Es brennt – immer wieder, immer noch
In Berlin starb eine Frau aus Syrien infolge eines Brandanschlags – die Zahl der Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte stieg 2022 um 73 Prozent
Von Carina Book
Es hat lange gedauert, bis die Berliner Polizei die Öffentlichkeit informierte: Seit dem 20. Februar ist nun offiziell, dass eine 43-jährige Frau aus Syrien infolge eines Brandanschlags im Berliner Bezirk Pankow ihren schweren Verletzungen erlegen ist. Am 25. Januar war ein Wohnhaus, das als Unterkunft für Geflüchtete genutzt worden war, in Flammen aufgegangen. 44 Menschen konnten evakuiert werden, doch für die Mutter von sechs Kindern kam die Rettung zu spät. Sie starb zwei Wochen später, am 10. Februar, an den Folgen des Anschlags. Die Polizei ermittelt inzwischen wegen Brandstiftung mit Todesfolge.
Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), hat für das Verhalten der Polizei kein Verständnis: »Angesichts der seit Herbst bundesweiten Welle von rassistisch motivierten Brandstiftungen gegen bewohnte und unbewohnte Unterkünfte von Geflüchteten ist es völlig unangemessen, dass Polizei und Justiz in Berlin die Öffentlichkeit nur häppchenweise und auf öffentlichen Druck und Nachfragen über die Details des schweren mutmaßlichen Brandanschlags in Pankow am 25. Januar und der gravierenden Folgen für die mehr als 40 Überlebenden und Hinterbliebenen informiert haben.«
Sollte sich nun herausstellen, dass die tödliche Brandstiftung in Pankow rassistisch motiviert war, stellt dieser einen dramatischen Höhepunkt der rassistischen Gewaltwelle dar, durch die bis dahin nur durch Zufall niemand zu Tode gekommen war. Hiervor hatte der VBRG bereits im Herbst gewarnt und eindringlich an die Innenminister*innen insbesondere der ostdeutschen Länder appelliert, umgehend acht Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um Schlimmeres zu verhindern. Darunter beispielsweise eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten, da diese in den Sammelunterkünften ein leichtes Angriffsziel seien sowie ein Verbot von rechten Aufmärschen vor geplanten und bewohnten Flüchtlingsunterkünften aus Gründen der Gefahrenabwehr.
Doch von einer Gefahrenabwehr ist in Pankow wenig zu sehen, darauf machen auch die Berliner Register aufmerksam: Seit 2015 patrouillieren demnach Neonazis regelmäßig durch den Bezirk – auch in der Nähe der nun in Brand gesetzten Geflüchtetenunterkunft. Besonders aktiv: Die neonazistische Kleinstpartei Der III. Weg, die zuletzt im November 2022 eine »Kiezstreife« im Pankower Ortsteil Blankenburg durchführte. Und auch nach dem Brandanschlag setzen die Neonazis ihre Hass-Aktionen fort. Am 12. März meldete der Twitter-Account Jugendoffensive Brandenburg-Berlin, man habe hunderte Flugblätter gegen eine sich im Bau befindliche Flüchtlingsunterkunft im Pankower Ortsteil Rosenthal verbreitet. Die Berliner Register kommen zu dem Schluss: »Es gibt dort, wo der Anschlag verübt wurde, ein aktives extrem rechtes Personenpotenzial. Die rechte Propaganda nahm nach der Eröffnung eines Büros der AfD in der Region zu.«
Dass die Berliner Behörden Brandanschläge nicht einmal dann verhindern, wenn sie mit der Nase darauf gestoßen werden, zeigte bereits der Brandanschlag auf den Linksparteipolitiker Ferat Koçak im Jahr 2018.
Warum lassen die Behörden die Neonazis gewähren? Warum wurde der tödliche Anschlag in Pankow nicht verhindert? Dass die Berliner Behörden Brandanschläge nicht einmal dann verhindern, wenn sie mit der Nase darauf gestoßen werden, zeigte bereits der Brandanschlag auf den Neuköllner Linksparteipolitiker Ferat Koçak und seine Familie im Jahr 2018. Obwohl die zwei Neonazis von Mitarbeiter*innen des Berliner Verfassungsschutzes zwei Wochen vor dem Anschlag dabei beobachtet worden waren, wie sie Koçaks Wohnadresse auskundschafteten, schritten die Behörden nicht ein – die Betroffenen wurden nicht einmal gewarnt.
