»Wir wollen die Zärtlichkeit nicht aus den Augen verlieren«
Fikri Anıl Altıntaş im Gespräch über Männlichkeit, Aktivismus und sein Buch »Im Morgen wächst ein Birnbaum«
Interview: Bilke Schnibbe
Die Debatte über die »Silvesterkrawalle« in Berlin kommentierte er Anfang März in der taz unter anderem so: »Toxische Männlichkeit wird in alter deutscher Tradition auf Migrant*innen abgewälzt.« Fikri Anıl Altıntaş publiziert und spricht seit einigen Jahren zu den Themen Männlichkeit, Orientalismus und Antifeminismus. Im April erscheint nun sein Debüt »Im Morgen wächst ein Birnbaum«, ein Band mit autobiografischen Kurzgeschichten. Mit ak spricht er über seinen Vater, Literatur, Politik, große Gefühle und das Verhältnis von rassistischer Abwertung und Klassenaufstieg.
Du hast ein Buch geschrieben, in dem es um die Beziehung von dir und deinem Vater geht. Wie bist du darauf gekommen?
Fikri Anıl Altıntaş: Ich habe gemerkt, dass die Beziehung zu meinem Vater Teil jeder Beobachtung war, die ich zum Thema Männlichkeit hatte. Das wollte ich aufschreiben. Ich wollte weniger über die Beziehung zu meinem Vater schreiben, sondern fragen: Okay, woraus sind meine Männlichkeitsvorstellungen entstanden? Welche Ideen wurden mir von ihm mitgegeben oder auch nicht? Ich wollte Gemeinsamkeit finden in dieser Gleichzeitigkeit von: Er ist 75 Jahre alt und damit viel älter als ich und natürlich werde ich ihn jetzt nicht auf einmal zum Feministen machen.
Aber immer wieder ins Gespräch darüber zu kommen, weil ich immer noch merke, dass sich, wie es in der Gesellschaft eben so ist, viele Unstimmigkeiten und Ungerechtigkeiten natürlich auch in unserer Familie manifestieren. Es war aber auch der Versuch aufzuschreiben: Wie ist mein Vater eigentlich aufgewachsen und was macht die Migration als emotionaler Prozess in dieser Frage? Wie kann ich dekonstruieren, dass die Leute sagen: Okay, mein Vater ist Türke, er ist Muslime, er muss ja so und so sein. Damit die Leute die Komplexität sehen, weil mein Vater auch eine linke Person ist, die nach Deutschland geflohen ist. Er konnte jahrelang nicht zurück in die Türkei.
Es war also eine Form von persönlichem Zugang und ich wollte dem mehr Raum geben, weil die Rückmeldungen, die ich bekommen haben, immer dann am wertvollsten für mich waren, wenn Leute, auch andere junge Männer, gesagt haben: Hey, cool, ich sehe mich in dieser Erzählung über Migra-Life.
Würdest du sagen, es ist ein politisches Buch?
Gute Frage. Es ist erst mal ein literarisches Werk. Das ist mein Anspruch. Aber das Buch ist natürlich auch politisch. Nicht unbedingt, weil ich es als politisches Buch mache, sondern weil ich mit meiner Positionierung ein politisches Objekt bin. Das Buch hat auch die Idee, bestimmte dominante politische Narrative über »migrantische Männlichkeiten« zu demystifizieren. Warum werden die Komplexitäten, die bei weißen, hetero, cisgeschlechtlichen Männern gesehen werden, nicht auch bei mir gesehen?
Das heißt, an sich habe ich einfach kurze Geschichten erzählt. Von dem scheiß Rassismus in Deutschland, von Hakenkreuzen in unserem Garten, ja, aber ich erzähle natürlich auch davon, wie ich im Schwimmbad bin mit meinen Jungs und wir halt Penisvergleiche machen. Diese Sachen, die viele cisgeschlechtliche Männer kennen. Aber das, was ich eigentlich ausdrücken will, steckt natürlich zwischen den Zeilen. Wenn ich zum Beispiel sage, mein Vater war all fun and games, dann wollte ich herausfinden, was dahinter steckte. Ich durfte lernen, mir wurden zum Beispiel Obstteller gebracht, aber meine Schwester musste die ganzen Carearbeitssachen von meiner Mutter übernehmen. Die Sachen erzähle ich schon, aber nicht auf: Mein Vater ist der große Patriarch, sondern beruhigt euch, das sind Geschichten, die viele Leute kennen.
Du hast grade schon Stereotype über migrantisierte Männer angesprochen. Hat für dich eine Rolle gespielt, wer das Buch liest? So im Sinne von: In diesem Klima jetzt bloß nichts schreiben, was Öl ins Feuer gießt?
