Vergesellschaftung im Kleinen
Erfahrungen der Mieter(bei)räte bei landeseigenen Wohnungsunternehmen zeigen, wie es nach der Enteignung privater Wohnungsbestände weitergehen könnte
Von Philipp Möller
Wenn Leute Verantwortung für gesellschaftliche Strukturen wie ihre Häuser übernehmen sollen, dann müssen sie das lernen. Das kann man nicht einfach deklarieren«, sagt Konstantin, frisch gewählter Mieterbeirat am Kottbusser Tor. Sein Haus wurde, wie viele weitere Blöcke am »Kotti« im Herzen des Berliner Bezirks Kreuzberg, im vergangenen Jahr durch die städtische Howoge übernommen. In den letzten zwölf Jahren kauften die landeseigenen Wohnungsunternehmen insgesamt über 55.000 Wohnungen von privaten Wohnungskonzernen.
Die Mieter*innen in diesen rekommunalisierten Beständen haben ein Recht auf demokratische Beteiligung durch unternehmensweite Mieterräte und quartiersbezogene Mieterbeiräte. Auf ihre Erfahrungen lohnt ein genauerer Blick, um die Chancen, aber auch Schwierigkeiten aufzuzeigen, die mit einer Vergesellschaftung von Wohnraum einhergehen, zu der neben einer gemeinnützigen Bewirtschaftung der Bestände auch eine umfassende demokratische Beteiligung der Mieter*innen gehört.
Erkämpfter Kompromiss
Die Mieterräte bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen waren Ergebnis eines Kompromisses, den der Koordinierungskreis des damaligen Mietenvolksentscheids mit dem Berliner Senat 2016 aushandelte. Der Volksentscheid wollte eine grundsätzliche Neuausrichtung durch die rechtliche Umstrukturierung und Demokratisierung der landeseigenen Wohnungsunternehmen erreichen. In Verhandlungen verständigten sich Vertreter*innen der Initiative mit dem Senat darauf, einige soziale Mindeststandards für die Unternehmen gesetzlich festzuschreiben. Im dafür vorgesehenen Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG) wurden erstmalig auch die unternehmensweit agierenden Mieterräte eingeführt, die in den einzelnen Unternehmen je eine*n Vertreter*in mit Stimmrecht in den Aufsichtsräten stellen.
Die Mieterbeiräte gibt es hingegen in der Bundesrepublik bereits seit den 1980er Jahren. Sie arbeiten quartiersbezogen und sollen bei der Gestaltung des Wohnumfeldes mitwirken. Unternehmen wie der Mieter*innenschaft dienen sie als Ansprechpartner*innen und Vermittler*innen. Im Gegensatz zu den Mieterräten können sie keinen direkten Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen.
Die bestehenden Gremien bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen sind für Niklas Stoll von der Vergesellschaftungs-AG von Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE) eher eine »Kontrastfolie«. »Letztendlich sind die Mieterräte bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen leider Bittsteller mit wenig Entscheidungsbefugnissen und stark abhängig vom Wohlwollen der Geschäftsführungen«, sagt er. Die Mietervertreter*innen in den Aufsichtsräten könnten aufgrund der Verschwiegenheitspflicht kaum Rücksprache mit ihren Kolleg*innen halten oder die Inhalte aus den Sitzungen an die Basis zurücktragen. In den Quartieren fehlten Beteiligungsgremien mit tatsächlichen Entscheidungsbefugnissen über Investitionen, etwa für Modernisierungs- oder Bauvorhaben, und eigene Budgets. Die Vergesellschaftungs-AG erarbeitet derzeit einen Vorschlag für die Konzeption der Anstalt öffentlichen Rechts (AöR), die die Wohnungen nach der angestrebten Enteignung verwalten soll. Die AöR soll den Mieter*innen auf allen vier geplanten Ebenen – den Siedlungs-, Gebiets-, Gesamt- und Verwaltungsräten – dabei umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten einräumen und einzelnen Häusern und Mieter*innengemeinschaften auch Möglichkeiten zur Selbstverwaltung bieten.
