Rojava wieder unter Beschuss
Türkei intensiviert Angriffe in türkisch-syrischer Grenzregion
Von Anita Starosta
Seit September wird um die strategisch wichtige Stadt Minbic im Norden Syriens gekämpft, die zum von der autonomen Selbstverwaltung Rojava kontrollierten Gebiet gehört. 500 Familien sind bereits vertrieben worden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte in der Vergangenheit immer wieder angekündigt, die Gebiete in Tel Rifat und Minbic einnehmen zu wollen, um die Gebiete westlich des Euphrat vollständig unter türkische Kontrolle zu bringen. Die instabile Lage während der kritischen militärischen Auseinandersetzungen im Osten des Landes bei Deir ez-Zor nutzten türkische Söldnergruppen aus den besetzten Gebieten, um Dörfer westlich der Stadt Minbic anzugreifen, unterstützt durch türkische Drohnenangriffe oder Autobomben. Bei diesen Angriffen sind bereits zahlreiche Zivilist*innen ums Leben gekommen. Die Angreifer werden dabei von radikal-islamischen Milizen aus Idlib und Afrin unterstützt.
Auch wenn diese Angriffe bisher abgewehrt werden konnten, ist die Lage für die Bevölkerung und die Selbstverwaltung ernst. Hinzu kommt die Angst vor einem Erstarken des Islamischen Staates (IS). Nach den türkischen Präsidentschaftswahlen im Mai sitzen der wiedergewählte Präsident Erdoğan und seine nach rechts gerückte AKP-Regierung wieder fest im Sattel. Kurzzeitige Hoffnungen auf Frieden in der Region und einen Rückzug aus den besetzten Gebieten wie Afrin und Serekaniye bei einem anderen Wahlausgang zerschlugen sich bereits im ersten Wahlgang.
Drohnenangriffe sind das Mittel der Wahl der türkischen Regierung, um die Selbstverwaltung in Nordostsyrien zu schwächen.
Trotz einer relativ geschlossenen Opposition und des offensichtlichen Missmanagements der Erdbebenhilfe entschied sich die Mehrheit für das national-autoritäre Herrschaftsprojekt Erdoğans. Seitdem nehmen die Angriffe auf den Nordosten Syriens wieder deutlich zu. Drohnenangriffe sind seit Jahren das Mittel der Wahl der türkischen Regierung, um die Selbstverwaltung in Nordostsyrien zu schwächen und ein permanentes Bedrohungsszenario aufrechtzuerhalten.
Hinzu kommen die Wasserregulierung durch die Türkei, die auch in diesem Sommer wieder lebensbedrohliche Folgen hatte, das wirtschaftliche Embargo und die ausbleibende internationale Unterstützung – selbst in Katastrophensituationen wie zuletzt beim Jahrhunderterdbeben. So bleiben die Aussichten für die Region düster und denjenigen überlassen, die in dieser Gemengelage an der demokratischen Alternative Rojava festhalten und sie zu gestalten versuchen. In der Berichterstattung dominieren längst andere Kriegsschauplätze. Sollte es zu einer weiteren Eskalation in Nordsyrien kommen, würde dies die Flucht Zehntausender und den Verlust großer Gebiete für die autonome Selbstverwaltung bedeuten. Solidarität und konkrete Unterstützung werden mehr denn je benötigt, von der internationalen Gemeinschaft ist hier wenig zu erwarten.