»Wir kriegen alle nicht genug«
Warum sich Bahn-Beschäftigte, die bei den konkurrierenden Gewerkschaften EVG und GDL organisiert sind, zusammengeschlossen haben
Interview: Nelli Tügel
Bei der Bahn gibt es zwei größere konkurrierende Gewerkschaften, die immer wieder auch getrennt voneinander streiken: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und die zum DGB gehörende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Mit der Bahnvernetzung gibt es eine Initiative, in der sich Kolleg*innen aus beiden Gewerkschaften zusammengeschlossen haben, die das nicht mehr hinnehmen und gemeinsam kämpfen wollen. Dies erklären sie im Interview, das die Bahner*innen aus Sorge vor Repression sowohl durch die Arbeitgeber*in als auch die Gewerkschaftsapparate als Gruppe gegeben haben.
Der Vorsitzende der GDL, Claus Weselsky, hat den Groß-Streik der EVG am 27. März als »Schmierentheater« bezeichnet und nahegelegt, die EVG habe sich mit der Bahn abgestimmt. Hat er Recht?
Bahnvernetzung: Nein, er verkennt die Streikmacht der EVG. Es ist ein Unterschied, ob jedes zweite Triebfahrzeug still steht oder jedes zweite Stellwerk bestreikt wird. Mit seinem Verhalten hat Weselsky es verpasst, einen Schulterschluss mit der EVG auch für die künftigen Tarifverhandlungen der GDL im Herbst zu vollziehen. Klar ist aber auch, dass eine jede Gewerkschaft durch Streiks versucht, neue Mitglieder zu gewinnen beziehungsweise zurückzugewinnen.
Die EVG hat ja am 27. März – das ist etwas Besonderes – gemeinsam und koordiniert mit ver.di gestreikt. Seht ihr darin einen Fortschritt?
Ja, definitiv. Gemeinsam kämpfen und gemeinsam streiken ist essentiell auch für künftige Arbeitskämpfe. Arbeiter*innen müssen vernetzt werden, um ihre vollständige Kampfkraft zu entfalten. Was durch die Gräben der Gewerkschaftsbürokratie zwischen EVG und GDL nicht funktioniert, kann sehr gut mit anderen Gewerkschaften funktionieren, um eine starke Wirkung zu erzielen. Zudem sind EVG und ver.di in einzelnen Bahn- und Busunternehmen jeweilige Tarifpartner mit den jeweiligen Unternehmen.
Dass die EVG mit der GDL zusammen streikt, scheint dagegen nahezu unmöglich – die Fronten sind verhärtet. Warum wollt ihr das ändern?
Nur weil die Führungskräfte der EVG und GDL nicht in der Lage sind, miteinander zu sprechen, gilt das nicht für uns. Wir sind im Arbeitsleben Kolleg*innen und lassen uns nicht spalten, nur weil wir in unterschiedlichen Gewerkschaften organisiert sind. Wir halten diesen Laden am Laufen, wir bekommen alle nicht genug und wollen das alle ändern, und das geht am besten zusammen. Damit können wir uns als Eisenbahner*innen stärken und zeitgleich die Gewerkschaftsbürokratie unter Druck setzen, zusammen für und mit uns Bahnbeschäftigten zu kämpfen.
Und wie wollt ihr es ändern?
Wir wollen die Mitglieder beider Gewerkschaften zusammenbringen, um zu zeigen, dass wir an sich keine Differenzen haben. Wir wollen über aktuelle betriebliche Vorkommnisse und politisches Geschehen diskutieren. Gerade die politischen Auswirkungen der uns regierenden Politik auf uns als Gewerkschafter*innen und Beschäftigte wird zu oft allein von den Gewerkschaftsführer*innen behandelt und macht so die Gewerkschaften zu unpolitischen Organisationen, die sich dem Willen der Regierung beugen sollen. Stichwort: »Tarifeinheitsgesetz«.