Rassistische Mobilmachung
Auch vonseiten der Politik sucht man vergeblich nach einem deutlichen Stoppsignal gegen rassistische Mobilisierungen. Im Gegenteil. Seit Monaten überschlagen sich Politiker*innen vom kommunalen Bürgermeister, über den Landrat bis hin zu einigen Landesregierungen in ihren Forderungen nach einer Begrenzung für Asylsuchende. Matthias Jendricke (SPD), Landrat im thüringischen Nordhausen, forderte, die Ausländerbehörden sollten berechtigt werden, ukrainischen Flüchtlingen gleich bei der Registrierung die Pässe abzunehmen und blies in dasselbe Horn wie Friedrich Merz, indem er vor »Sozialtourismus« warnte. Der Bautzener Landrat Udo Witschas verkündete in seiner auf Facebook veröffentlichten Weihnachtsbotschaft wörtlich: »Es ist nicht unsere Absicht, den Sport, ob nun den Schul- oder Freizeitsport, jetzt für diese Asylpolitik bluten zu lassen.« Außerdem wolle das Landratsamt nicht, »Menschen, die zu uns kommen, die unsere Kultur nicht kennen, die unsere Regularien nicht kennen, jetzt hier in Mehrfamilienhäusern und frei stehenden Wohnungen unterbringen und dafür die Gefährdung des sozialen Friedens in Kauf nehmen«.
Welche Auswirkungen solche Aussagen haben, ordnet Heike Kleffner so ein: »Die rassistischen Diskurse in Politik und Medien befeuern rassistische Mobilisierungen und dienen den Täter*innen von Bedrohungen und Gewalttaten gegen Menschen, die vor den russischen Angriffskriegen in Syrien und der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, zur Legitimierung.«
Exemplarisch lässt sich dies gegenwärtig in Mecklenburg-Vorpommern beobachten: In dem Bundesland, in dem im Herbst 2022 ein ehemaliges Hotel, in dem 14 Menschen aus der Ukraine untergebracht waren, abgefackelt wurde, laufen derzeit vielerorts Migrationsfeind*innen Sturm – und erfahren dafür allerhand Verständnis von lokalen Politiker*innen. Kurz nachdem am 26. Januar etwa 700 Migrationsfeind*innen versucht hatten, eine Kreistagssitzung in Grevesmühlen zu stürmen, auf der der Bau einer Unterkunft für Geflüchtete im nahegelegenen Ort Upahl beschlossen wurde, äußerte sich Landrat Tino Schomann (CDU) in den ARD-Tagesthemen so: »Der Bund muss begrenzen und steuern, muss die illegale Migration stoppen und muss die Abschiebeoffensive endlich starten, um auch Kapazitäten freiwerden zu lassen.«
Das ist der neue Sound der alten »Das Boot ist voll«-Platte – und die hat viele Fans bei »MV steht auf«, »Upahl sagt nein!«, »Keine Flüchtlingsunterkunft in Grevesmühlen«, bei Migrationsfeind*innen im Greifswalder Ostseeviertel, die Ende Februar versuchten, den Greifswalder Oberbürgermeister anzugreifen und in Neukloster, wo am 4. März bis zu 700 Personen, darunter auch Personen aus dem Umfeld von AfD und NPD, gegen eine geplante Containerunterkunft für Geflüchtete demonstrierten. Diese Aufzählung ließe sich traurig lange weiterführen.
So wie auch die Liste der Orte, in denen Unterkünfte von Geflüchteten im letzten Quartal des Jahres 2022 aus rechten Motiven heraus angegriffen wurden. Sie findet sich in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfragen von Abgeordneten der Fraktion Die Linke im Bundestag und zeigt ein deutliches Bild: Von Ost nach West, von Nord nach Süd – die rassistischen Eskalationen geschehen flächendeckend und bundesweit; in kleinen Dörfern, aber auch in Großstädten.
Für das gesamte Jahr 2022 verzeichnet die Statistik eine Zunahme von Angriffen um 73 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch statt sich für den konsequenten Schutz derjenigen einzusetzen, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind und in Deutschland Schutz suchen, wiederholt sich derzeit das, was schon 2015 zu beobachten war: Empathie und Verständnis für Rassist*innen und Migrationsfeind*innen, die als »besorgte Bürger*innen« verharmlost werden.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums verzeichneten die Behörden im letzten Jahr außerdem 1.248 Angriffe auf Asylsuchende oder Flüchtlinge außerhalb von Unterkünften – damit ist diese Zahl gleichbleibend hoch wie im Vorjahr. Jeden Tag werden in Deutschland durchschnittlich drei Asylbewerber*innen Opfer von rassistischen Angriffen. In vielen Orten sind inzwischen regelrechte Angstzonen für Geflüchtete und die, die dafür gehalten werden, entstanden.
Jeden Tag werden in Deutschland durchschnittlich drei Asylbewerber*innen Opfer von rassistischen Angriffen.
Auch an einer konsequenten Strafverfolgung mangelt es. Das zeigt etwa eine empirische Untersuchung von Jana Berberich, Kriminologin an der Ruhr-Universität Bochum. Anhand von Akten untersuchte sie, wie Polizei und Justiz mit rassistischen und rechten Brandanschlägen in Nordrhein-Westfalen und Sachsen zwischen 2015 und 2017 umgegangen sind. Berberichs Studie ergab, dass in Nordrhein-Westfalen und Sachsen nur zehn bis 15 Prozent der Täter*innen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Mit 91 Prozent und 84 Prozent in Sachsen fallen die Einstellungsquoten von Ermittlungsverfahren demnach sogar noch höher aus als in den 1990er Jahren. Die Kriminologin warnt: »Damit setzen sich die Kultur der Straflosigkeit und die Entstehungsbedingungen für weiteren rechten Terror fort.« Besonders vor dem Hintergrund, dass in Einzelfällen naheliegende Ermittlungsschritte – wie etwa Zeug*innenbefragungen von polizeibekannten Neonazis aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Tatorten – nicht stattfanden.
