»Die Reeder haben eine unheimliche Macht entwickelt«
Das eigentliche Problem mit der Beteiligung von Cosco am Hamburger Hafen ist nicht die kritische Infrastruktur, sagt Norbert Hackbusch
Interview: Lene Kempe
Das chinesische Staatsunternehmen China Ocean Shipping Company, kurz: Cosco, darf sich in den Hamburger Hafen einkaufen. Dafür hat die Bundesregierung Ende Oktober grünes Licht gegeben. Seitdem wird diskutiert: über deutsche Sicherheitsinteressen, Chinas »imperiale Bestrebungen« und wirtschaftliche Abhängigkeiten. Wichtige Themen bleiben in der aufgeregten Debatte jedoch außen vor, findet Norbert Hackbusch, der als hafenpolischer Sprecher der Hamburger Linksfraktion die Entwicklung verfolgt.
Warum hat die Entscheidung, dass Cosco sich am Terminal Tollerort beteiligen kann, überhaupt so hohe Wellen geschlagen? Das Unternehmen hatte doch schon im Duisburger Hafen investiert?
Norbert Hackbusch: Einen Antrag für eine Beteiligung von Cosco am Terminal Tollerort im Hamburger Hafen gab es schon vor einem Jahr. Da ging es um einen Anteil von 35 Prozent. Das ist auch deswegen eine wichtige Information, weil es immer wieder größere Debatten im Zusammenhang mit Reederei-Beteiligungen gibt. Die Diskussion ist alt, und Cosco ist ein alter Reedereikunde in Hamburg, der immer schon in Tollerort angelegt hat. Andererseits war die Höhe der angedachten Beteiligung schon erstaunlich, denn ab 25 Prozent hat man eine Sperrminorität, das heißt, man hat ein Vetorecht und kann einiges an strategischen Entscheidungen blockieren.
Mit dem Kompromiss einer 24,9-prozentigen Beteiligung wurde das ja nun verhindert. Ist jetzt also alles gut? Oder was ist eigentlich das Problem daran, dass sich eine große Reederei in einen Hafen einkauft und Arbeitsplätze sichert?
Wir haben schon vor einem Jahr kritisiert, dass nicht transparent ist, wie eigentlich der Vertrag aussieht, zwischen der Tollerort GmbH und Cosco. Das gilt immer noch. Was jenseits der Höhe der Beteiligung drin steht, wissen wir schlicht nicht. Auch 24,9 Prozent bedeuten außerdem eine Bevorteilung von Cosco gegenüber anderen Reedereien an diesem Terminal. Und, wenn man Anteile erst mal verkauft hat, bedeutet das in der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung, die Enteignungen nicht zulässt, dass man den Reeder auch nicht wieder losbekommt.
Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der in der Debatte gar nicht richtig vorkam: Die Reeder haben eine unheimliche Macht entwickelt. Und die großen Reedereien, denen die Frachtschiffe gehören, wollen nicht nur die Terminal-Beteiligungen haben – und zwar so hoch wie möglich – , sondern sie wollen möglichst auch Zugriff auf das nachgelagerte Geschäft der Speditionen, die den Transport der Waren organisieren. Das führte im Sommer dieses Jahres zu der Aussage eines Hamburger Spediteurs, die Reeder führten einen Krieg gegen die Spediteure. Das hat natürlich wegen der Begriffswahl zu Irritationen geführt, aber zeigt dennoch, dass sich die Macht der Reedereien auf die gesamte Lieferkette auswirkt. Logistik ist also insgesamt ein wirtschaftlich wichtiges Feld, in dem viel in Bewegung ist. Und genau hier investiert Cosco.
Wir wissen, was die Reedereien mit den Beschäftigungsverhältnissen auf den Meeren und in der Seeschifffahrt angerichtet haben.
Norbert Hackbusch
Außerdem wissen wir, was die Reedereien mit den Beschäftigungsverhältnissen auf den Meeren und in der Seeschifffahrt angerichtet haben. Die Löhne und Arbeitsbedingungen haben sich hier in den letzten Jahrzehnten dramatisch verschlechtert. Da kann man sehen, in welche Richtung die das organisieren wollen und dagegen gilt es, Widerstand zu organisieren.
Immerhin trifft Cosco hier auf eine gewerkschaftlich gut organisierte Hafenbelegschaft ….
