Sieg des fossilen Kapitals
Die Klimakonferenz COP27 glich einer Handelsmesse für Investitionen
Von Daniel Tanuro
Einige Tage vor der Eröffnung der COP27 im ägyptischen Sharm el-Sheikh schrieb ich, diese Konferenz werde ein »neuer Gipfel des Greenwashing, des grünen Kapitalismus und der Unterdrückung« sein. Das war ein Irrtum. Greenwashing und Unterdrückung waren mehr denn je an der Tagesordnung. Doch der grüne Kapitalismus musste einen Rückschlag hinnehmen, der fossile hat einen klaren Sieg errungen.
Den grünen Kapitalismus kann man als die Kapitalfraktionen und ihre politischen Vertretungen definieren, die die Klimakatastrophe durch eine Marktpolitik aufhalten wollen. Es sollen Unternehmen dazu angehalten werden, grüne oder »kohlenstoffarme« Energietechnologien einzuführen. Wirtschaftswachstum, steigende Gewinne und ein rascher Rückgang der Emissionen sollen miteinander vereinbar sein. Bis 2050, so die Annahme, könne auf diese Weise sogar die Klimaneutralität, die »Netto-Null«, erreicht werden.
Zur Eindämmung des Klimawandels kommen noch die Anpassungskomponente an die nunmehr unvermeidlichen Auswirkungen der globalen Erwärmung und eine Finanzierungskomponente hauptsächlich für die Länder des Südens. Auch in diesen beiden Bereichen sind die Befürworter*innen des grünen Kapitalismus der Meinung, dass der Markt den Job erledigen kann. Sie sehen darin sogar eine Chance für das Kapital. Das 2015 auf der Pariser Klimakonferenz erzielte Abkommen war ein typisches Beispiel für diese Politik des grünen Kapitalismus, das noch auf der COP26 in Glasgow 2021 Bestätigung fand. Doch am Ende der Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh ist die Bilanz eindeutig: Von den in Glasgow eingegangenen Verpflichtungen ist kaum etwas übrig geblieben. Die jährliche Erhöhung der Ambitionen fand nicht statt. Alle Staaten hätten ihre »nationalen Beiträge« aktualisieren müssen. Nur 30 haben sich dieser Aufgabe gestellt, und auch das nur sehr unzureichend.
Die COP26 hatte ein Arbeitsprogramm zum Klimaschutz verabschiedet, das von der COP27 umgesetzt werden sollte. Beschlossen wurde lediglich, dass der Prozess »nicht vorschreibend, nicht strafend« sein und »keine neuen Ziele mit sich bringen« dürfe. Das in Glasgow beschlossene Ziel von maximal 1,5 Grad wurde beinahe infrage gestellt. Zudem wurde nichts beschlossen, um den schrittweisen Ausstieg aus der Kohle zu konkretisieren. Die indische Delegation schlug geschickt einen Text über den Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen (nicht nur aus Kohle, sondern auch aus Öl und Gas) vor. Überraschenderweise unterstützten 80 Industrie- und Entwicklungsländer den Text. Aber weder die ägyptische Präsidentschaft noch die Abschlusserklärung griffen ihn auf. Der Begriff »fossile Brennstoffe« taucht nur ein einziges Mal in dem Text auf, in dem dazu aufgerufen wird, »die Anstrengungen zur Verringerung (der Nutzung) von ›Kohle ohne Emissionsminderung‹ (1) zu beschleunigen und ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen«. Die Formulierung ist identisch mit der in Glasgow angenommenen.
Doppelte Anrechnung von Emissionsgutschriften
Wir dachten, wir hätten in Sachen Greenwashing schon alles gesehen, aber nein: Einige der in Sharm el-Sheikh getroffenen Entscheidungen bergen das Risiko, dass Verschmutzungsrechte doppelt angerechnet werden können. In Paris ist beschlossen worden, einen »neuen Marktmechanismus« einzuführen. Dieser soll den Clean Development Mechanism (CDM, Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung) aus dem Kyoto-Protokoll ablösen. Von nun an wird der Markt für Emissionszertifikate zwei Geschwindigkeiten haben: auf der einen Seite ein Markt für Emissionsgutschriften, auf der anderen Seite ein freier Markt für »Minderungsbeiträge«. Auf letzterem könnten Emissionsreduktionen doppelt gezählt werden – einmal vom Verkäufer und einmal vom Käufer. Außerdem wird es den Ländern, die bilaterale Vereinbarungen zur Emissionsreduzierung abschließen, freistehen zu entscheiden, ob die eingesetzten Mittel »vertraulich« sind – und damit nicht überprüfbar.
Sie schwören auf den Markt? Nun, die fossilen Brennstoffe, die den Markt beherrschen, dominierten die COP.
