»Der Arbeiter versteht das nicht«
Die Mobilisierung gegen trans und queere Identitäten ist zu einer der mächtigsten Waffen im faschistischen Kulturkampf geworden – manche Linke machen mit
Von Bilke Schnibbe
Sechs Anträge zum Thema Gendern wurden in dieser Legislaturperiode im Bundestag eingereicht. Keiner dieser Anträge stammte von der Partei Die Linke oder den Grünen. Ausschließlich die AfD setzte das Thema auf die Tagesordnung. Das mag ironisch scheinen, schließlich ist der Inhalt dieser Debatten ja traditionell, dass eine queere und woke Minderheit die Mehrheit der Gesellschaft zwingt, über Nonsens wie das Gendern zu diskutieren. Das stellte auch Linken-Politikerin Heidi Reichinnek in der letzten Bundestagsdebatte zu diesem Thema im Juni fest. Der Genderwahn der AfD mache ihr langsam Sorgen.
AfD-Politiker*innen tragen durch solche Manöver zentral zur Verbreitung queerfeindlicher Erzählungen in unserer Gesellschaft bei. Es liegt nicht an der »Dummheit« oder »Wahnhaftigkeit« der Partei, dass sie die eigene Widersprüchlichkeit nicht sieht. Sündenböcke suchen und ausstellen ist eine zentrale Kommunikationsstrategie der Partei – und sie funktioniert.
Die parlamentarischen Anträge gegen »Gendersprache« zeigen, wie verkürzte Kritik an queeren Personen und queerer Politik in der Öffentlichkeit typischerweise aufgebaut ist: Anhand eines Themas (in diesem Fall Gendern) wird behauptet, dass sich »normale Leute« immerzu mit den absurden Anliegen kleiner Gruppen befassen müssten, die allen anderen ihre Identität, ihren Lebensstil, ihre Themen aufdrücken wollen.
Tatsächlich sind es die Kritiker*innen – in diesem Fall die AfD-Fraktion im Bundestag –, die das Thema erst auf den Tisch bringen und groß machen. Und damit die wertvolle Redezeit und Aufmerksamkeit der Gruppe auf genau das Thema lenken, was doch eigentlich Zeitverschwendung ist und dafür sorgt, dass die wirklich wichtigen Aufgaben (wie zum Beispiel die Inflation) nicht angegangen werden.
Das greift auch Reichinnek in ihrer gut dreiminütigen Replik auf den Antrag auf: Die AfD erschafft durch ihre Rhetorik und Themensetzung ein Feindbild, während sie selbst ultrakonservative Politik im Interesse der Wirtschaft und zum Teil von dieser finanziert, betreibt – welche eigentlich massiv zu den beklagten »echten Problemen« beitragen und/oder von diesen profitieren. So ist die AfD zum Beispiel groß dabei zu behaupten, Kinder vor Frühsexualisierung durch als übergriffig dargestellte Queers schützen zu wollen, thematisiert aber beispielsweise nie die größte Tätergruppe bei sexueller Gewalt gegenüber Kindern, nämlich Männer. Weil Empörung über Männer als Gruppe eben nicht nach rechts mobilisiert, es sei denn, sie sind schwul, trans oder migrantisiert. Dieses Muster findet sich bei zahlreichen Themen, über die sich AfD-Politiker*innen fast schon rituell empören.
Beliebte rechte Erzählung
Die AfD hat diese Kommunikationsstrategie nicht erfunden. Sie teilt sie sich mit einer ganzen Reihe »Kritiker*innen« über alle politischen und sozialen Spektren hinweg. Seit einigen Jahren schon wiederholen sich Politiker*innen aller Parteien, Comedians, Kulturschaffende und Journalist*innen in ihren Erzählungen darüber, dass queere Personen, insbesondere transgeschlechtliche Menschen, mehr oder weniger bedrohlich für die Stabilität unserer Gesellschaft seien.
Die rechte Version davon geht in etwa so: Queers gefährden mit ihrem Analsex und ihrer ständig wechselnden Geschlechtsidentität unsere Kinder, wollen die traditionelle Familie zerstören, sind arbeitsscheu. Eine linke Version dieser Erzählung ist, dass queere Anliegen Ausdruck eines kapitalistisch-individualistischen Elitismus sind. Der »einfache Arbeiter« mit seinen echten Problemen kann das nicht verstehen und wendet sich deshalb kopfschüttelnd von linken Kämpfen ab.
Beiden Erzählungen ist gemeinsam, dass queere Menschen die Gesellschaft/die Bewegung spalten würden. Sie sind der eigentliche Ursprung des Werteverfalls der Gesellschaft/linker Gruppen, nicht etwa die gesellschaftliche Mobilisierung nach rechts. Die mangelnde Mobilisierungsfähigkeit linker Kämpfe ließe sich wohl treffender darauf zurückführen, dass die deutsche Linke in weiten Teilen akademisiert, weiß und bürgerlich ist und in diesem Sinne seit Jahren Identitätspolitik vom Schreibtisch aus betreibt. Wenn man das Wort mit I denn überhaupt bemühen möchte.
Wer also die Auffassung vertritt, dass sich queere Personen vor allem für Pronomen und Gendern interessieren, um andere damit autoritär zu maßregeln, ist im Kern einer strategisch platzierten, rechten Erzählung aufgesessen. Das heißt nicht, dass es nicht Leute gibt, die das manchmal tun und damit nerven. Es geht mir hier auch nicht darum zu sagen, dass linke Kritiker*innen von Identitätspolitik, die solche Bilder bemühen, »eigentlich Nazis« sind.
