Mythos Einzeltäterthese
Aufgeblättert: »Die Brandstiftung« von Uwe Soukup
Von Jens Renner
Immer noch hält sich in Teilen der Geschichtswissenschaft und der Medienlandschaft die These, der niederländische Rätekommunist Marinus van der Lubbe wäre als »Einzeltäter« verantwortlich gewesen für die Brandstiftung im Berliner Reichstag am 27. Februar 1933. Uwe Soukup zeigt jetzt in einem neuen Buch, warum die Einzeltäterthese nicht stimmen kann. Dagegen sprachen die vielen wahllos verteilten Brandherde. Vor allem war der verheerende Brand im Plenarsaal ohne die Verwendung von Brandbeschleunigern nicht möglich – es sei denn, der Saal wäre vorher damit präpariert worden. Entsprechende Spuren ließen sich auch tatsächlich nachweisen. Van der Lubbe dagegen hatte nur Kohleanzünder bei sich und viel zu wenig Zeit, um damit größeren Schaden anzurichten. Dass wussten schon die Gutachter, die 1933 im Reichstagsbrandprozess auftraten. Eindringlich schildert Soukup auch die planmäßige Geschichtsfälschung durch den Verfassungsschützer und Hobbyhistoriker Fritz Tobias, der 1959 in einer elfteiligen Spiegel-Serie die Einzeltäterthese verbreitete – eine These, die den Nazis implizit mildernde Umstände zubilligt. Denn wenn sie durch ein Ereignis, mit dem sie nichts zu tun hatten, überrascht wurden, dann ließe sich die darauf folgende brutale Repression auch als eine Art Überreaktion aus Angst vor dem kommunistischen Aufstand interpretieren. Absurd? Ja, aber in interessierten Kreisen ist das immer noch eine zumindest für diskutabel gehaltene Deutung zur Relativierung der deutschen Verbrechensgeschichte.
Uwe Soukup: Die Brandstiftung. Mythos Reichstagsbrand – was in der Nacht geschah, in der die Demokratie unterging. Wilhelm Heyne, München 2023. 208 Seiten, 22 EUR.