»Was können wir tun, damit du es nicht wieder tust?«
Linke Täterarbeits-Konzepte tendieren zu Schuldumkehr zulasten der Betroffenen
Von Ashley Memo
Auch in linken Zusammenhängen üben vor allem Männer regelmäßig intime und sexuelle Gewalt aus. Als mögliche Antwort darauf werden in den letzten Jahren immer wieder »gemeinschaftsbasierte« Konzepte beworben, in denen die »Arbeit« mit Tätern eine zentrale Rolle spielt.
Nach Meinung ihrer Vertreter*innen sind die Konzepte betroffenensolidarisch und können wirksam dafür eingesetzt werden, Täter zur Verantwortungsübernahme zu bewegen. Eine genauere Betrachtung zeigt allerdings, dass diese verheißungsvollen Behauptungen im Allgemeinen falsch und gefährlich sind. Denn wichtige Vertreter*innen verharmlosen Täter und deren Strategien, ignorieren traumatheoretische und feministische Grundlagen und neigen dazu, Gewaltbetroffenen eine falsche Verantwortung aufzuhalsen und sie in eine gefährliche Abhängigkeit von Tätern zu drängen.
Täterstrategien
Dass sexuelle Gewalt überhaupt als weitverbreitetes Problem benannt wird, ist vor allem eine Errungenschaft der starken feministischen Bewegung der 1970er und Folgejahre.
Feminist*innen schufen auch die Grundlagen für ein kritisches Verständnis von Täterstrategien: Verhaltensweisen, mit denen Täter gezielt versuchen, in nahen Beziehungen vor allem Frauen zu kontrollieren und sie sich zu unterwerfen – ein durch und durch patriarchales Interesse.
Dieses Interesse allerdings vertreten Täter in der Regel nicht offen. Im Gegenteil: Sie stellen sich fast immer als passive Opfer ihrer Umstände dar und schreiben die Schuld an der Gewalt den Betroffenen selbst zu. Denn wenn es nach den Tätern geht, sollen die Betroffenen die Beziehung ja nicht ernüchtert verlassen. Sie sollen bleiben, auf Veränderung hoffen, sich für diese Veränderung persönlich verantwortlich fühlen – und sich damit den patriarchalen Ansprüchen der Täter unterwerfen.
Die Strategien von Tätern sind auch für Berater* innen gefährlich.
Diese systematische Schuldumkehr kann gerade in länger anhaltenden Gewaltbeziehungen zerstörerische Folgen haben: Betroffene fühlen sich dann zuständig dafür, die Beziehung zu »reparieren« und so die Gewalt gegen sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Oft entwickeln sie dabei die Vorstellung, dass sie die dafür nötige Kontrolle und Macht über den Täter tatsächlich haben. Diese Vorstellung und die damit verbundenen Hoffnungen sind in der Regel vollkommen unrealistisch.
Sinnlos sind sie deshalb aber nicht: Als Teil eines psychischen Schutzmechanismus helfen sie dabei, die reale Ohnmacht und das Ausgeliefertsein an den Täter erträglicher zu machen. Damit erschweren sie aber zugleich einen realistischen Blick auf die Gewaltbeziehung. Gerade über längere Zeit kann so eine starke Bindung an den Täter entstehen, die von Betroffenen im Nachhinein oft als eine Art Gefangenschaft in der Gewaltbeziehung beschrieben wird.
Falsche Hoffnung
Die Strategien von Tätern sind nicht nur für (Primär-)Betroffene gefährlich, sondern grundsätzlich für alle, die mit Tätern in Kontakt treten – also auch für professionelle Berater*innen.
Zu dieser Problematik allerdings ist in linken Täterarbeitskonzepten meist nichts zu lesen. Oft machen deren Vertreter*innen sogar den Eindruck, als wären sie selbst den Täterstrategien bereits auf den Leim gegangen.
Ein Paradebeispiel hierfür ist ein Buch, das hierzulande in transformativ arbeitenden Kreisen gerne empfohlen wird: »Was tun bei sexualisierter Gewalt? Handbuch für die Transformative Arbeit mit gewaltausübenden Personen«, geschrieben von der Gruppe Respons, 2018 im Unrast-Verlag erschienen.
Das »Handbuch« trägt seinen wichtigsten Trugschluss schon im Titel: Was auch immer bei sexueller Gewalt zu tun sein könnte, die Autor*innen beschränken sich und ihre Leser*innen von vornherein auf eine einzige Aufgabe, verändernd auf Täter einzuwirken. Dabei verlieren die Autor*innen kaum ein Wort zur Frage, wann Täterarbeit überhaupt sinnvoll, sinnlos oder eben gefährlich sein könnte. Die patriarchalen Interessen und Strategien von Tätern blenden sie von vornherein aus. So läuft ihr Konzept auf ein freiwilliges Beratungsangebot für Täter hinaus, in dem Aktivist*innen auf die Rolle hilfloser Bittsteller*innen verwiesen sind: Sie sollen in einem geschickten Balanceakt zwischen »Empathie« und »Konfrontation« Täter als Menschen erreichen und damit zur Veränderung bewegen. Diese unrealistische Vorstellung bildet den roten Faden des »Handbuchs«.