Straflosigkeit oder sehr milde Urteile senden vor allem eine Botschaft in Richtung der Täter*innen: »Ihr könnt Geflüchtete angreifen und Unterkünfte anzünden, aber ihr müsst euch keine Sorgen machen, dass dies Konsequenzen für euch hat.« So ähnlich müssen die Täter*innen, die am 28. Oktober 2022 in Bautzen das ehemalige Spreehotel erneut anzündeten, ein Urteil aus dem Jahr 2019 verstanden haben: Damals hatten drei junge Männer gestanden, im Dezember 2016 mehrere Molotowcocktails auf das Gelände des Spreehotels geworfen zu haben, in dem Geflüchtete untergebracht waren. Durch Glück war niemand zu Schaden gekommen, denn die angezündeten Brandsätze waren von selbst ausgegangen. Nach einem dreitägigen Prozess sprach das Landgericht Bautzen die jungen Männer vom Vorwurf der versuchten Brandstiftung frei – sie wurden lediglich für eine »Störung der öffentlichen Ordnung« zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Zwei Jahre nach diesem Urteil, im November 2022, sollten im Spreehotel erneut bis zu 200 Geflüchtete untergebracht werden. Die AfD organisierte den Protest dagegen. Kurz darauf brannte es im Inneren des Spreehotels. Heike Kleffner vom VBRG ist alarmiert: »Wir sehen die Wiederholungsgefahr unter anderem dort, wo es wie beispielsweise in Bautzen nach schweren Gewalttaten wie Brandstiftungen keine adäquate Strafverfolgung gegeben hat, die Täter von 2015/2016 straflos geblieben sind und politisch Verantwortliche sich an rassistischer Hetze und Zuschreibung beteiligen.«
Was tun?
Diese exemplarische Zustandsbeschreibung zeigt, dass weder die Strafverfolgungsbehörden noch die Justiz und schon gar nicht die Politik Lehren gezogen haben: nicht aus den 1990er Jahren, nicht aus dem NSU und auch nicht aus der rassistischen Gewaltwelle der Jahre 2015/16. Was muss jetzt geschehen? Heike Kleffner macht klar: »Am wichtigsten ist es, dass Menschen mit Fluchterfahrungen dezentral untergebracht werden und nicht in Sammelunterkünften am Stadt- oder Dorfrand ohne Infrastruktur und dass auch die Helfer*innen durch die Kommunal- und Landespolitik unterstützt werden. Es gibt ja nach wie vor sehr viele Unterstützer*innen und eine Willkommenskultur, die aber in die Defensive und in die Ermüdung gedrängt wird, wenn sich politisch Verantwortliche nicht klar positionieren und Ausstattung und Ressourcen fehlen.«
Weiterhin fordert der VBRG die Abschaffung von Residenzpflicht und Wohnsitzauflagen, um Geflüchteten einen besseren Schutz vor rassistischer Gewalt zu gewähren. Außerdem brauche es aus Gründen der Gefahrenabwehr ein Verbot von rechten Aufmärschen vor geplanten und bewohnten Flüchtlingsunterkünften.
Dies soll dazu beitragen, die Sicherheit der Betroffenen zu gewährleisten. Wichtig ist auch, dass eine Erweiterung des Opferschutzes im Aufenthaltsgesetz durch ein humanitäres Bleiberecht für Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt ohne festen Aufenthaltsstatus verankert wird, denn rassistische Täter*innen dürfen nicht davon profitieren, dass abgeschobene Opfer nicht mehr als Zeug*innen in Strafverfahren gegen sie aussagen können.
Und schließlich muss die Frage, was gelernt wurde aus den rassistischen Mobilisierungen der Vergangenheit auch an die Zivilgesellschaft gerichtet werden: Was macht die Freiwillige Feuerwehr in Herbrechtingen, der Fußballverein von Ibbenbüren, der Gewerkschaftsstammtisch in Plauen, der Kegelclub in Rostock, die Antifa in Erkelenz oder der Kirchenchor in Bielefeld? Hören sie den Betroffenen zu? Organisieren sie Unterstützung? Widersprechen sie der rassistischen Hetze? Bremsen sie ihre Landrät*innen und Bürgermeister*innen in deren Abschiebeforderungswettbewerb? Melden sie Gegenkundgebungen an oder sammeln Spenden für den Opferfonds des VBRG? Mit ihrem Einsatz steht und fällt, ob die rassistische Gewaltwelle gestoppt werden kann.