Absolut. Aber gleichzeitig habe ich mich auch davon freigemacht, weil ich meine Werte nicht an so ein weißes Mehrheitspublikum heften wollte. Die Sprache, die ich für mich in diesem Buch gefunden habe, die ist hundertprozentig ich. Die hat sich voll aus einer Auseinandersetzung mit zum Beispiel türkischer Sprache, türkischer Literatur, Wortfetzen und Sprache bei uns zu Hause entwickelt. Andere würden diese Sprache vielleicht als kitschig bezeichnen, weil sie sehr liebestrunken ist. So Telenovela-Type-Shit. In dem Prozess habe ich gemerkt, das ist genau eigentlich ich und da will ich mich nicht schämen.
Fikri Anıl Altıntaş
ist Autor und schreibt über Männlichkeiten, Orientalismus und Antifeminismus. Sein Debüt »Im Morgen wächst ein Birnbaum« ist im btb Verlag erschienen.
Ich komme trotzdem natürlich nicht ganz davon weg, ans Publikum zu denken. Ich bin bei einem Publikumsverlag. Und ich habe ein bisschen Angst, dass die Leute sagen: Das ist ein total mutiges Buch. Im Kern will ich den jungen Kanaks den Mut geben zu sagen: Okay, eure Geschichte findet auch Platz in Publikumsverlagen, in der öffentlichen Debatte. Und ich will nicht für euch sprechen, aber ich will für unsere gemeinsame Sache mitkämpfen.
Und klar, ich bin akademisiert, ich bin privilegiert. Meine Eltern haben all diese Geschichten gehabt, aber ich spreche trotzdem nicht für die Leute, die in Neukölln rassistische Abwertung erfahren, auf gar keinen Fall. Trotzdem sehe ich natürlich Gemeinsamkeiten in der Art und Weise, wie wir alle von diesen Debatten über »migrantische Männer« beeinflusst sind. Wenn ich ehrlich bin, ist es eigentlich für diese Leute. Für meine Kanaks, die sowas auch mal lesen wollen, weil ich sowas früher gerne lesen wollte, mehr nicht.
Du schreibst über den Wunsch deiner Eltern, dass du es mal besser haben sollst und wie mit deinem Klassenaufstieg auch Abschied nehmen voneinander und sich nicht mehr verstehen zusammenhängt…
Ja, das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse für mich aus dem Schreibprozess: Zu 70 Prozent geht es um klassistische Abwertungen bei meinen Geschichten. Natürlich in Intersektion mit anderen Themen. Ich will jetzt nicht so klingen: Mein Leben ist nur kacke. Aber ich merke schon, mir tut dieses Leben hier in Berlin nicht weh. Ich führe hier mein geiles Leben. Flat White all the time.
Aber es gibt diesen Schmerz zu merken, dass meine Eltern nicht von ihrer sozialen Rolle wegkommen und sich nicht dafür erwärmen können, dass ich auch durch ihre vielfältige Carearbeit überhaupt an diesen Punkt gekommen bin, jetzt so zu leben. Das tut mir weh und ich merke, dass das was mit meinem Selbstwert gemacht hat, immer zu fragen: Darf ich überhaupt dieser Mann sein, der jetzt diese Sachen hier macht? Und gleichzeitig laufe ich wegen alldem Gefahr zu sagen: Hustlen bis zum Tod. Das ist die Ambivalenz.
Mir ist auch aufgefallen, wie viel davon eigentlich noch krass in mir drinsteckt, obwohl ich ganz anders lebe als meine Eltern. Da schreibe ich auch zum Beispiel, dass ich mich irgendwann früh entschieden hatte, dass ich kein Kanak sein will. Ich will nicht die Dinge machen, die Kanaks machen. Ich will so ein weißer Bürgi-Typ sein, der wahrscheinlich in einer heteronormativen Beziehung lebt und deutsche weiße Klassiker liest. Das hat mich auch dann früher zur Grünen Jugend gebracht und dann habe ich aufgegeben. (lacht)
Ich war auch mal bei der Grünen Jugend…
(lacht) High Five! Also das hat bei mir viel damit zu tun, dass mein Vater politisch ist und ich dachte, ich muss auch politisch werden. Cem Özdemir war mein großes Vorbild. Das war immer mit dem Versprechen verbunden: Ich will es besser haben, aber ich will mich vor allem von dieser rassistischen Abwertung abgrenzen.
Das war der emotionalste Prozess, das überhaupt zu begreifen: Okay, ich bin heute hier und esse Austern irgendwo in Berlin-Mitte versus woher ich komme. Wie gehe ich mit dieser Ambivalenz um, die in jedem sozialen Kontext da ist? Die ich mir selber abgesprochen habe und ich irgendwann dann selbst angefangen habe zu glauben, dass mein Vater ja so ist, weil er so und so aufgewachsen ist. Ich habe die Verletzlichkeit, aber auch die Fragilität in seinem Aufwachsen nie wirklich sehen wollen. Ich wollte selbst nicht wieder zurück an den Punkt, wo die Leute sagen: Du bist halt dieser Kanak, der so schwer aufgewachsen ist. Ich wollte ja auch mal was Besseres sein. Ich wollte auch mal weiß sein, in Tübingen Politik studieren und mit Boris Palmer streiten. Das war ich. Und da komme ich jetzt gerade von weg.
