Beschwiegenes Kapitel der Nachkriegszeit
Aufgeblättert: »Ein jüdisches Kinderheim in Lüneburg 1946 bis 1948« von VVN-BdA Lüneburg
Von Jens Renner
Nach jahrelanger Recherche hat die VVN Lüneburg eine lesenswerte Dokumentation veröffentlicht, die ein auch lokal kaum bekanntes, weil absichtsvoll beschwiegenes Kapitel der unmittelbaren deutschen Nachkriegsgeschichte zum Thema hat: die Betreuung jüdischer Kinder im Lüneburger Stadtteil Ochtmissen in den Jahren 1946 bis 1948. Überlebt hatten sie »durch glückliche Umstände oder durch geschicktes Verstecken und Untertauchen«. Nun, nach der Befreiung, sollten sie sich »in einer angenehmen Umgebung und unter einem bestmöglichen Einfluss erholen«, hieß es in einem Appell der britischen Künstlerin und Sozialarbeiterin Rose Henriques. Mehrere hundert jüdische Kinder konnten versorgt werden, darunter Janet Beasley, die sich später lobend äußerte: »Es war Erholung für uns, wir waren frei und brauchten keine Angst mehr vor irgendjemand zu haben, und das war schon viel wert.« Auf mehreren Bildern sind tanzende und spielende Kinder zu sehen. Viele emigrierten später in die USA oder nach Israel. Das falsche Bild eines Idylls vermittelt die Broschüre aber nicht. So wird auch die Rolle des NS-Arztes und Rassenideologen Werner Jansen behandelt, der der Vorbesitzer des Kinderheims war. Die Entscheidung von 1964, in Ochtmissen eine Straße nach ihm zu benennen, wurde erst 2008 rückgängig gemacht. Durch akribische Recherche und lesefreundliche Gestaltung ist eine Broschüre entstanden, die über den lokalen Rahmen hinaus gelesen werden sollte: als Beispiel für gelungene Geschichtsschreibung von unten.
VVN-BdA Lüneburg (vvn-bda-lg.de): Ein jüdisches Kinderheim in Lüneburg 1946 bis 1948. 105 Seiten, 7 EUR incl. Porto.