Vertreterin für bis zu 10.000 Haushalte
Die schon heute existierenden Mieterbeiräte bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen sollen laut einer Vorgabe des Senats ab einer Größe von 300 zusammenhängenden Wohnungen in einem Quartier gewählt werden. Eine Obergrenze, wie viele Wohnungen maximal pro Beirat vertreten werden dürfen, gibt es hingegen bislang nicht. Bei der Howoge vertritt ein Mieterbeirat deshalb bis zu 10.000 Haushalte. Eine lokale Verankerung wird dadurch erheblich erschwert. Die Durchführung der Wahlen für die Mieterbeiräte ist eine Aufgabe der landeseigenen Unternehmen.
Tatsächlich geht die Gründung vieler aktiver Mieterbeiräte aber auf sich selbst organisierende Mieter*innen zurück, die sich zunächst zu inoffiziellen Mieter*innengruppen zusammenschlossen und erst später als Mieterbeiräte kandidierten. Ein Beispiel dafür ist der Mieterbeirat in der Großsiedlung in der Heerstraße Nord in Spandau. Hier kaufte die Gewobag 2019 rund 3.500 Wohnungen von der ADO in teils marodem Zustand. »Es gab eine große Unzufriedenheit mit Fahrstuhlausfällen, Wasserschäden und der Reinigung«, erzählt Tom Liebelt, der als Sozialarbeiter im ansässigen Gemeinwesenverein arbeitet. Bereits 2016 organisierte er gemeinsam mit Mieter*innen der ADO eine Versammlung. Aus dieser Vorbereitungsgruppe bildete sich eine Mieter*innengruppe, deren Mitglieder sich heute zum Teil im Mieterbeirat bei der Gewobag engagieren. Der Gemeinwesenverein ist eine wichtige Stütze für die Arbeit der Mietervertreter*innen, indem er etwa Räume für Mieter*innenversammlungen zur Verfügung stellt und verschiedene Mieter*innengruppen im Kiez vernetzt.
Dass die Beteiligung von Mieter*innen an den Gremien indes durchaus kein Selbstläufer ist, zeigt nicht zuletzt die geringe Beteiligung bei den Wahlen zu den Mieterräten 2022. Auch am Kottbusser Tor waren es bereits bestehende Strukturen, allen voran die Initiative Kotti und Co, die das Fundament einer aktiven Beteiligung der Mieter*innenschaft bilden. Die Aktivist*innen der Initiative sind durch ihr jahrelanges Engagement, von Mietrechtsberatungen bis hin zu regelmäßigen Haustürgesprächen, vor Ort fest verankert. Durch das vom Senat finanzierte Projekt Re-Komm Plus erhielten sie die Möglichkeit, nicht nur ehrenamtlich, sondern auch bezahlt Umfragen zu den Interessen und Wünschen nach Beteiligung unter den Mieter*innen durchzuführen.
Viele aktive Mieterbeiräte gehen auf Selbstorganisation in den Wohnvierteln zurück.
Nach der Rekommunalisierung der Häuser am Kotti wollten Aktive aus der vor drei Jahren gegründeten AG Süd von Kotti und Co zunächst einen autonomen Mieterrat nach Vorbild des Neuen Kreuzberger Zentrum gründen. Die Howoge kam ihnen jedoch mit einer eigenen Ankündigung zu Mieterbeiratswahlen zuvor. Nun stellen die Aktivist*innen einen Großteil der Mitglieder des offiziellen Mieterbeirats. »Wir wechseln jetzt aus der Selbstorganisation in den Häusern in eine neue Position, mit der Rechte, aber auch Pflichten einhergehen«, erläutert Konstantin. Die Mieterbeiräte sind der Suche nach Lösungen für die Probleme in ihren Quartieren zur Kooperation mit den Unternehmen verpflichtet. »Innerhalb der AG Süd haben wir viel darüber diskutiert, was eine Kandidatur für einen persönlich bedeutet. Nun freuen wir uns, dass wir als aktive Nachbarschaft mit so vielen Kandidierenden im neuen Mieterbeirat vertreten sind«, ergänzt Jannis, der sich wie Konstantin bei der AG Süd engagiert, aber kein Mieterbeirat ist. Einigen, die zunächst noch gezögert hatten, habe die Unterstützung durch Kotti und Co einen letzten Ruck gegeben, als Mieterbeirat zu kandidieren. Die Initiative werde ihre Arbeit auch jenseits der offiziellen Gremien fortsetzen.