Die Einsicht muss erst mal sein, dass man überhaupt ein Thema mit Männlichkeit hat.
Neulich bist du mit deinem Vater in einer Performance im Rahmen der Universen am Schauspiel Hannover aufgetreten. Das sah nach viel Spaß aus. Dein Buch hat diese Leichtigkeit aus meiner Sicht auch. Du hast das grade Telenovela-Sprache genannt, liebevoll, so ein Ankommen von euch allen in deinem Text…
Voll schön, danke. Als wir die ersten Performances hatten, hat die Agentin für Diversity am Staatstheater Hannover, Leyla Ercan, das als Diskurs-Performance bezeichnet, was ich gut finde. Für mich geht es, jetzt mal sehr runtergebrochen, für die Öffentlichkeit ja im Prinzip darum die Zärtlichkeit, die meinem Vater und mir, wegen der Personen, die wir sind, abgesprochen wird, wieder positiv zu besetzen. Das eigentlich Coole war, dass mein Vater Bock hatte, da mit mir zu sitzen und überhaupt mal auf einer Bühne über sich selbst zu erzählen. Als 75-jähriger muslimisch-türkischer Mann, bei dem eigentlich kein Schwein juckt, was er sagt. Das war der Wholesome-Moment an der ganzen Sache. Ich habe ihm eigentlich nur assistiert.
Für mich geht es darum, erst mal nur Zärtlichkeit zu sehen und nicht zu sagen, dass Zärtlichkeit zu einer veränderten Männlichkeitsperformance führen muss. Das ist Wunschdenken. Dass Leute uns aber nicht mal zutrauen, dass mein Vater und ich irgendeine Form von Zärtlichkeit miteinander haben können, zeigt den Zustand der gesellschaftlichen Debatten über Kanak-Männlichkeiten. Da geht es auch im Buch drum: Wir haben uns voneinander verabschiedet in einer Form, aber wir wollen diese Zärtlichkeit zueinander nicht aus den Augen verlieren. Sonst treibt uns alles auseinander. Nicht nur die Distanz, sondern auch ich, wie ich gesellschaftliche Debatten für mich einnehme und selber die Orientalismen reproduziere.
Männer, die sich radikaler gegen Sexismus positionieren, werden in liberalen Kreisen schnell gefeiert. Was ironischerweise gut zum männlichen Bedürfnis nach Wichtigkeit passt. Ist das ein Thema für dich?
100 Prozent. Die Schwelle, was ich machen muss, damit ich gefeiert werde, ist extrem niedrig. Das ist ein Problem. Das ist auch oft Streitthema zwischen meiner Freundin und mir gewesen. Ich kann halt labern, wie ich will, aber wenn ich die Arbeit nicht zu Hause tue, dann brauche ich eigentlich auch nicht labern. Das habe ich anfangs nicht so richtig einsehen wollen. Wir haben viel sprechen müssen und ich reproduziere immer noch total viel problematisches Zeug. Ich kann gar nicht so viel wissen wie sie.
Die Einsicht muss erst mal sein, dass man überhaupt ein Thema mit Männlichkeit hat. Wenn die Leute anfangen zu denken: »Nee, ich reproduziere doch gar nichts problematisches.«, dann fehlt da eine gewisse Form von Sensibilisierung. Ich muss mich selber auch immer wieder fragen, warum ist diese Arbeit wichtig, die ich mache. Was ist schon wichtige Arbeit? Aber wenn dann so ein junger Kanak in der U-Bahn kommt und sagt: »Anıl, Ich finde das gut, dass du das machst, weil du es bist.« Dann denke ich mir, ja, das darf irgendeine Relevanz haben.
Die andere Seite ist ja auch, dass du in dieser Gesellschaft, anders als zum Beispiel viele weiße Männer, nicht ermutigst wurdest, für irgendetwas auf der Bühne zu stehen.
Absolut. Und das ist eine Sache, die ich mir immer wieder eingestehen muss. Ich will aber trotzdem nicht vergessen, dass ich ein cis-hetero Mann bin. Wenn ich das vergesse, dann habe ich es auch nicht gecheckt, weißt du. Und das in Einklang zu bringen, ist schwierig für mich, auch emotional. Ich glaube, ich muss mich an diese Verunsicherung gewöhnen und auch irgendeine Form von Sicherheit darin finden. Anders geht es nicht. Ich bin trotzdem ein Mann und ich genieße patriarchale Dividende, it is what it is! Wir sind ja in einer linken Zeitung, da wollte ich nochmal was Wissenschaftliches sagen. (lacht)
Das war’s. Hast du noch was Wichtiges hinzuzufügen?
Ähm, genau. Ein letztes Wort: Ich würde mehr cis-hetero Männer dazu ermutigen, Eurovision zu gucken.