Kinder und Geschlechterverhältnisse
Aufgeblättert: »Kinderhaben« von Heide Lutosch
Von Kim Wöller
Es ist ein erstaunlicher Sieg der zweiten Frauenbewegung: Väter wollen ihre Kinder nicht nur abends und am Wochenende sehen. Doch noch immer gelingt es den wenigsten Paaren, die Sorgearbeit gerecht aufzuteilen. Antworten auf diese und andere Fragen gibt Heide Lutosch in ihrem Buch »Kinderhaben«. Sie bezieht sich dabei auf marxistische, feministische und psychoanalytische Theorien. Aber – und das macht ihr Buch so besonders – sie verbindet dies mit ihren persönlichen Erfahrungen als Mutter. Das macht das Buch zu einem ebenso gut lesbaren wie gedankenreichen Text. Im Zentrum ihrer Analyse steht das Abgrenzungsbedürfnis westdeutscher Töchter von ihren Müttern, die in den 1970er und 1980er Jahren noch überwiegend Hausfrau waren. Die Autorin erlebte dies als geradezu existenziell: »Endlos lange, leere Vormittage und die gierigen und meist abgeschmetterten Kontaktversuche mit denen, die jeden Mittag ›aus der Welt‹ nach Hause kamen« – das beschreibt sie als »das spezifische Unglück, das hinter der Fassade der Hausfrau und Mutter lauerte«. Befreiung davon verspricht, wenn die Mutter wie der Vater zu einer Figur der Ablösung und Handlungsfähigkeit wird. Die Autorin berichtet eindrücklich, wie mühsam und frustrierend der Vorsatz, es anders machen zu wollen als die Mutter, für sie war. Aber sie ist keine »regretting mother«. Sie würde sich wieder für Kinder entscheiden – nur in einer anderen Gesellschaft mit anderen Geschlechterverhältnissen.
Heide Lutosch: Kinderhaben. Matthes & Seitz, Berlin 2023. 103 Seiten, 12 EUR.