Eher weiß, eher älter, eher gebildet
Mit Blick auf die Zusammensetzung des Mieterbeirats merkt Jannis an, dass es nicht gelungen sei, die Mieter*innenschaft am Kotti in ihrer Breite abzubilden. Gerade Menschen mit Migrationsgeschichte fehlten in dem Gremium. Auch bei der diesjährigen Konferenz der Mieterräte und -beiräte waren die meisten Beteiligten eher weiß, eher älter und eher gebildet. Diese Erfahrungen werfen wichtige Fragen für die praktische Umsetzung einer Vergesellschaftung auf: Wie können Mieter*innen, die bislang von ihrem Vermieter als passive Kund*innen behandelt wurden, für eine Beteiligung aktiviert werden? Wie lässt sich sicherstellen, dass die Vertreter*innen in den Räten tatsächlich die Diversität der Bewohner*innen abbilden? Die AG-Vergesellschaftung von DWE diskutiert als Antwort auf diese Fragen über professionelles Organizing auf Kiezebene, das die Mieter*innenschaft regelmäßig aufsucht und die Mieter*innen über die Arbeit der Gremien informiert sowie zur Beteiligung ermutigt.
Eine weitere Schwierigkeit, die sich bereits in den existierenden Gremien bei den landeseigenen Unternehmen zeigt, ist die Verknüpfung der unterschiedlichen Repräsentationsebenen. Die Zusammenarbeit zwischen Mieterräten und -beiräten verlief in der ersten Legislatur der auf fünf Jahre gewählten Mieterräte nicht immer reibungslos. Beide Gremien agieren auf unterschiedlichen Ebenen mit je eigener Institutionslogik. Bei den Mieterbeiräten laufen die Sorgen der Nachbarschaft zusammen. »Wir sind das Sprachrohr der Mieter gegenüber der Gewobag«, erklärt Christopher Ortmann, Sprecher des Mieterbeirats in der Heerstraße Nord. Viele Kontaktaufnahmen mit den Mieter*innen fanden über persönliche Kontakte im Quartier statt, die oftmals sehr individuelle Anliegen an die Mieterbeiräte herantragen, für die konkrete Lösungen gefunden werden müssen. Diese direkte Verbindung zur Mieter*innenschaft wiederum fehlt den Mieterräten, die auf der Unternehmensebene agieren und dort übergreifende und strategische Entscheidungen treffen sollen, etwa über Investitionen oder Leitlinien.
Um zwischen diesen Ebenen einen Kommunikationsraum herzustellen, bedarf es großen Engagements der ehrenamtlich tätigen Mietervertreter*innen. Eine wichtige Brückenfunktion nimmt dabei die AöR Wohnraumversorgung ein, die ebenfalls aus dem erwähnten Kompromiss zum Mietenvolksentscheid hervorging und, neben der Erarbeitung von Leitlinien und dem Controlling der Unternehmen, auch die Mietervertreter*innen in ihrer Arbeit unterstützen und qualifizieren soll. Aus diesen Erfahrungen heraus setzt die AG-Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen & Co enteignen in ihrer Konzeption für die geplante AöR auf ein Zusammenspiel aus Dezentralität und Zentralität mit möglichst lokal und unabhängig agierenden Siedlungs- und Gebietsräten, erläutert Niklas Stoll. »Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo sie auch umgesetzt werden.« Um eine Kooperation mit dem Verwaltungsrat sicherzustellen, brauche es einen institutionalisierten Austausch mit dem Siedlungs- und Gebietsrat. Zudem sollen die Mitglieder des Gesamtrats und des Verwaltungsrats jeweils aus der darunter liegenden Ebene delegiert werden und mit einem imperativen Mandat ausgestattet sein. Die Siedlungs- und Gebietsräte werden hingegen direkt von den Mieter*innen gewählt.