Ja, das stimmt. Das ist Ergebnis von jahrzehntelangen sozialen Auseinandersetzungen, mit großen Streiks und sozialen Errungenschaften für die Hafenarbeiterinnen und Hafenarbeiter. Zum Beispiel wird die Leiharbeit auf den Terminals bislang so organisiert, dass dort auch die Hafentarife gezahlt werden. Und die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen häufig 24 Stunden durcharbeiten, weil relativ viel Umschlag stattfindet, gerade am Wochenende. Da werden viele Nacht- und Wochenendzuschläge gezahlt. Dadurch verdienen sie einigermaßen gut. Auch das ist durchaus Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen. Diese guten Bedingungen werden aber immer wieder infrage gestellt. Zuletzt hat die Bildzeitung eine große Debatte angeheizt, ob Hafenarbeiter eigentlich so viel verdienen sollten, wie Medizinerinnen. Aber vor allem die Reeder rütteln an den erkämpften Privilegien, zum Beispiel durch den Versuch die sogenannte Port-Package-Richtlinie auf EU-Ebene durchzusetzen. (1) Die haben sich immer schon darüber geärgert, dass die Hafenarbeiter relativ gut verdienen.
Aus dem Hafen von Piräus in Griechenland, in den sich Cosco noch während der dortigen Finanzkrise mehrheitlich eingekauft hat, weiß man, dass der chinesische Reeder miserable Arbeitsbedingungen durchgesetzt hat. Es gab in den letzten Jahren zwei tödliche Unfälle, gerade erst wurde wieder gestreikt, und ein Tarifvertrag konnte erst im letzten Mai, nach langen Kämpfen, durchgesetzt werden. Erwartest du eine ähnliche Entwicklung für Hamburg?
Nein, das ist erst mal nicht zu befürchten. Sie wollen das natürlich, das zeigt das Beispiel Piräus. Wobei man nicht vergessen darf, dass es die Troika unter Beteiligung der EU und allen voran auf Drängen Deutschlands war, die die Privatisierung des dortigen Hafens und 2016 den Verkauf an Cosco gegen den Widerstand von Griechenland durchgesetzt hat. Auch deswegen ist die gegenwärtige Diskussion durchaus erstaunlich. Cosco hat auf jeden Fall die Mentalität, schlechtere Arbeitsbedingungen durchsetzen zu wollen. Das unterscheidet sie nicht unbedingt von anderen Reedern, aber sie gehen, so berichten es die griechischen Gewerkschaften, dabei härter vor. Sie versuchen zum Beispiel eigene, »gelbe« (Anmerkung ak: liberale) Gewerkschaften in Stellung zu bringen und einen anderen Arbeitsethos zu etablieren.
Norbert Hackbusch
sitzt für die LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft und ist unter anderem hafenpolitischer Sprecher der Fraktion. Er verfolgt die Entwicklungen im Hamburger Hafen seit langem.
Andererseits gehören Grund und Boden immer noch Hamburg. Die Stadt verpachtet diesen dann an eine Terminalgesellschaft wie die HHLA-Tochter Tollerort GmbH, meist für 30 oder 50 Jahre. Das sind immer noch andere Verhältnisse, als wenn das Gelände einfach verkauft wird wie in Griechenland. Da steht auch ein anderes politisches Denken dahinter und eine Gewerkschaft, die sich in der Regel auch dafür einsetzt, dass das Gelände städtisch bleibt.
Gleichzeitig hat sich der Betriebsrat von Tollerort mit einem offenen Brief an die Bundesregierung gewandt und eingefordert, dass der Cosco-Deal zustande kommt …
Da gibt es unterschiedliche Stränge in der allgemeinen politischen Diskussion im Hafen. Im Gesamtbetriebsrat der HHLA wurde das sehr kritisch gesehen. Allerdings gab es in den letzten Monaten einen klassischen »Erpressungsversuch« von der Unternehmensführung der HHLA nach dem Motto: Wenn Cosco keine Beteiligung bekommt an Tollerort, ziehen sie Ladung ab zu anderen Terminals oder auch zu anderen Häfen. Solche Erpressungen wirken. Mit Blick auf Tollerort gab während der Finanzkrise 2008 schon einmal die Debatte, ob das Terminal geschlossen werden soll. Gegenwärtig steht das nicht zur Diskussion, aber so etwas bleibt hängen.
Welches Interesse hat Hamburg oder besser: Olaf Scholz und der Hamburger Bürgermeister, Peter Tschentscher, den Deal gegen alle Bedenken aus anderen Parteien durchzuziehen?
