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»Es kommt jetzt auf alle an«

Katharina König-Preuss über die eskalierende rassistische Mobilisierung gegen ukrainische Geflüchtete

Interview: Carina Book

Es ist so hässlich wie gefährlich, was sich auf den Straßen zusammenbraut. Foto: Dani Luiz

Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte und rechte Mobs auf den Straßen: Vieles erinnert derzeit an die rechte Mobilisierung von 2015/16, aber auch an die 1990er Jahre. Dabei verändert sich die Dynamik rasant. Im Gespräch schätzt Katharina König-Preuss, thüringische Landtagsabgeordnete für Die Linke, ein, aus welchen Bestandteilen sich dieses Pulverfass zusammensetzt.

Vor knapp vier Wochen haben wir zuletzt gesprochen. Da lautete unsere Überschrift für das Interview »Die Stimmung kippt«. Müssen wir jetzt sagen, die Stimmung ist gekippt?

Katharina König-Preuss: Vielleicht war das damals schon eine zu zurückhaltende Aussage. Seitdem ist eine Unterkunft für Geflüchtete im mecklenburgischen Strömkendorf niedergebrannt worden, in der 14 Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht waren. Im sächsischen Bautzen wurde das Spreehotel, das zu einer Asylunterkunft umfunktioniert werden sollte, zum Ziel eines Brandanschlags, und in Neukieritzsch, südlich von Leipzig, wurde eine Geflüchtetenunterkunft, in der 80 Menschen leben, mit Pyrotechnik angegriffen. Also ja, die Stimmung ist gekippt. Nicht nur in Thüringen, sondern auch in anderen Bundesländern, aber mit einem besonderen Fokus auf Ostdeutschland.

Warum wieder Ostdeutschland?

Ich will gar nicht sagen, dass es in den alten Bundesländern keinen Rassismus oder keine Übergriffe gäbe. Und ja, es gibt auch große Corona-Leugner*innen-Demonstrationen dort. Das Spezifikum im Osten liegt aber darin, dass schon seit Jahren mit einer anhaltenden rassistischen Mobilisierung der Boden bereitet wurde. Die gerade erst veröffentlichte Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt deutlich das Problem auf: 38,4 Prozent der Ostdeutschen stimmen der zutiefst rassistischen Position einer vermeintlich gefährlichen Überfremdung Deutschlands zu. Vor zwei Jahren waren es noch ca. 25 Prozent.
Dazu kommt der krasse Anstieg von Islamfeindlichkeit, Antiziganismus, Antisemitismus und Antifeminismus. Außerdem sehen wir eine massive Täter-Opfer-Umkehr, in der sich mit dem Aggressor Putin solidarisiert und gegen geflohene Ukrainer*innen und gegen Geflüchtete generell gehetzt wird. Hinzu kommt, dass sich auf der einen Seite die AfD an die Spitze der Proteste setzt: Höcke tritt auf, Poggenburg kommt, Fackelmärsche werden durchgeführt, in Gera war auch schon eine Mistgabel auf einer Demonstration zu sehen. Auf der anderen Seite beginnen Landräte und Lokalpolitiker*innen auf diese Hetze zu reagieren. Leider meist nicht progressiv. Und das geht inzwischen auch auf Landespolitik und auf Regierungen über, an denen in der Flüchtlingspolitik vermeintlich humanitär ausgerichtete Parteien beteiligt sind.

Inwiefern?

