Ehrenlos
Nach den erfolgreichen Proteste gegen das Neonazitreffen »Tag der Ehre« in Budapest sitzen noch immer Antifas aus Deutschland im ungarischen Knast
Die Folgen der diesjährigen Gegenproteste zum »Tag der Ehre« in Budapest im Februar sorgten international für Aufruhr: mehrere Festnahmen, Identitätskontrollen, öffentliche Fahndungen, Razzien in Berlin, Leipzig, Jena und zunächst vier Personen, die in Untersuchungshaft landeten. Die Repression gegen Antifaschist*innen breitete sich sogar auf die Proteste gegen den Lukov-Marsch in Sofia zwei Wochen später aus, bei denen dem VVN-Bundesvorsitzenden die Ausreise aus Deutschland verweigert wurde.
Auslöser dieser Repression war ein im Internet kursierendes Video, das einen Überfall von mehreren Personen auf einen Menschen in Tarnkleidung zeigt. Dieses Video wurde zum Anlass genommen, auch die jährliche angemeldete Gegenkundgebung zum »Tag der Ehre« in Budapest zur Zielscheibe der Repression werden zu lassen. Zum ersten Mal seit über 25 Jahren gab es massenweise Identitätskontrollen, der Kundgebungsort wurde weitläufig abgeschirmt und Menschen wurden daran gehindert an der Kundgebung teilzunehmen.
Zwei der vier Festgenommenen befinden sich weiterhin in U-Haft, gegen die anderen ist das Verfahren noch nicht eingestellt. Vorgeworfen wird ihnen »Gewalt gegen Mitglieder der Gemeinschaft«.
Für so manche deutsche Medien ein gefundenes Fressen: Die Festnahme der vier Deutschen und die offenen Fahndungen nach weiteren nahmen sie zum Anlass, um über die Gewalt »der« Antifa zu berichten. Völlig nebensächlich bis unerwähnt: der sogenannte »Tag der Ehre« selbst.
Geschichtsrevisionismus
Am 11. Februar gedenken jedes Jahr mehrere Hundert Neonazis des gescheiterten Ausbruchversuchs der NS-Soldaten, der in der Budapester Burg 1945 seinen Anfang nahm. Die Rote Armee war im Winter 1945 so tief ins faschistische Ungarn vorgedrungen, dass sie Budapest eingekesselt hatte. Die Deutschen und ihre ungarischen Kollaborateure, die sich nicht ergeben wollten, kamen beim offensichtlich aussichtslosen Versuch am 11. Februar den Kessel zu durchbrechen, fast alle um. Dieses Ereignis wird nun geschichtsrevisionistisch gefeiert und heroisch als »Tag der Ehre« bezeichnet. Seit 1997 organisiert Blood & Honour Hungaria das Gedenken an die Gefallenen der Waffen-SS, der deutschen Wehrmacht und der ungarischen Pfeilkreuzler.
Das Wochenende ist zu einem der größten Netzwerktreffen der europäischen Neonaziszene herangewachsen. Neben einer Gedenkfeier mit Reden und dem traditionellen Kerzenanzünden in der Budapester Burg gibt es an dem ganzen Wochenende Programm unter anderem bestehend aus Rechtsrockkonzerten und einer 60 Kilometer langen Nachtwanderung, die die Ausbruchsroute der Nazis nachzeichnet.
Dieses Programm spricht unterschiedliche Spektren der rechten Szene an: sowohl Parteimitglieder, Burschenschafter, Kampfsportler*innen als auch Rechtsrock-Musiker*innen und ihre Anhänger*innen.
Als führende Organisationsstrukturen sind neben Blood & Honour Hungaria die paramilitärische Nazigruppe Légió Hungária aus Ungarn vertreten, die mittlerweile Hauptorganisator*innen des Events sind. Aus Deutschland hielten – wie auch schon in den vergangenen Jahren – Kader der Neonazipartei Der III. Weg und Vertreter der Partei Die Rechte sowie der Jungen Nationalisten Reden, in denen unter anderem Adolf Hitler zitiert wurde. Außerdem waren Mitglieder verschiedener Chapter der Hammerskins anwesend sowie neonazistische Kampfsportgruppen.
Die historische Wanderung Kitörès bietet einen sicheren Rahmen, für einige Stunden Teil einer faschistischen Erlebniswelt zu sein. Der ungarische Tourismusverband Hazajáró Honismereti és Turista Egylet bewirbt und unterstützt die Unternehmung unter dem Slogan »Gedenken an die heldenhaften Verteidiger unseres Landes und Europas«. Dazu passend ist der nachträgliche Bericht über die Wanderung – illustriert mit Bildern voller NS-Symbolik, beispielsweise von einem Kontrollpunkt mit Hakenkreuzfahne und Hitler-Porträt. Die Haltung des Tourismusverbandes ist ein Beispiel dafür, wie gefestigt Geschichtsrevisionismus im staatlichen Diskurs ist und, dass er ein verbindendes Element zum militanten Faschismus darstellt.
