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Ein Krümel macht nicht satt

Die Ausstellung »THE F*WORD – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign« im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg kritisiert wütend und humorvoll den Gender-Art-Gap

Von Sarah Steffens

An der Außenwand des Museums: Dieses Franzbrötchen repräsentiert die 400.000 grafischen Arbeiten im MK&G – Dieser Krümel steht für die Arbeiten von Frauen: 1,5%. © Guerrilla Girls, courtesy guerrillagirls.com

Sich selbst an die Nase zu fassen ist meist nicht leicht. Der eigenen Sammlung, der eigenen Institution an die Nase zu fassen ist noch schwieriger. Mithilfe der Guerilla Girls und etwas Wille zur Selbstreflexion macht das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G) es aber möglich. Ein von den Guerilla Girls entworfenes Banner hängt unübersehbar an der Außenwand des Museums. Darauf ein Franzbrötchen – es steht für 400.000 Arbeiten, die sich in der Sammlung Grafik und Plakat befinden. Ein Krümel, der die 1,5 Prozent der Arbeiten von Frauen darin repräsentiert. Das MK&G sendet die Botschaft nach draußen: »Wir haben noch Arbeit vor uns!«  Die Ausstellung »THE F*WORD – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign« macht den ersten Schritt.

Man könnte meinen, eine so feministische und wortwörtlich plakative Ausstellung in einer musealen Institution umzusetzen sei mutig. Jedoch scheint die Selbstkritik an der eigenen Sammlung, die in ihrem Bestand und Inhalt die Unsichtbarkeit von FLINTA (1) und BIPoC Personen fördert, längst ein Ding der Überfälligkeit zu sein.

Der zentrale Raum der Ausstellung, getunkt in buntes und lautes Wanddesign, ist den zahlreichen Plakaten, Flyern und Videos der Guerilla Girls gewidmet. Die Aktivist*innengruppe, bestehend aus bislang hinter Gorillamasken anonym gebliebenen Künstler*innen, gründete sich 1985 in New York. In ihrer künstlerisch-aktivistischen Arbeit nutzen sie Statistiken, Wut und Humor für sich, um Diskriminierung, Ausbeutung und das Unsichtbarmachen von Frauen, queeren und BIPoC-Personen im internationalen Kunst- und Museumsbetrieb offenzulegen und auf Veränderung zu pochen.

In der Mitte des Raumes finden sich zwei Liegestühle, davor das wohl bekannteste Plakat der Gruppe: »Do Women have to be naked to get into the Met. Museum?« Hier kann man sich entspannen, die Augen durch den Raum schweifen lassen und sich die in Worten, Zahlen und Bildern verfasste Misere richtig auf der Zunge zergehen lassen.

Einen Raum weiter geht das MK&G derselben Frage nach und evaluiert den Stand der Sammlung »Grafik und Plakat« in einer Mischung aus kuratorischer Beichte und Transparenz – eine Einladung zum Kopfschütteln. Nur 1,5 Prozent von 400.000 Grafiken und Plakaten werden Gestalterinnen zugesprochen. Rund 80 Prozent der in der Sammlung vertretenen Gestalterinnen sind aus Europa. Es gab noch keine einzige Einzelausstellung einer Grafikdesignerin im MK&G.

In erfrischendem Kontrast dagegen begegnet uns eine Menge und Vielfalt an grafischen Arbeiten von Gestalterinnen. Eine Art kuratorische Wiedergutmachung, die durchaus annehmbar ist. Arbeiten von Käthe Kollwitz, Paula Scher, Barbara Kruger und Maria Isaevna Volkova hängen dicht an dicht und überwältigen mit ihrer Power.

Ausstellungsansicht »The F* word – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign«, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Foto: Henning Rogge, Hamburg

Außerdem findet sich eine Vielzahl an eindrücklichen Protestplakaten der deutschen Frauen- und Lesbenbewegung aus den 1970er bis 1990er Jahren. Es ist schon fast eine lachende Träne wert, dass genau jene Menschen, die sich die Grafik als aktivistisches Mittel zu eigen machten und meisterten, um ihren Stimmen Gehör zu verschaffen, ausgerechnet jene sind, die keinen Platz in den Kunstausstellungen erhalten.

Müssen wir wirklich weitere 150 Jahre warten, um eine nicht von Männern dominierte Sammlung zu sehen?

Die Ausstellung hinterlässt eine Gefühlsmischung aus trauriger Erkenntnis und Wut auf die Klemmen der Institution, aber auch Hoffnung für die Zukunft. So hat das MK&G Hamburg sich selbst an die Nase gefasst und den Besucher*innen Einblick gegeben in einen kritischen Zustand und somit einen Grundstein für Aufarbeitung gelegt. Doch was die Ausstellung vor allem offenlegt, ist das Maß an unerledigter Arbeit, welches noch mehr Fragen und Forderungen mit sich bringt als Antworten: Müssen wir wirklich weitere 150 Jahre warten, um eine nicht von Männern dominierte Sammlung zu sehen? Wann stehen queere und BIPoC-Positionen im Fokus und nicht mehr nur als Randnotiz umhüllt in der Phrase »und andere marginalisierte Gruppen«? Wie lange müssen wir warten, bis mehr als nur ein Krümel der Institutionen Gesicht bekennt und anfängt, sich in den Diskurs zu involvieren, anstatt mit leeren Floskeln und eingestaubten Kunstwerken vor ihm zu fliehen?

Anmerkung:

1) Die Abkürzung FLINTA steht für Frauen, Lesben sowie intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender (also geschlechtslose) Personen.

Sarah Steffens

ist angehende Kunsthistorikerin, kuratorische Assistenz, freie Autorin und vor allem queere Feministin mit Leib und Seele.

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