Mir liegt eine Protokollerklärung des Freistaates Sachsen vor. In der heißt es: »Sachsen steht zu seiner humanitären Verantwortung zur Aufnahme von Flüchtlingen. Die Rahmenbedingungen dazu setzt jedoch der Bund. Um weiterhin eine angemessene Unterbringung der bei uns schutzsuchenden Menschen zu gewährleisten und die Bereitschaft der Bevölkerung zur Unterstützung Geflüchteter zu erhalten, muss der Bund seiner Steuerungsfunktion wieder nachkommen. Das bedeutet im Einzelnen keine weiteren Bundesaufnahmeprogramme zu starten. Keine freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen des EU-Solidaritätsmechanismus, ein Einwirken auf die Nachbarländer, die wie die Schweiz Flüchtlinge ungeprüft und ungebremst nach Deutschland weiterleiten, und ein Handlungskonzept der Bundesregierung für Rückführung, wie insbesondere der Abschluss von Migrationsabkommen mit den Herkunftsländern von abgelehnten Asylbewerbern, um Abschiebungen und Rückführungen vornehmen zu können.«

Das klingt wie eine Erklärung irgendeiner Nein-zum-Heim-Initiative.

Das ist Sachsen. Da regieren CDU, SPD und Grüne.

Welche Auswirkungen haben solche Statements, wenn sie von ganz oben, also von einer Landesregierung kommen?

Durch solche Erklärungen fühlen sich die rechten »Spaziergänger*innen« und die Brandstifter*innen in ihren Forderungen, in ihrem politischen Willen ganz hochoffiziell bestätigt. Ich mache mir wirklich ernsthafte Sorgen um Menschen, die hierher geflohen sind – aber auch um Menschen, die hier geboren sind und die, weil sie als »anders« markiert werden, zum Angriffsziel werden.

Foto: DIE LINKE Fraktion im Thüringer Landtag

Katharina König-Preuss

ist Sprecherin für Antifaschismus der Fraktion Die Linke im Thüringer Landtag.

Da klopfen die 1990er Jahre an, oder?

Man könnte sagen, dass auch die 1920er und 1930er Jahre anklopfen. Der Protofaschismus der AfD dockt auch dort an. Aber ja, es sind dieselben Fehler, die in den 1990er Jahren gemacht wurden: Zuerst gab es eine krass rassistische Kampagne, die von den Nazis ausging, die aber auch von der Politik mitbedient wurde. Dann kamen die Brandanschläge und die Nicht-Reaktion der Politik auf diese Brandanschläge. Schließlich wurde das Grundrecht aus Asyl faktisch abgeschafft. Was gerade feststellbar ist, ist fast eins zu eins die Wiederholung dessen, was in den 1990er Jahren schon geschehen ist und wir wissen ja, worin das gemündet ist. Nazis und Rassist*innen haben damals die Erfahrung gemacht, dass sie ihre Ziele erreichen, indem sie Gewalt anwenden. In diesem Erlebnishorizont sind das NSU-Kerntrio und ihre Unterstützer*innen politisch sozialisiert worden. Ich bin wirklich geschockt, dass man offenbar nichts daraus gelernt hat.

Die Politik macht dieselben Fehler wie in den 1990er Jahren.

Anlässlich des elften Jahrestages der NSU-Selbstenttarnung hat die sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, Katja Meier, am Gedenkort für die Opfer des NSU in Zwickau einen Kranz abgelegt. Alles leere Worte?

Diesen Selbstinszenierungen folgt ja oft nicht die entsprechende Praxis. Das haben wir am 9. November auch gesehen: Immer wenn sich das Novemberpogrom von 1938 jährt, posten alle schöne Kacheln mit Zitaten von Adorno oder Elie Wiesel, dann sagen sie »Nie wieder« und betonen, man habe aus der Geschichte gelernt. Da frage ich: Was wurde denn gelernt? Wo ist denn das Handeln dazu im Heute? Es ist doch nicht damit getan, dass man Kränze ablegt, oder einen Stolperstein putzt und dabei möglichst betroffen oder pathetisch in die Kamera schaut für Klicks und Likes.
Es reicht auch nicht aus, wenn sich die Innenminister der ostdeutschen Bundesländer mal vier Stunden in Erfurt treffen, um sich über die rassistische Gewalt auszutauschen. Das gibt zwar schöne Bilder für die Presse. Aber das Handeln fehlt – schon seit Jahren. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt hat vollkommen zu Recht darauf hingewiesen, dass die Täter*innen, die 2015 und 2016 Brandanschläge verübt haben, bis heute nicht verurteilt sind, sofern sie überhaupt ermittelt wurden. Das bedeutet, wir haben eine Täter*innengruppe, die – schon mit Erfahrungen aus 2015 und 2016 – heute agiert und sich darauf verlassen kann, dass sie keinerlei Konsequenzen zu fürchten hat.