Wir wollen zeigen, dass wir an sich keine Differenzen haben.
Was genau macht ihr als Bahnvernetzung?
Genau das, wir vernetzen uns als Bahner*innen landesweit und international und diskutieren über mögliche Wege und Probleme in unseren Gewerkschaften und Betrieben. Bis hin beispielsweise zu solchen Frage wie der Verweigerung, Militärtransporte zu fahren oder sie innerhalb der Transportlogistik zu bearbeiten.
Manche von euch sind in der einen, manche in der anderen Gewerkschaft – wovon hing es eigentlich ab, wofür ihr euch jeweils entschieden habt?
Bei den Fahrdienstleiter*innen bei der DB NETZ war das Engagement der GDL generell eher gering, da sie sie nicht als Zielgruppe verstehen. Die Lokführer*innen sind dagegen aus der Vergangenheit her meist in der GDL organisiert. Da spielten oft keine politischen Gründe eine Rolle, sondern eher persönliche und praktische Gründe.
Öffentlich giften sich EVG- und GDL-Spitzen ja eigentlich immer nur an – ist das an der Basis, am Arbeitsplatz, auch so?
Es gibt vereinzelte Anfeindungen, meist von Gewerkschaftssoldat*innen der einen wie auch anderen Gewerkschaft, die dem ziellosen Hetzen der Bürokratie gedankenlos folgen, ohne sie zu hinterfragen.
Wie geht es jetzt mit der Tarifrunde bei der Bahn weiter?
Ende April ist die nächste Tarifrunde der EVG mit der DB AG. Wir gehen zur Zeit nicht davon aus, dass ein annahmefähigen Angebot folgen wird und bereiten uns intern schon auf längere Streiks vor. Aber schnelle Tarifabschlüsse über Nacht, wie bei der Post, sind nicht auszuschließen.
Und dann steht ja auch eine GDL-Runde im Herbst an, richtig? Worum geht es da?
Wir gehen gerade davon aus, dass auch die GDL ähnliche Forderungen stellen und erkämpfen wird. Es wird intern von einem heißen Herbst und Winter gesprochen.
Neben der Lage der Beschäftigten ist auch die Lage der Bahn nicht gerade gut – die GDL macht die EVG mitverantwortlich dafür. Ist da etwas dran?
Nein. Wir als Gewerkschafter*innen kämpfen stets um Verbesserungen für die Beschäftigten. Die EVG verfolgt hierbei den Ansatz, dass ein integrierter Konzern die Lösung darstellt und ein Ausverkauf nicht sinnvoll ist. Auch dafür sind wir schon auf die Straße gegangen. Natürlich sollten beide Gewerkschaften noch stärker auf die Belange der Bahnkunden und -beschäftigten eingehen, um gemeinsam Druck auf die Politik – der Bund ist ja 100-prozentiger Eigentümer der Bahn – zu machen.
Was bräuchte es aus eurer Sicht, damit die Bahn ein kostengünstiges und gut funktionierendes Verkehrsmittel für alle wird?
Wir brauchen eine vollumfängliche Kostenübernahme aller Aus- und Umbaumaßnahmen bei der Bahn. Weiterhin eine Förderung des klimafreundlichen Transports egal ob Personen- oder Frachtverkehr. Dabei dürfen aber die Beschäftigten nicht vergessen werden, denn wir sind die Verkehrswende und ohne uns läuft nichts. Die Bahn muss allein einer gesetzlich verankerten Daseinsvorsorge dienen, nicht den Profitinteressen von Unternehmen, Konzernen und Banken. So würde auch viel Geld, aus den bisher privaten Gewinnen, wieder in eine öffentlich geführte und transparent kontrollierte Bahn fließen. Sinnlosprojekte der Geldvernichtung wie Stuttgart 21 gäbe es damit nicht mehr, sondern vielmehr funktionierende Züge.