Laut der Fidesz-nahen Zeitung Magyar Nemzet ist das Fazit des Wochenendes um den 11. Februar eindeutig: »Der Antifaschismus ist Terrorismus, der von extremen, lebensfeindlichen Ideologien angetrieben wird.« Der Zeitungsartikel vom 18. Februar trägt den Titel »Lasst uns den Antifaschismus zurückweisen!«.
Die ungarische Regierung spricht sich immer wieder gegen antifaschistische Gruppen aus und bezeichnet diese als Gefahr für die nationale Sicherheit und Stabilität. So verkündete die Regierung Orbán bereits 2020: »Wir werden niemals zulassen, dass eine Gruppe extremistischer Anarchisten und Kommunisten das Leben normaler Bürger und die öffentliche Sicherheit bedroht.« Mehrfach wurde vor allem in Orbán-nahen Medien die Erzählung einer mystisch agierenden Antifa als Teil einer größeren linksextremen Bewegung verbreitet, die die Gesellschaft destabilisieren und das politische System stürzen wolle. Gar wird behauptet, sie würde mit ausländischen Geheimdiensten zusammenarbeiten und terroristische Ziele verfolgen. Neonazistische Strukturen werden kaum thematisiert. Der Versuch der Orbán-Regierung, das Narrativ von der vermeintlichen zweifachen Unterdrückung durch den NS und den real existierenden Sozialismus als hegemoniale Erzählung zu etablieren, scheint in der ungarischen Gesellschaft mehrheitsfähig. Die Rolle der ungarischen Kollaboration während des NS wird in dieser Erzählung quasi aufgelöst.
Jagd auf Antifas
Worüber ein Großteil der Presse im Kontext der diesjährigen Proteste nicht berichtete, sind die Aufrufe von Hooligans, an dem Wochenende Antifas zu jagen, dass ungarische Genoss*innen mit Klarnamen in Nazizeitungen geoutet und die Adressen linker Zentren im Zuge dessen verbreitet wurden. Bewusst unter den Tisch gefallen lassen wird der große Erfolg der diesjährigen Gegenproteste. Und das, trotz der vielfältigen Versuche, diese zu verunmöglichen. Es ist das erste Jahr, in dem ein Gedenken der Nazis auf der Budapester Burg aufgrund der antifaschistischen Proteste nicht möglich war. Doch verwunderlich ist das Schweigen eines überwiegenden Teils der Presse dazu ganz und gar nicht: Es ist Ausdruck einer langen Tradition des Geschichtsrevisionismus in Ungarn und einer Faschisierung durch Orbáns rechte Regierung.
Proteste gegen Naziaufmärsche sind nicht willkommen, vor allem nicht, wenn der Widerstand dagegen größer wird.
Vor diesem Hintergrund ist es umso bedeutender, dass die Frage, warum Antifaschist*innen sich international vernetzen, um nach Ungarn zu fahren, in der deutschen Öffentlichkeit bewusst nicht gestellt wird, sondern das Feindbild Antifa ebenso inszeniert wird. So müsste Deutschland doch die Faschist*innen im eigenen Land anerkennen und könnte sich nicht mehr mit der Aufarbeitung der NS-Zeit rühmen, laufen doch die eigenen Nazis in SS-Uniform durch Osteuropa.
Die Relevanz, der zunehmenden NS-Verherrlichung etwas entgegenzusetzen, haben Genoss*innen in Ungarn bereits früh erkannt. Seit Jahrzehnten organisieren sie an diesem Wochenende Gegenproteste und versuchen, Öffentlichkeit für das Thema zu schaffen. Teil davon war es dann auch, sich vor vier Jahren mit Antifaschist*innen in Deutschland zu vernetzen, denn vor allem Nazistrukturen aus Deutschland pflegen eine enge Verbindung zu den ungarischen faschistischen Strukturen. Seitdem ruft die Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen!«, die bereits 2004 im Rahmen der Gegenproteste zum Rudolf-Heß-Marsch im bayerischen Wunsiedel gegründet wurde, zur Teilnahme an den Gegenprotesten auf.
Dass im Zuge der erfolgreichen Proteste antifaschistische Strukturen mit Repressionen überzogen werden, zeigt deutlich die politische Schlagrichtung: Proteste gegen Naziaufmärsche sind nicht willkommen, vor allem nicht, wenn der Widerstand dagegen größer wird. Auch die zukünftige Zusammenarbeit von Antifaschist*innen auf internationaler Ebene wird – wie an der Ausreiseuntersagung, um an den Protesten gegen den geschichtsrevisionistischen Lukov-Marsch teilzunehmen, deutlich wird – versucht zu erschweren.
Diese Entwicklungen zeigen einerseits die Stärke und Wirkmacht internationaler Verbindungen und andererseits die Notwendigkeit einer fortlaufenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Antifaschismus auf. Das Ziel ist es weiterhin, den geschichtsrevisionistischen Aufmärschen Einhalt zu gebieten und das auf Grundlage gesellschaftlichen und politischen Widerstands.