An der Kultur der Straf- und Konsequenzlosigkeit hat sich seit den 1990er Jahren auch nichts geändert?

Nein, gar nicht. Im Gegenteil. Die Täter*innen aus den 1990ern haben die Erfahrung gemacht, dass sie ihre Ziele mit Gewalt durchsetzen können und dabei straffrei bleiben. Die hören ja nicht einfach damit auf, sondern stehen jetzt auch wieder auf der Straße. In Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, auch in den kleineren Städten, wo teils 1.000 bis 2.000 Rechte auf die Straße gehen – da kann man montags nicht mehr davon sprechen, dass das Gewaltmonopol noch beim Staat liegen würde, der das ja eigentlich für sich beansprucht. Eine Bekannte von mir ist Krankenschwester und setzt alles daran, ihre Schichten so umzulegen, dass sie montags vor den Demos zu Hause ist – weil es einfach zu gefährlich ist. Und jetzt stell dir mal vor, wie sich die Situation für Geflüchtete darstellt. Anstatt sinnvolle Schutzmaßnahmen zu ergreifen, schicken sie die Geflüchteten jetzt, 31 Jahre nach dem Pogrom, nach Hoyerswerda. All das kumuliert – und es wird explodieren!

Welche Maßnahmen müssen jetzt zum Schutz der Betroffenen ergriffen werden?

Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt hat sich an die Innenminister der ostdeutschen Bundesländer gewandt und einen Paradigmenwechsel im Kampf gegen die neue Welle rassistischer Gewalt gefordert. Dem kann ich mich nur anschließen. Sie schlagen ganz konkret acht Maßnahmen vor, die sofort umgesetzt werden müssen. Darunter zum Beispiel eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten, denn in den Sammelunterkünften sind Geflüchtete eben auch ein leichtes Angriffsziel.
Ebenso ein Verbot von rechten Aufmärschen vor geplanten und bewohnten Flüchtlingsunterkünften aus Gründen der Gefahrenabwehr und eine längst überfällige Erweiterung des Opferschutzes im Aufenthaltsgesetz durch ein humanitäres Bleiberecht für Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Denn Täter*innen dürfen nicht davon profitieren, dass abgeschobene Opfer nicht mehr als Zeug*innen in Strafverfahren aussagen können.

Ist die rassistische Mobilisierung noch zu stoppen?

Ich bin der Überzeugung, dass man diese rassistische Welle nur dann stoppen kann, wenn man sich jetzt ganz deutlich für Geflüchtete – egal, woher sie kommen – positioniert. Dazu gehören bspw. auch Bundes- sowie Landesaufnahmeprogramme für Afghanistan und Iran. Und ganz ehrlich: Deutschland muss Verantwortung übernehmen, anstatt dauernd auf die Aufnahmepflichten anderer europäischer Länder zu pochen. Polen baut eine Mauer in Richtung Belarus und verhindert damit, dass Menschen überleben können. Da reden wir nicht einmal über so etwas wie ein gutes, menschenwürdiges Leben. Sondern über das schiere Überleben.
Alle demokratischen Parteien und alle zivilgesellschaftlichen Akteur*innen müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Ebenso sollten Teile der Medien reflektieren, diesem rassistischen Mob kein weiteres Feuer zu geben. In den 1990er Jahren waren es zumeist nur Antifaschist*innen, die sich dem rassistischen Mob entgegenstellten und widersprachen. Jetzt kommt es auf alle an, von Kirchen, über den Sportverein bis zur Freiwilligen Feuerwehr.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.