Hinzu kommt: Das populäre Thema der negativen Emissionen bzw. der Kohlenstoffentfernung aus der Atmosphäre erhöht das Risiko von Greenwashing auf dem Markt für Emissionsgutschriften erheblich. Theoretisch könnten verschiedene Methoden und Technologien zum Einsatz kommen. Doch es besteht die große Gefahr, dass sie als Ersatz für Emissionsreduktionen dienen. Die Kohlenstoffentfernung müsste daher streng definiert und eingegrenzt werden. Vor allem, wenn sie die Nutzung von Land zur Energiegewinnung einschließt, da diese Nutzung mit der Nahrungsmittelproduktion und dem Schutz der biologischen Vielfalt in Konflikt geraten könnte. Ein zuvor benanntes technisches Gremium sollte sich mit diesem Problem befassen. Es sieht sich mit einer solchen Fülle von Vorschlägen konfrontiert, die umstritten sind oder nie geprüft wurden. Es steht das Schlimmste zu befürchten – zumal die Vorschläge von einer Allianz zwischen dem Agrobusiness und der fossilen Industrie vorangetrieben werden.
Verluste und Schäden
Die Medien berichteten ausführlich über die Entscheidung der COP27, einen Fonds für Verluste und Schäden einzurichten – eine Forderung, die arme Länder und kleine Inselstaaten seit 30 Jahren erheben, die von den Klimakatastrophen am meisten betroffen sind, während die Erderwärmung hauptsächlich von den entwickelten kapitalistischen Ländern verursacht wird. Die USA und die EU haben sich immer gegen den Fonds gewehrt, aber in Sharm el-Sheikh wurde der Druck der Länder aus dem Globalen Süden zu groß: Entweder werde ein Fonds eingerichtet oder der COP-Prozess beendet. Eine tiefe Kluft zwischen Nord und Süd entstand.
Zum Globalen Süden gehören dabei so unterschiedliche Länder wie die Ölmonarchien, China und die sogenannten am wenigsten entwickelten Länder. Um zu verhindern, dass diese Länder einen Block bilden, der durch die antiwestliche Rhetorik des Kreml unterstützt wird, konnte es sich der westliche Imperialismus nicht leisten, nichts zu tun. Die EU brachte die Situation ins Rollen, indem sie folgende Bedingungen stellte: Der Fonds muss verschiedene Finanzierungsquellen haben (einschließlich bestehender und »innovativer« Quellen); Geld aus dem Fonds dürfe nur an die am stärksten gefährdeten Ländern fließen; und die COP muss die Klimaschutzziele »anheben«. Die ersten beiden Punkte wurden erfüllt, der dritte nicht.
Zweifellos: Die Einrichtung des Fonds ist ein Sieg für die ärmsten Länder, die immer stärker von Katastrophen wie den Überschwemmungen kürzlich in Pakistan oder Niger heimgesucht werden. Es ist jedoch ein symbolischer Sieg, denn die COP27 hat nur eine vage Grundsatzentscheidung getroffen. Wer wird zahlen? Wann, wie viel und vor allem: Wer wird das Geld erhalten? Die Betroffenen vor Ort oder korrupte Institutionen? Um diese Fragen sind harte Kämpfe zu erwarten. Saudi-Arabien, die Emirate und Katar werden sich weigern zu zahlen und sich darauf berufen, dass sie von der UN als »Entwicklungsländer« definiert werden. China wird höchstwahrscheinlich das Gleiche tun, mit dem Argument, dass es durch bilaterale Abkommen im Rahmen seiner »neuen Seidenstraßen« einen Beitrag leistet.
Überdies werden andere Finanzierungsversprechen der reichen Ländern immer noch nicht erfüllt: Die 100 Milliarden Dollar pro Jahr werden nicht in den Grünen Klimafonds eingezahlt, und die Verpflichtung, die Mittel für den Anpassungsfonds zu verdoppeln, wurde nicht umgesetzt.
Geopolitischer Kontext
Die sich daraus ergebende Schlussfolgerung ist: Die Klimapolitik des grünen Kapitalismus mit den Komponenten Minderung, Anpassung und Finanzierung ist in Sharm el-Sheikh gescheitert. Der Vorreiter des grünen Kapitalismus, die Europäische Union, wäre beinahe ausgestiegen und hätte die Tür hinter sich zugeschlagen. So endete die COP27 mit einem Sieg des fossilen Kapitals.
Dieser Sieg ist in erster Linie das Ergebnis des geopolitischen Kontextes, der durch die abebbende Pandemie und durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geschaffen wurde. Wir befinden uns in einer Situation zunehmender zwischenimperialistischer Rivalität und Aufrüstung. Noch sind die Kriege lokal und noch nicht alle erklärt worden, aber die Möglichkeit eines Flächenbrandes verfolgt alle kapitalistischen Entscheidungsträger. Auch wenn sie es nicht wollen, bereiten sie sich darauf vor. Und diese Vorbereitung bedeutet paradoxerweise sowohl die Beschleunigung des Ausbaus von erneuerbaren Energien als auch die verstärkte Nutzung fossiler Brennstoffe. Das wiederum bedeutet eine enorme Ausweitung der Profitmöglichkeiten für die großen kapitalistischen Konzerne der Kohle-, Öl- und Gasindustrie mitsamt dem dahinter stehenden Finanzkapital.