Um zwischen diesen Ebenen einen Kommunikationsraum herzustellen, bedarf es großen Engagements der ehrenamtlich tätigen Mietervertreter*innen. Eine wichtige Brückenfunktion nimmt dabei die AöR Wohnraumversorgung ein, die ebenfalls aus dem erwähnten Kompromiss zum Mietenvolksentscheid hervorging und, neben der Erarbeitung von Leitlinien und dem Controlling der Unternehmen, auch die Mietervertreter*innen in ihrer Arbeit unterstützen und qualifizieren soll. Aus diesen Erfahrungen heraus setzt die AG-Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen & Co enteignen in ihrer Konzeption für die geplante AöR auf ein Zusammenspiel aus Dezentralität und Zentralität mit möglichst lokal und unabhängig agierenden Siedlungs- und Gebietsräten, erläutert Niklas Stoll. »Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo sie auch umgesetzt werden.« Um eine Kooperation mit dem Verwaltungsrat sicherzustellen, brauche es einen institutionalisierten Austausch mit dem Siedlungs- und Gebietsrat. Zudem sollen die Mitglieder des Gesamtrats und des Verwaltungsrats jeweils aus der darunter liegenden Ebene delegiert werden und mit einem imperativen Mandat ausgestattet sein. Die Siedlungs- und Gebietsräte werden hingegen direkt von den Mieter*innen gewählt.«
Kleine Erfolge
Die Mieterräte und -beiräte bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen sind sicher ein gelungenes Beispiel für eine umfassende Demokratisierung, während es an der Kooperationsbereitschaft der Unternehmen seitens der Mietervertreter*innen viel berechtigte Kritik gibt. Gerade die Mieterbeiräte erreichen immer wieder auch kleinere Erfolge. So startete die Gewobag in der Heerstraße Nord auf Druck des lokalen Mieterbeirats ein Pilotprojekt zur Beseitigung der vielen Autowracks im Quartier, das nun im gesamten Wohnungsbestand des Unternehmens angewendet werden soll. Am Kottbusser Tor wurde in einem von der Howoge übernommenen Haus in der Mariannenstraße eine brachliegende Terrasse für die Nachbarschaft geöffnet, wofür sich die Aktiven der AG Süd von Kotti und Co lange eingesetzt hatten. »Wir haben eine Freifläche für die Nachbarschaft gewonnen, wo ein Ort für Gemeinschaft entstehen kann«, berichtet Jannis von der AG Süd. »Im ganz Kleinen sind bei der Howoge schon jetzt Sachen möglich, die bei der Deutsche Wohnen nie möglich waren.«
Beteiligungsgremien können ein Vehikel sein, um das Alltagsleben der Mieter*innen zu erleichtern und Räume für Selbstorganisierung zu öffnen.
Zwar sind diese Beispiele nur kleine Errungenschaften, aber sie zeigen, wie die auch die bestehenden Beteiligungsgremien zu einem Vehikel werden können, die das Alltagsleben der Mieter*innen erleichtern und Räume für die Selbstorganisierung öffnen. Die Möglichkeiten dafür könnten sich bald noch etwas verbessern. Nach jahrelangem Streit will der Senat die Rechte der Mieterbeiräte stärken und sie im WoVG gesetzlich festschreiben. Bislang agieren sie auf Basis von individuellen Kooperationsvereinbarungen mit den Unternehmen. Das ließ den Wohnungsbaugesellschaften viel Beinfreiheit, um den Mietervertreter*innen nach Belieben Rechte zu gewähren oder sie zu beschneiden. Die tatsächlichen Auswirkungen der gesetzlichen Verankerung der Rechte der Mieterbeiräte werden sich allerdings erst in Zukunft zeigen.
Um die Gremien mit Leben zu füllen, braucht es allen voran eine aktive Mieter*innenschaft. »Es wird darauf ankommen, dass die Leute auch selbst Gestaltungswillen mitbringen und sich in den Mieterbeirat einbringen«, sagt Konstantin. Gerade die neuen und aktiven Mieterbeiräte in den rekommunalisierten Beständen, ob am Kotti in der Stadtmitte oder in der Heerstraße Nord in der Peripherie, bieten die Chance, die Mieter*innen auch bei den landeseigenen wieder stärker zu organisieren. Nur so kann eine wirkliche Vergesellschaftung nicht nur der großen privaten, sondern auch der landeseigenen Wohnungsbestände möglich werden.