Die AfD juckt nicht, was in Frauenhäusern los ist. Die AfD juckt, wie sie den gesellschaftlichen Umbau inklusive Umverteilung von unten nach oben vorantreiben kann.
Ich möchte zeigen, welche problematischen Effekte es für linke Mobilisierung insgesamt hat, wenn in (innerlinker) Kritik Stereotype auftauchen, die zentraler Teil des antifeministischen, rassistischen Kulturkampfes sind, dem sich die gesellschaftliche Linke als Ganze gegenübersieht – und in dem sie verliert. Ein Kulturkampf, der seit Jahren zur rechten Mobilisierung in Deutschland beiträgt und verhindert, dass linke Ideen und Gruppen Zulauf erfahren oder dass drängende Themen angegangen werden können. Für diesen Mechanismus ist tatsächlich unerheblich, ob die inhaltliche Kritik in Teilen sogar berechtigt ist. Wenn sie queerfeindlich gewendet werden kann, läuft sie Gefahr, zur rechten Mobilisierung mindestens indirekt beizutragen.
Das sehen wir auch am Bild des wohlstandsverwahrlosten Vorstadtkindes, das sich dem Trend, queer und/oder trans zu sein unterwirft, um etwas Besonderes zu sein, während es sich an die Autobahn klebt. In Anbetracht der stattfindenden Klimakrise und der eigentlich notwendigen radikalen wirtschaftlichen Umstrukturierung, um diese einzudämmen, ist das dekadente Vorstadtkind ein strategisch sinnvolles Feindbild aus Sicht all jener, die vom fossilen Kapitalismus profitieren.
Die AfD juckt es nicht, was zum Beispiel in Frauenhäusern los ist. Die AfD als ultrakonservative Wirtschaftspartei juckt, wie sie den gesellschaftlichen Umbau inklusive Umverteilung von unten nach oben weiter vorantreiben kann. Und das funktioniert nicht, indem man mehr Frauenhäuser baut. Es funktioniert, indem man wieder und wieder behauptet, dass transgeschlechtliche Frauen eigentlich übergriffige Männer sind, die nicht ins Frauenhaus reingelassen werden dürfen – und so nach rechts mobilisiert, während man de facto Finanzierung für Frauenhäuser streicht.
Liberalisierung queerer Kämpfe
Queere Politik ist – wie in linken Debatten oft kritisiert wird – in der Tat in Teilen bürgerlich, liberal und reformistisch. Viele linke Projekte sind das momentan. Auch das ist ein altbekanntes Problem, welches schwule und lesbische Kommunist*innen schon in den 1970ern und 1980ern diskutierten. Und auch heute beschäftigen sich radikale Queers theoretisch und praktisch mit diesem Thema. Die innerlinke Debattenkultur behindert dabei ironischerweise, dass innerhalb queerer Kämpfe auf eine Radikalisierung hingearbeitet werden kann, weil sie – wie oben beschrieben – zum Teil queerfeindliche Bilder aufgreift. Das ist wie gesagt nicht nur für Queers ein Problem (was aus linker Sicht eigentlich reichen sollte, queerfeindliche Aussagen zu vermeiden), sondern für linke Mobilisierung und Politik insgesamt.
Linksradikale Queers befinden sich – wie die Linke in Deutschland insgesamt – im Spagat zwischen einerseits dem Abwehrkampf gegen rechte Mobilisierung, aber mit dem Zusatz, dass diese rechte Mobilisierung über Queerfeindlichkeit stattfindet, mit dem dazugehörigen Anstieg von Gewalt auf der Straße, Verschlechterung von Lebensbedingungen, Abbau selbstorganisierter Projekte und dem Verlust praktischer Solidarität anderer Bevölkerungsgruppen, auf die insbesondere transgeschlechtliche Menschen angewiesen sind.
Andererseits müssen sich linksradikale Queers gegen die Liberalisierung und Befriedung ihrer Kämpfe durch bürgerliche Zugeständnisse wie die Ehe für alle oder ein halbgares Selbstbestimmungsgesetz wehren. Oder eben auch durch die Konzerne, die der Meinung sind, momentan (noch) von ausgestellter Diversitätsfreundlichkeit und Repräsentationspolitik zu profitieren. Auch ohne verkürzte, innerlinke Kritik an vermeintlicher Identitätspolitik gibt es also grade schon genug zu tun.
Innerhalb der radikalen Linken insgesamt wird die Liberalisierungstendenz queerer Kämpfe richtigerweise als Problem erkannt – das kennen wir auch schon von feministischen Themen, die in den Mainstream übergegangen sind und so zum Teil befriedet wurden. Es ist richtig, diesen Umstand dort, wo er auftritt, solidarisch zu kritisieren – das heißt mit Augenmaß dafür, dass Queerfeindlichkeit ein reales Problem ist, welches von rechts aktiv und strategisch befördert wird.
Aus Mangel an einer solchen konstruktiven Debattenkultur müssen sich linksradikale Queers momentan allerdings mit antifeministischer bis hin zu offen transfeindlicher »Kritik an Identitätspolitik« von Politgruppen und linken Autor*innen beschäftigen, mit denen sie in Bezug auf andere politische Themen eine große politische Schnittmenge haben. Im Bewusstsein, dass es aus antifaschistischer Perspektive gerade jetzt zentral ist, rechten Erzählungen über transgeschlechtliche Personen, Queers und queeren Aktivismus entschieden entgegenzutreten, ist es zentral, Kritik aneinander solidarisch und in deutlicher Abgrenzung zu queerfeindlichen Stereotypen zu formulieren.