Ein zweiter Faktor für den Sieg des fossilen Kapitals ist die Natur des COP-Prozesses selbst. Seit Paris ist das kapitalistische Sponsoring dieser Gipfeltreffen explosionsartig angestiegen. In Sharm el-Sheikh scheint es, als sei die Quantität in Qualität umgeschlagen. Von den 20 Unternehmen, die die COP27 sponserten, waren nur zwei nicht direkt oder indirekt mit der fossilen Industrie verbunden. Die Industrielobbys der Kohle-, Öl- und Gasindustrie hatten mehr als 600 Delegierte entsandt.
Das fossile Lobbying scheint die Taktik geändert zu haben: Anstatt den Klimawandel, seinen anthropogenen Ursprung oder die Rolle des CO2 zu leugnen, liegt der Schwerpunkt nun auf sogenannten sauberen fossilen Brennstoffen und auf Technologien zur Kohlenstoffentfernung. Die Financial Times (26.11.2022), über jeden Verdacht des Antikapitalismus erhaben, brachte das Problem auf den Punkt: Der fossile Einfluss auf die Verhandlungen hat so stark zugenommen, dass die COP27 in Wirklichkeit eine Handelsmesse für Investitionen war, insbesondere in Gas (laut EU »grüne Energie«!), aber auch in Öl und sogar Kohle.
Ein dritter Faktor war die Rolle der ägyptischen Präsidentschaft. Die Diktatur von General as-Sisi hat eine doppelte Leistung vollbracht: Einerseits hat sie sich als ein Land etabliert, das man trotz der heftigen Unterdrückung jeglicher Opposition besuchen kann. Andererseits hat sie sich als Sprachrohr der sich nach Klimagerechtigkeit sehnenden Staaten, insbesondere auf dem ärmsten Kontinent der Welt, inszeniert, während sie tatsächlich mit den größten Förderern fossiler Brennstoffe gemeinsame Sache gemacht hat.
Die Europäer*innen, allen voran Frans Timmermans, der Vizepräsident der Europäischen Kommission, jammern und fluchen: Die Chance, unter 1,5 Grad zu bleiben, schwinde zunehmend. In der Tat. Aber wer ist schuld? Es wäre zu einfach, die Schuld auf andere zu schieben. In Wirklichkeit sind diese Verfechter des grünen Kapitalismus in ihrer eigenen neoliberalen Logik gefangen: Sie schwören auf den Markt? Nun, die fossilen Brennstoffe, die den Markt beherrschen, dominierten die Klimakonferenz.
Die Zukunft wird zeigen, ob es sich dabei nur um einen Schluckauf der Geschichte handelt. Die COP28 wird von den Vereinigten Arabischen Emiraten geleitet, von dieser Seite ist nichts zu erwarten. Die Antwort wird von der Entwicklung der geopolitischen Weltkonjunktur abhängen, d.h. in letzter Instanz von sozialen und ökologischen Kämpfen. Entweder werden Massenrevolten die Mächtigen erschüttern und sie zwingen, die Zügel schleifen zu lassen. Dabei ist es egal, welche Triebfeder der Kampf hat – Inflation, ein Mord zu viel wie im Iran oder ein Polizeieinsatz in China – es wird sich ein Raum öffnen, um das Soziale und Ökologische zu vereinen und somit auch Maßnahmen im Sinne einer anderen Klimapolitik durchzusetzen. Oder der Wettlauf in den Abgrund geht weiter.
Diesmal wagte es niemand wie sonst üblich zu sagen, dass die COP zwar enttäuschend, aber dennoch ein Schritt nach vorn gewesen sei. Es sind zwei Dinge glasklar geworden: Es wird keine wirklichen Schritte nach vorn geben ohne radikale antikapitalistische und antiproduktivistische Maßnahmen. Und: Diese werden nicht aus Klimakonferenzen hervorgehen, sondern aus den Kämpfen und ihrer Verknüpfung.
Anmerkungen:
1) Die französischsprachige Originalfassung dieses Textes erschien am 28. November auf alencontre.org. Diese gekürzte deutsche Fassung beruht auf der englischsprachigen Version, die am 1. Dezember auf internationalviewpoint.org erschien. Übersetzung: Fabian Westhoven.
2) Der Ausdruck »Kohle ohne Emissionsminderung« bezieht sich auf Verbrennungsanlagen ohne CO2-Abscheidung zur geologischen Sequestrierung oder industriellen Nutzung.