Es sollte erschrecken, wie sehr diese Vorstellung den Kontrollfantasien und Hoffnungen ähnelt, die Gewaltbetroffene in Beziehungen zu Tätern häufig entwickeln. Dass ein solches Konzept nicht funktionieren kann, lassen schließlich auch die Autor*innen durchblicken: »Uns ist, ehrlich gesagt, (…) kein (!) Beispiel eines [transformativen] Prozesses in Deutschland bekannt, in dem ein abschließender Erfolg am Ende der Arbeit stand, mit dem wirklich alle Beteiligten (inklusive der betroffenen Person) zufrieden waren«. Aber, so die Beschwichtigung, Transformation könne ohnehin »nicht gemessen oder garantiert werden«. Respons wolle »nicht entmutigen«, offenbar vor allem nicht sich selbst: »Wir glauben an die Möglichkeit zur Veränderung (…). Diese Hoffnung wollen wir uns nicht nehmen lassen«.
Die Autor*innen machen hier ihr eigenes Hoffen und Glauben zum Argument, statt sich auch nur ansatzweise mit dem offenkundigen Scheitern ihres Konzeptes auseinanderzusetzen. Das ist naiv und verantwortungslos. Das »Handbuch« ist geradezu eine Einladung an Aktivist*innen, sich im Rahmen »transformativer Arbeit« persönlich von Tätern und ihrer Willkür abhängig zu machen.
Dass es immer noch schlimmer geht, beweist Rehzi Malzahn, eine Strafabolitionistin und Vertreterin von Restorative Justice. Ihr Buch »Restorative Justice. Eine radikale Vision« ist 2022 im Schmetterling Verlag, Stuttgart, erschienen.
Die Schuldumkehr, die bei Respons nur unterschwellig angelegt ist, spricht Malzahn ganz offen aus: Betroffene seien mit dafür verantwortlich, Tätern eine Perspektive der Re-Integration anzubieten. Das Problem sei nämlich, dass bisher niemand ein »sicheres Umfeld« geschaffen habe, in dem die Täter »sich verletzlich machen« und dadurch wieder Mitgefühl entwickeln können.
Diese Argumentation ist aus traumatheoretischer Perspektive völlig absurd, denn, wie oben angedeutet, entwickeln Gewaltbetroffene häufig unrealistische Schuldgefühle Tätern gegenüber. Es kann Betroffenen äußerst schwer fallen, sich von Täteransprüchen abzugrenzen. Fast unmöglich kann ihnen das werden, wenn sie (noch) in einer nahen Beziehung zum Täter stehen oder anderweitig abhängig von ihm sind. Deshalb ist es so wichtig, Betroffene darin zu stärken, überhaupt eine eigene Perspektive auf ihre Situation zu entwickeln, die nicht vom Täter vorgegeben ist. Genau diesem Punkt aber steht Malzahns Argumentation entgegen, derzufolge Betroffene mitverantwortlich für die Re-Integration von Tätern sind. Das ist mit einer feministischen Position nicht vereinbar.
Abgrenzung und Trauer
Gegen die angesprochenen Konzepte muss also ganz grundsätzlich eingewendet werden, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Erstens: Gewaltbetroffene sind keinesfalls für »ihre« Täter oder deren Gewalt verantwortlich. Zweitens: Sie sind in ihrem Verarbeitungsprozess nicht kategorisch davon abhängig, ob diese Täter Täter bleiben oder nicht. Im Gegenteil: Eine Verarbeitung gerade traumatischer Gewalterfahrungen ist Menschen in der Regel erst dann möglich, wenn sie in keinem nahen Kontakt zum Täter mehr stehen und relativ sicher davor sind, in irgendeiner Weise (wieder) abhängig von ihm (gemacht) zu werden.
Das heißt: Auch nicht- oder semi-professionelle Unterstützungsangebote für Gewaltbetroffene müssen diese in erster Linie darin stärken, physisch und psychisch unabhängig vom Täter zu werden. Hierfür müssen Unterstützer*innen nichts von Täterarbeit verstehen, geschweige denn diese selbst leisten. Wovon sie allerdings etwas verstehen müssen, ist das zuweilen extrem ambivalente und quälende Bedürfnis Betroffener, einen Täter irgendwie doch noch »als Menschen« zu erreichen und zur Übernahme von Verantwortung zu bewegen. Unterstützer*innen müssen diesem Bedürfnis Raum geben und es aushalten können, gerade ohne es sich zur Handlungsanweisung zu machen. Sie müssen von sich aus darauf beharren können, dass weder sie selbst noch die Betroffenen schuld sind, wenn die Täter Täter bleiben.
Diese schwierige Abgrenzungsleistung kann in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden. Sie liefert ein wichtiges Argument dafür, dass nicht nur Täterarbeit, sondern auch Betroffenenunterstützung ohne ein gewisses Maß an Professionalisierung schnell in die Irre geht. Denn was das quälende Bedürfnis Gewaltbetroffener, einen Täter »als Menschen« zu erreichen, fast immer auch enthält, ist ein auch der*dem Autor*in persönlich nur allzu bekannter Versuch, nicht trauern zu müssen; auch nachträglich den Schmerz darüber nicht durchleben zu müssen, dass sich ein Täter mit seiner Gewalt längst als gutes Gegenüber entzogen hat, dass man ihn »als Menschen« bereits verloren hat. Was in Konzepten wie denen von Malzahn und Respons vielleicht am beharrlichsten ausgeblendet wird, ist dieser Verlust.
Wegen inhaltlicher Ungenauigkeiten in der Originalfassung wurden die Absätze des Artikels, die sich auf das Buch von Rehzi Malzahn beziehen, nachträglich überarbeitet. Die überarbeitete Fassung ist seit 5.7.2023 wieder online. Wir bitten, die Ungenauigkeiten zu entschuldigen.