Liberale Gewaltspur
Wie ein US-gestützter Massenmord in Indonesien die westliche Weltordnung durchzusetzen half
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine rückte der »Westen« zusammen und beschwört täglich seine »Wertegemeinschaft«. Weltweite Geltung erhielt diese durch eine liberale Ordnung, die mit dem Sieg des Westens im Kalten Krieg nach 1989 fast weltweit durchgesetzt wurde. Die Geschichte dieser Weltordnung als vermeintlichem Sieg von Demokratie und Rechtstaatlichkeit enthält offenkundig viele dunkle Kapitel.
Ein weithin unbekanntes Beispiel dafür ist der Massenmord an indonesischen Kommunist*innen 1965. Dieser kostete wahrscheinlich mehr als eine Million Menschen das Leben; die Schätzungen reichen bis zu drei Millionen. Das Buch »Die Jakarta Methode« von Vincent Bevins untersucht dieses Massenmordprogramm im Kontext des Kalten Krieges und zeigt, wie die Massaker umfassend von westlichen Geheimdiensten, darunter der deutsche BND, unterstützt wurden.
Der vergessene größte Sieg des Kalten Krieges
Indonesien hatte sich nach dem Ende der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg von der niederländischen Kolonialherrschaft befreit. Unter dem Präsidenten Sukarno entstand in dem multiethnischen und multireligiösen Staat eine Demokratie, die erst nach mehreren Destabilisierungsversuchen durch westliche Geheimdienste 1959 in eine Phase »gelenkter Demokratie« überging. Die Kommunistische Partei war eine wichtige Stütze der Sukarno-Regierung. Sie hatte eine große Massenbasis und Erfolge bei Wahlen, agierte vollständig unbewaffnet und richtete sich weder nach sowjetischen noch chinesischen Weisungen. Sukarno selbst war eine Leitfigur der Dritte-Welt-Bewegung, die für Kooperation, Wachstum und Blockfreiheit der ehemals kolonialisierten Teile der Welt einstand. Doch mit Fortschreiten des Kalten Krieges akzeptierten die USA keine Neutralität mehr, insbesondere nicht in Staaten mit starken kommunistischen Bewegungen.
Als im September 1965 ein Coup einiger Soldaten scheiterte, war das für das Militär unter dem rechtsgerichteten General Suharto der Vorwand zur vorbereiteten Machtübernahme. Die CIA hatte da bereits das indonesische Militär als größte antikommunistische Kraft im Land ausgemacht und finanziell unterstützt. Nun folgten die großen Massaker. Das Militär nahm tatsächliche und vermeintliche Kommunist*innen fest, folterte sie und brachte sie um. Teils wurden auch Kleinkriminelle zu Tätern. In den folgenden Monaten kam es zusätzlich zu rassistisch motivierter Gewalt gegen chinesischstämmige Menschen und zu massiver Gewalt gegen Frauen.
Jakarta wurde zum Synonym für antikommunistisch motivierte Gewalt.
Die CIA unterstützte das Mordprogramm materiell und durch die Übergabe von Listen mit vermuteten Kommunist*innen – all das ist inzwischen durch freigegebene Dokumente der US-Behörden dokumentiert. Insgesamt, so Bevins, hatten die USA die perfekte Form der antikommunistischen Intervention gefunden. Die langfristige Förderung rechtsgerichteter Militärs versprach Erfolge, ohne das eigene Ansehen oder gar wie in Vietnam das Leben von US-Soldat*innen aufs Spiel zu setzen.
Die Vernichtung der indonesischen Linken wurde somit zum Vorbild für rechte Bewegungen auf der ganzen Welt, der Name der Hauptstadt wurde zum Synonym für antikommunistisch motivierten Massenmord. In Brasilien planten rechte Kräfte eine »Operacao Jacarta«. »Yakarta viene« – »Jakarta kommt« prangte als Graffiti an Hauswänden in Santiago de Chile, kurz bevor der Sozialist Salvador Allende durch einen von den USA unterstützten Militärputsch gestürzt wurde.
Bevins beschäftigt sich auch mit den Konsequenzen, die verschiedene linke Gruppierungen aus den Geschehnissen in Indonesien zogen. Wenn schon unbewaffnete linke Bewegungen und integrierte kommunistische Parteien mit politischen Zielen, die im Westeuropa der Nachkriegszeit als gemäßigt sozialdemokratisch durchgegangen wären und etwa in Japan von den USA selbst durchgesetzt wurden, mit der gewalttätigen Auslöschung rechnen mussten, erschien vielen nun Militanz und Guerillataktik als möglicher Weg.
Partnerschaft oder Unterjochung
Warum aber, so eine zentrale Frage des Buches, wurde den Bürger*innen der westlichen Länder erlaubt, stabile Demokratien zu entwickeln und Wohlstand umzuverteilen, während vielen hundert Millionen Menschen in der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems durch blutige Umstürze Diktaturen und korrupte und extrem ungleiche Marktwirtschaften aufgezwungen wurden? Da das Buch auf ausführlichen Interviews mit Menschen aus den betroffenen Ländern basiert, lässt Bevins hier eine Betroffene zu Wort kommen: »Rassismus, ganz einfach«. Und Bevins’ Erklärung lautet: Die westeuropäischen Länder waren mächtiger und reicher und ihr eigenes Los in der neuen US-geführten Ordnung war attraktiver; ihnen war daher leichter zu »vertrauen«.
Eine Analyse des Imperialismus als System von Beziehungen zwischen Staaten kann und muss beide Erklärungsansätze berücksichtigen. Es gibt ein Interesse an verlässlichen Handelspartner*innen, es braucht entwickelte Absatzmärkte genauso wie nicht-entwickelte Rohstofflieferant*innen. Die jeweilige Rolle, die unterschiedlichen Ländern in diesem Geflecht zukommt, ist gewissermaßen historisch kontingent. Rassismus ist ein gewichtiger Faktor, wie Bevins zeigen kann.
»Die Jakarta Methode« lenkt die Aufmerksamkeit auf die Perspektiven der Menschen in von fanatischem Antikommunismus besonders betroffenen Ländern der »Dritten Welt«. Wenn die US-Hegemonie im 21. Jahrhundert zunehmend ins Wanken gerät, so liegt es selbstverständlich nicht nahe, dass eine neue Weltordnung, etwa unter der Führung der Volksrepublik China, automatisch menschenfreundlicher wäre. Doch einseitig auf die Vorzüge der liberalen Weltordnung zu verweisen, ignoriert ihre ungeheuerlichen Blutopfer in Indonesien und anderen Regionen der Welt, denen Sozial- und Rechtsstaatlichkeit verwehrt wurden.
Vincent Bevins: Die Jakarta Methode. Aus dem amerikanischen Englisch von Glenn Jäger. PapyRossa, Köln 2023. 427 Seiten, 28 EUR.