Wissing will Seenotrettung unmöglich machen
Mit neuen Regularien soll es NGOs erschwert werden, überhaupt in See zu stechen
Der Referentenentwurf zur »Änderung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV)« aus dem Hause von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) mutet harmlos und wenig bedrohlich an. Und doch beinhaltet dieses Papier eine dramatische Gefährdung für die Arbeit der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer.
Vordergründig geht es in dieser Verordnung darum, dass kleinere Schiffe mit »politischen … und humanitären Aktivitäten oder vergleichbaren ideellen Zwecken« zukünftig nicht mehr dem »Freizeitbereich« zugerechnet werden können und somit strengeren Sicherheitsstandards unterliegen. Die Folgen für die NGOs sind jedoch fatal: Wegen den erforderlichen, aufwendigen und kostspieligen Umbaumaßnahmen und den geänderten Versicherungsbedingungen, müssten sie den Einsatz ihrer kleineren Schiffe beenden und diese kurzfristig oder dauerhaft aus dem Verkehr nehmen. Vertreter*innen von namhaften Seenotrettungsorganisationen sehen sich deshalb durch diese geplante Verordnung in der Fortführung ihrer Arbeit aktiv behindert und haben bereits gegen die geplanten Änderungen lautstark Position bezogen.
Prompt beschwichtigt der Verkehrsminister. Die Änderung ziele nicht auf die »Behinderung von privater Seenotrettung ab« – im Gegenteil: Durch sie soll »Schutz von Leib und Leben gewährleistet sein«. Das ist an Zynismus kaum zu überbieten. Konkret heißt das für die zahllosen Ertrinkenden: Gerne würden wir euch helfen, aber das geht leider nicht, denn die Sicherheit an Bord entspricht leider nicht den deutschen Standards – Sorry. Operation gelungen, Patient tot.
Andere Staaten probierten schon zuvor über die Schifffahrtsgesetze, NGOs an der Seenotrettung zu hindern. Die Masche ist also nicht neu. 2020 setzte die italienische Küstenwache die Sea-Watch 4 in Palermo fest, um sie elf Stunden zu kontrollieren. Der Vorwurf: Das Schiff sei nicht für die Rettung von Menschenleben registriert. Andere Schiffe der zivilen Seenotrettung wurden nach einer ähnlichen Kontrolle einfach für mehrere Monate in Mittelmeerhäfen beschlagnahmt. Das Ziel von EU und Frontex war damit mittelfristig erreicht, nämlich die Unterbindung der Seenotrettung.
Der Verkehrsminister spielt seinen gefährlichen Vorstoß runter und behauptet, es seien von der Änderung gerade einmal sechs Boote betroffen. Aber genau diese sechs kleineren Schiffe zeichnen sich dadurch aus, dass sie schnell und wendig sind. Denn die NGOs im Mittelmeer kämpfen nicht nur gegen die raue See. Vielmehr befinden sie sich im einem tödlichen Wettlauf gegen die Zeit, Frontex und libysche Milizen, um Menschenleben zu retten. Nur wer schnell vor Ort ist, kann Schlimmeres verhindern.
Fallen diese Boote aus, entsteht eine weitere klaffende Rettungslücke. Wobei hier von »Lücke« zu sprechen, nicht ganz den Sachverhalt trifft. Das Mittelmeer ist längst in weiten Teilen rettungslos. Die verbliebenen Boote der zivilen Seenotrettung sind die allerletzten Lichtflecken in der ansonsten vorherrschenden totalen humanitären Finsternis, die der Rückzug staatlicher Seenotrettung hinterlassen hat. Die zahllosen Toten belegen das Tag für Tag.
Wer gehofft hat, mit der neuen Bundesregierung habe sich der Stellenwert der zivilen Seenotrettung grundlegend geändert, darf sich jetzt die Äuglein reiben. Auch wenn sich im Koalitionsvertrag die Ampelmänner und -frauen hoch und heilig versprochen haben, die zivile Seenotrettung nicht zu behindern, passiert das Gegenteil: Die geplanten Änderungen sind auf den Weg gebracht und stehen kurz vor der endgültigen Umsetzung. Nur der lautstarke Protest der viel beschworenen Zivilgesellschaft kann vielleicht noch etwas ausrichten. Statt sechs hilfreiche, kleinere Boote aus dem Verkehr zu ziehen, könnte es schon helfen, den Verkehrsminister außer Betrieb zu setzen – die dadurch entstehende Lücke könnte der Seenotrettung im Mittelmeer dienlich sein.