyklen der Grizzlies zusammen: In Katmai fallen sie von etwa Anfang November bis Mitte Mai mangels Nahrungsangebot in eine Winterruhe. Ausgehungert kommen sie dann aus ihren Höhlen und müssen noch über einen Monat bei Veggikost auf den Beginn der Lachssaison warten. Das mag ihnen wertvolle Vitamine, Mineralstoffe und so liefern; ihren Kalorienbedarf aber deckt sie nicht, dafür ist der Winter dort schlicht zu lang. Dieses Jahr kamen die Lachse aufgrund von Meereserwärmung, Überfischung und El Niño noch einen Monat später zum Fluss – und so auch Otis. Er machte einen traurigen, ausgehungerten Eindruck und brauchte eine Weile, um sich zu berappeln. Mit jedem Lachs wurde es besser.

1.000 neue Abos für ak

Linke Medien gibt es nicht umsonst. Statt nur Mangel zu verwalten, wollen wir nach vorne planen und unsere Aktivitäten ausbauen. Dein Abo ermöglicht genau das. Wieso dein Beitrag einen Unterschied macht, erfährst du hier.

Der Jo-Jo-Effekt ist bei Bär*innen also dank ihres unfreiwilligen Intervallfastens samt erzwungener Trennkostdiät besonders ausgeprägt, und genau das wird prämiert: Nicht nur besonders dominante und dicke Charaktere, wie 747 Bear Force One in 2020 und 2022, haben eine Chance auf den Titel, sondern auch jene, die besonders ausgehungert waren und einen weiten Weg bis zu ihrem Winterschlafgewicht hatten, wie Otis 2021.

Otis ist übrigens sehr sanftmütig, er fischt mit Intelligenz, Konzentration und Präzision. Vor allem aber ist er faul. Er versucht, die Strecke zwischen Schlaf- und Fischplatz auf wenige Meter zu begrenzen. Im Spätsommer hält er im kugelrunden Zustand gern ausgedehnten Mittagsschlaf. Die Bear Cam erwischte ihn 2014 bei einem 14-stündigen Päuschen. Diese Gewohnheiten machen ihn zum Rekord Fat Bear Champion mit Titelgewinnen 2014, 2016, 2017, 2021 sowie den Fat Bear Life Time Award im gleichen Jahr.

Zugegeben, an anderen Orten mit anderem Nahrungsangebot variiert das Verhalten. Und Otis ist einmalig, so wie alle Bär*innen einmalige Individuen sind. So haben CCTC-Cam-Studien ihre Grenzen. Doch gibt es verallgemeinerbare Verhaltenszüge, auf die sich aus wiederkehrenden Beobachtungen schließen lässt: Bär*innen sind gefräßige Opportunist*innen mit einer geradezu liebenswerten Gemütlichkeit – wenn wir sie denn lassen. Ihr Fell ist übrigens besonders weich, und es finden sich Videos, wie sie Jäger*innen angreifen.

Wären die USA in den Government Shutdown gegangen, wäre die Fat Bear Week ausgefallen. Herzlichen Glückwunsch übrigens an 128 Grazer zum Fat Bear Champion 2023. Dieses Jahr hattest du keine Jungtiere zu versorgen und konntest so richtig futtern. Und danke an die Republikanische Partei für ihre materielle Restvernunft in der Causa Fat Bear Week.

Axel Gehring

hat als Fellow am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Strukturwandel von Ökonomie, Gesellschaft, Kriegführung und Rüstung analysiert.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 36 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Das Probeabo pausiert für die Dauer unserer Abokampagne, danach bieten wir es wieder an.