Das ist eine ähnliche Ebene wie bei der Belegschaft, nämlich die Befürchtung: In dem Augenblick, in dem wir uns als Standort nicht durchsetzen, würde Cosco woanders hingehen. Und Cosco hat ja in vielen anderen Häfen bereits Beteiligungen, unter anderem in Rotterdam, in Antwerpen und in Zeebrugge, da sind es sogar 80 Prozent. Außerdem muss man sehen, dass in den letzten Jahrzehnten in vielen Häfen Überkapazitäten aufgebaut worden sind, das heißt, es könnten jeweils mehr Waren verarbeitet werden, als real in den Häfen ankommen. Allein der Hafen in Rotterdam ist in den letzten Jahren um die Hafenfläche Hamburgs gewachsen. Das verschafft den Reedereien noch mehr Möglichkeiten, einfach woanders hinzugehen, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen.
Und das zweite sind natürlich die engen Verbindungen von Cosco zu Hamburg. Cosco ist hier schon lange ein wichtiges Unternehmen, und die SPD hat immer schon gerne enge Verbindungen zu wichtigen Unternehmen gepflegt. Das wissen wir ja aus verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel aus dem Cum-Ex-Skandal. So würde ich das gegenwärtig interpretieren, die ganze Aktion von Tschentscher und Scholz.
Was denkst du, welche Rolle spielt die zunehmende Automatisierung von Häfen bei der Entscheidung, Cosco in den Hamburger Hafen zu holen? Könnte das auch ein Antrieb gewesen sein, weil die Entwicklung in China schon weiter fortgeschritten ist?
Die Automatisierung des Hamburger Hafens ist auf jeden Fall ein Thema für die nächsten Jahre. Die wesentlichen Arbeitsplätze sind die sogenannten Van-Carrier-Fahrer und diejenigen, die auf der Brücke sitzen oder die sogenannten Lascher, die für das Verladen der Container zuständig sind. Das sind auch diejenigen Bereiche, die die Kämpfe während der letzten Tarifauseinandersetzungen maßgeblich getragen haben. Und die sind durchaus gefährdet. In Shanghai zum Beispiel wurde das weltweit größte vollautomatisierte Hafenterminal eröffnet. Da drohen viele Arbeitsplätze wegzufallen. In Hamburg stellt sich nun die Frage, wie man diesen Prozess eigentlich organisieren kann. Denn was sollen wir mit einem riesigen Hamburger Hafen, in dem niemand mehr arbeitet? Daran kann die Stadt eigentlich kein Interesse haben. Gleichzeitig kommt kein Hafen an der Automatisierung vorbei. Und Cosco ist hier sicherlich ein Treiber in Richtung Automatisierung. Es kann also gut sein, dass es da von Seiten Coscos ein Versprechen auf diesen technologischen Sprung gibt.
In der Debatte um Cosco wird immer wieder die Gefahr beschworen, ein chinesischer Staatskonzern könnte nun Zugriff auf die kritische Infrastruktur bekommen. Was sagst du dazu?
Das was da in Hamburg verkauft worden ist, ist keine kritische Infrastruktur. Das ist etwas ganz anderes, als zum Beispiel wesentliche Teile der Gasversorgung an ein russisches Unternehmen zu verkaufen. Das ist in den Dimensionen gar nicht miteinander vergleichbar. Da ist auf jeden Fall ein kräftiges Moment von China-Bashing in der Diskussion. Trotzdem bin ich selbst auch gegen den Verkauf an Cosco, selbst unter den neuen Bedingungen mit 24,9 Prozent, weil ich für die Souveränität des Hamburger Hafens bin. Wir haben schon in der Diskussion vor einem Jahr sehr stark kritisiert, dass man überhaupt Beteiligungen abgibt. Denn gerade weil Grund und Boden im Hamburger Hafen eigentlich in städtischem Besitz sind, gäbe es beste Bedingungen, auch in Zukunft gute Arbeitsverhältnisse im Hafen zu organisieren. Die Beschäftigten sollten selbst entscheiden, mit welcher Reederei sie gut zusammenarbeiten.
Anmerkung:
1) Die geplante EU-Richtlinie sollte den Wettbewerb zwischen den europäischen Seehäfen fördern, unter anderem indem Kosten für die Abfertigung der Ladungen gesenkt würden. Das Entladen der Schiffe hätten dann wieder die Schiffsbesatzungen übernehmen können und Reedern wäre es ermöglicht worden, eigene Abfertigungsanlagen zu betreiben. Die Richtlinie scheiterte am EU-weiten Widerstand von Hafenarbeiter*innen.