Antikapitalistisch aus Erfahrung
Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist in den letzten Jahren nach links gerückt. Wo steht sie aktuell, und was kann sie aus vergangenen Kämpfen lernen?
Von Laura Meschede
September 2019. Auf dem Königsplatz in München haben sich mehr als 40.000 Menschen versammelt. Es ist der dritte globale Klimastreik von Fridays for Future (FFF), deutschlandweit sind fast zwei Millionen Menschen auf der Straße. Es herrscht Aufbruchsstimmung. In den vergangenen Monaten ist das Thema »Klimakrise« mit jedem Tag sichtbarer geworden. Greta Thunberg ziert gefühlt jede Woche den Titel eines anderen Magazins, alle paar Tage entsteht eine neue For-Future-Gruppe, Parents for Future, Entrepreneurs for Future, Christians for Future. Viele Konzerne und Betriebe haben ihren Mitarbeiter*innen frei gegeben, damit sie die Demonstration besuchen können. Jetzt endlich, so die Erwartung, wird sich etwas ändern. Irgendwo läuft auch ein kleiner antikapitalistischer Block mit roten Fahnen, misstrauisch beäugt von Fridays-for-Future-Mitgliedern, die ihn ganz ans Ende der Demonstration verwiesen haben.
März 2023. Wieder ein globaler Klimastreik, der elfte inzwischen. Auf dem Münchner Odeonsplatz haben sich Tausende Menschen versammelt, viele tragen Westen mit dem Logo von ver.di. Es sind weit weniger als 2019; am Ende wird Fridays for Future deutschlandweit 220.000 Teilnehmer*innen des Protesttags zählen. Dafür finden zeitgleich zu der Demonstration an vielen Orten in Deutschland Streiks der öffentlichen Verkehrsbetriebe statt – FFF hat sich mit ver.di verbündet. Die Arbeitgeberverbände sind nicht amüsiert, sie wittern den politischen Streik und sprechen von einer »gefährlichen Grenzüberschreitung«. Die Zahl der roten Fahnen auf der Demonstration ist stark angewachsen. »Klimakampf heißt Klassenkampf!«, ruft eine Rednerin von der Bühne; im Anschluss spricht eine Aktivistin darüber, dass es auch im Rollstuhl möglich ist, Tagebaue zu blockieren.
Keine Frage: Die Bewegung hat sich verändert. Die Klima(gerechtigkeits)bewegung ist keine sozialistische Bewegung. Aber sie hat sich einer solchen Perspektive angenähert. Dahinter steht weniger eine kollektive Entscheidung, denn ein schrittweiser Lernprozess.
Was sich verändert hat
Noch 2019 war der Gedanke, dass »wir alle« ein Interesse an der Bekämpfung der Klimakrise hätten, in der Bewegung weit verbreitet. Man müsse Politik und Wirtschaftsbosse nur richtig informieren, so der Gedanke, dann würde auch richtig gehandelt werden. Es war die konkrete Erfahrung, die dieses Bild zerstört hat. Da war der CEO von Siemens, der sich 2020 trotz anhaltender Proteste entschied, beim Bau einer der größten Kohleminen der Welt zu helfen. Da waren die Modekonzerne, die sich durch keine Debatte über »Fast Fashion« davon abhalten ließen, Tausende Tonnen Kleidung zu verbrennen; und da waren die Ölkonzerne, die mit Millioneneinsatz eine Bewegung von Klimawandelleugner*innen aufbauten. Inzwischen glaubt kaum noch jemand, dass Konzernbosse irgendetwas zur Klimarettung beizutragen hätten.
Heute glaubt kaum noch jemand, dass Konzernbosse irgendetwas zur Klimarettung beizutragen hätten.
Diese Erkenntnis hat auch dazu geführt, dass die Konsumkritik in der Bewegung stark zurückgegangen ist. Dass der persönliche »fossile Fußabdruck« von BP erfunden wurde, um den Blick von der eigenen Verantwortung für den Klimawandel abzulenken, ist inzwischen breit bekannt. Und von denjenigen, die seit der Hochphase der Bewegung vor vier Jahren in Klimakämpfen aktiv sind, glaubt eigentlich niemand mehr, dass Forderungen nach Verzicht und einem Verbot von Plastikstrohhalmen irgendjemanden weiterbringen. Großen Teilen der Bewegung ist klar: Unser Gegner*innen sind nicht die Steak- und Autoliebhaber*innen, sondern das Fleisch- und Autokapital.
Auch der Blick auf die Politik hat sich geändert. Als beim Großstreik 2019 das inhaltslose Klimapaket der Bundesregierung verkündet wurde, war die Enttäuschung noch riesig – große Teile der Bewegung hatten Hoffnungen in das Paket gesetzt. Als klar wurde, dass von der Großen Koalition nichts zu holen war, setzten dann viele auf die Grünen; Fridays for Future betätigte sich nahezu als Wahlhelferin. Die Strategie dahinter: die Grünen in die Regierung bringen und dann vor sich hertreiben. Heute, zwei Jahre und eine gewaltsame Lützerath-Räumung später, klingt diese Strategie für kaum jemanden noch überzeugend. Die einzige, die heute noch glaubt, dass es die Regierung sein könnte, die den Klimaschutz am Ende umsetzt, ist – ausgerechnet – die Letzte Generation.
Sie setzt darauf, so lange zu stören, bis die Regierung sie nicht mehr ignorieren kann. Aber selbst bei der Letzten Generation zeigen sich jene Veränderungen, die schon in den anderen Teilen der Klimabewegung zu sehen waren: Hatte die Gruppe zu Beginn noch ein Gespräch mit den Kanzlerkandidat*innen als Ziel ausgegeben, fordert sie nun einen »Gesellschaftsrat« aus gelosten Bürger*innen, der den Parlamentarismus ergänzen soll. Diese Forderung ist nicht neu. Extinction Rebellion fordert einen solchen Rat seit Jahren. In Frankreich ist er sogar bereits ausprobiert worden und hat eine Reihe sinnvoller Vorschläge erarbeitet – von denen die Regierung am Ende kaum einen umgesetzt hat. Was die Forderung aber zeigt, ist das Misstrauen, das selbst die Letzte Generation dem Staat inzwischen entgegenbringt. Der Versuch, sie als kriminelle Vereinigung zu verfolgen, wird dieses Misstrauen nicht unbedingt senken.
Klima- und Arbeiter*innenbewegung
Aber wenn Staat und Konzerne keine Verbündeten sind – wer dann? Dass die Antwort »die Arbeiter*innenbewegung« sein könnte, ist eine Idee, die sich erst seit kurzem in der Klimabewegung verbreitet. Dafür aber sehr nachdrücklich: Plötzlich streikt Fridays for Future zusammen mit ver.di, ruft der offizielle Account der Lützerath-Proteste zur Unterstützung der Streiks im Öffentlichen Dienst auf und werden Streikkonferenzen überschwemmt von Klimaaktivist*innen. Selbst die Letzte Generation spricht davon, Netzwerke mit »Arbeiter*innen« aufbauen und gegen »das Niederknien vor dem Profit und den Milliardären« vorgehen zu wollen.
Die junge Bewegung End fossil, die in den letzten Wochen deutschlandweit Hörsäle besetzt hat, um einen Schuldenschnitt für die Länder des Globalen Südens und die Vergesellschaftung der Energieproduktion zu fordern, schreibt auf ihrer Homepage: »Wir sehen gerade durch die aktuellen Streiks in z.B. Deutschland, Großbritannien oder Frankreich, welche politische Macht organisierte Massen haben. Inspiriert von diesen sozialen Kämpfen, möchten wir aus dem Erfahrungsschatz der Arbeiter*innenbewegung lernen.«
Aber wenn Staat und Konzerne keine Verbündeten sind – wer dann? Dass es die Arbeiter*innenbewegung sein könnte, ist eine Idee, die sich seit kurzem in der Klimabewegung verbreitet.
Es ist ein Ausdruck der schrittweisen Veränderung einer Bewegung, die bei weitem kein einheitlicher Block ist. Das Problem: Die meisten Menschen außerhalb der Bewegung haben die Veränderungen, die in ihrem Inneren vor sich gehen, nicht mitbekommen. Sie verbinden Klimaaktivismus weiter mit dem moralischen Zeigefinger, der zu individuellem Verzicht und dem Kauf von Ökoprodukten auffordert. Und auch, wenn dieses Bild zu großen Teilen nicht mehr zutrifft – es ist schwer zu zerstreuen.
Das hat auch mit den Aktionsformen zu tun: Aufmerksamkeit bekommt vor allem das, was sich gut anprangern lässt. So wie die Straßenblockaden der Letzten Generation, das ewige Lieblingsthema von Bild und Konsorten. Und egal, wie oft die LG betont, dass sich ihre Blockaden nicht gegen Privatpersonen richten – so lange sie Gefahr laufen, wegen angeklebten Aktivist*innen zu spät zur Arbeit zu kommen, werden viele Menschen ihnen das nicht glauben. Vor wenigen Tagen hat die LG nun angekündigt, ihre Proteste fortan gegen »die Symbole des Reichtums« richten zu wollen. Wie sich dieser Strategiewechsel in Aktionen ausdrücken wird? Wir werden es sehen.
Der Wert der Erfahrungen
Die Klimabewegung ist nicht durch intensives Nachdenken nach links gerutscht, sondern durch praktische Erfahrungen. So wie einst die Arbeiter*innenbewegung. Sozialistische Ideen sind erst durch die Kämpfe der organisierten Arbeiter*innenschaft groß geworden. Hiervon kann die Klimagerechtigkeitsbewegung von heute lernen. Nicht nur über die Rolle von Privateigentum und die Bedeutung von Streiks. Sondern vor allem darüber, wie sie ihren härtesten Gegner*innen besiegen kann: die Hoffnungslosigkeit.
Denn auch wenn den meisten Menschen in der Bewegung inzwischen klar ist, dass der Klimawandel systemische Ursachen hat: Wirklich akzeptiert haben es viele noch nicht. Und während die 1,5-Grad-Grenze immer näher rückt, reiben sie sich in anschwellender Panik jahrelang auf – um schließlich der Enttäuschung nachzugeben, weil auch die hundertste Demonstration keine wirkliche Veränderung erbracht hat. Dabei kann es helfen, sich vor Augen zu halten, was Rosa Luxemburg schon vor mehr als hundert Jahren geschrieben hat: Dass der Kampf um Verbesserungen nicht nur die einzelne Verbesserung zum Ziel haben sollte, sondern vor allem dazu dient, die eigene Stärke zu erhöhen – bis irgendwann die Kraft erreicht ist, die es braucht, um den Kapitalismus als Ganzes umzuwerfen. Auch eine Demonstration, deren Forderungen niemand umsetzt, kann in dieser Perspektive ein Gewinn sein: weil sie eine Verbindung schlägt, die es vorher nicht gab. Weil sie jemanden mitreißt, der vorher passiv war. Oder weil sie eine neue Erfahrung schafft, auf der man aufbauen kann.
Die Klimabewegung hat in den letzten Jahren viele solcher Erfahrungen gemacht. Sie wird auf ihnen aufbauen.