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|Thema in ak 687: Alleinerziehende

»So viel Mitleid und nichts verändert sich«

Jacinta Nandi über gewalttätige Männer, Girlboss-Feminismus und ihr neues Buch

Interview: Olivier David

Sänger Paul Simon steht auf der Bühne, im Hintergrund ist ein Schlagzeug.
Das Lied »Fifty ways to leave your lover«, das Nandis Buchtitel inspiriert zu haben scheint, erschien 1975. Paul Simon schrieb es nach seiner Scheidung, um die Trennung auf »humorvolle Art« zu verarbeiten. Foto: David/Flickr, CC BY 2.0

Komik und Tragik, Gewalt und Alltag – all das liegt in Jacinta Nandis neuem Buch »50 Ways to leave your Ehemann« dicht beieinander. Warum ändert das Mitleid mit alleinerziehenden Frauen nichts an deren Situation? Warum ist die alleinerziehende Krankenschwester auf dem Land ein Trennungshindernis? Und wieso sollten wir differenzierter auf Gewalt in Familien blicken?

Zu Beginn von »50 Ways to leave your Ehemann« schreibst du vom Tod deiner Mutter und von der Zeit, als du mit einem deiner Kinder in einem Frauenhaus gelebt hast. Wie groß ist die Schnittmenge zwischen der Ich-Erzählerin und dir?

Jacinta Nandi: In diesem Buch steckt mehr Wahrheit als in früheren Büchern von mir. »Nichts gegen Blasen« war zu 150 Prozent autobiografisch, habe ich früher gesagt. 100 Prozent wahr, 50 Prozent erfunden. Und bei »50 Ways to leave your Ehemann« ist es nüchterner und wahrer, was mich betrifft. Die Geschichten der Menschen, die im Buch vorkommen, habe ich etwas verändert, um ihre Privatsphäre zu schützen.

Immer wieder schimmert an Stellen, die eigentlich ernst sind, der trockene britische Humor durch. Ist Humor für dich eine Waffe, mit der du die Verhältnisse anprangerst, oder ein Schild, das du zwischen dich und die Situation bringst?

Wahrscheinlich sollte das eine Psychologin beantworten. Ich denke, der Humor ist weder Waffe noch Schild. Ich bin nur ein lustiger Mensch, der viel Heuchelei sieht. Ich sehe sofort, wenn etwas unfair ist. Es ist Teil meiner Persönlichkeit. Ich denke, Psychologen würden sagen, dass mein Humor eher ein Schild ist. Aber was wissen die schon? (lacht) Die benutzen bestimmt ihre Psychotherapie auch wie ein Schild.

In einem Interview sagst du, dass wir wegkommen müssen vom Unterhalt, dafür sollte das Kindergeld erhöht werden. Warum?

Unterhalt hat das Potenzial, für viele Schwierigkeiten im Leben von Frauen zu sorgen. Es gibt tolle Väter! Dieses System des Unterhalts aber führt Männer, die eigentlich kein Interesse an der Kindererziehung haben, zu ihren Kindern. Sie werden quasi in die »50-Prozent-Rolle« gezwungen. Wir sollten unterscheiden und sagen: Väter sind super wichtig, aber gewalttätige Väter sind es nicht.

Ich finde es komisch, so zu tun, als hätten die Frauen Probleme, sich zu lösen.

An einer Stelle im Buch schreibst du: »Ich bin meine unvollkommenen, manchmal gewalttätigen Eltern. Ich bin meine Mama, ich bin auch mein Papa. Ich bin so gewalttätig wie sie – die Gewalt, die sie erlebt haben in ihrer Kindheit, fließt durch mein Leben wie ein roter Faden, ich versuche meine Kinder davor zu schützen.« Wie kann es gelingen, seine Kinder zu schützen, wenn Armut, Stress, Überforderung und toxische Männlichkeit weiterhin existieren?

Wir müssen die Gewalt in uns erkennen. Und wir müssen auch die Täter*innen in uns erkennen. Wir sind alle ein bisschen Täter*in. Ich glaube nicht an die Idee von geschlagenen Frauen, die sich verstecken vor einem gewalttätigen Mann, der die totale Macht hat. Mit solchen Bildern machen wir es uns zu einfach. Es ist wichtig zu sagen: Ich bin auch ein*e potenzieller Täter*in. Nicht dass ich meine Kinder schlage, aber es gibt diese Gewalt in mir. Das ist meine persönliche Antwort. Und dann müssen wir als Gesellschaft ehrlich sein. Die armen Familien brauchen mehr Geld. Wenn wir ihnen kein Geld geben können, dann geben wir ihnen eben Gutscheine. Je müder und gestresster man ist, desto leichter wird man überwältigt. Wir dürfen nicht denken, dass alle Opfer perfekt und unschuldig sind. Und dass alle Täter*innen wie Hitler sind. Die Realität ist komplizierter.

© Andi Weiland

Jacinta Nandi

ist Autorin und lebt in Berlin, außerhalb des S-Bahn-Rings. Ihr neuestes Buch »50 Ways to Leave Your Ehemann« ist gerade erschienen – ein Manifest, das alle Frauen in Deutschland ermutigen soll, ihre faulen Ehemänner zu verlassen (mehr oder weniger). Wer sich entscheidet, ein ak-Abo abzuschließen, kann das Buch aktuell als Aboprämie erhalten.

Warum, denkst du, fällt es vielen Frauen schwer, sich von ihren Männern zu trennen?

Es ist eine finanzielle Sache. Dazu ist es auf dem Wohnungsmarkt wahnsinnig schwer, als Alleinerziehende eine Wohnung zu finden. Ich finde es komisch, dass wir so tun, als hätten die Frauen Probleme, sich zu lösen. Als hätten sie eine Opfermentalität oder hängen an dem Bild der glücklichen Familie. Also, das stimmt schon ein kleines Bisschen, aber viel mehr stimmt es, dass Alleinerziehende kaum Chancen haben, eine Wohnung zu bekommen.

Nicht nur Männer, auch Frauen kommen in deinem Buch oft nicht gut weg. Ist das ein blinder Fleck in feministischen Mehrheitsdiskursen, dass manche Frauen patriarchale Sichtweisen internalisiert haben?

Ja! Wir messen mit zweierlei Maß und das machen einige Feministinnen auch. Ich teile hier jetzt aus, aber bin selbst manchmal genauso. Die Macht, die manche Männer haben, ist auch einfach attraktiv. Es ist erschöpfend zu sagen: Nein, das ist unfair, wie man als Frau behandelt wird. Vielleicht ist mein Humor dann doch eher eine Waffe.

Laut einer Studie des Bundesministeriums für Frauen sind Frauen bis Mitte 40 am häufigsten und am schwersten von körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt durch Partner betroffen, wenn sie weder einen Schul- noch einen qualifizierten Ausbildungsabschluss haben. Die Autorin Marlen Hobrack konstatiert in ihrem Buch »Klassenbeste – wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet«: »Dass Gewalt in allen Schichten vorkommt, heißt nicht, dass sie überall gleich häufig vorkommt!« Kann die Frau im Kapitalismus befreit werden?

Wahrscheinlich nicht.

Anders gefragt: Kann der Kampf für Geschlechtergerechtigkeit ohne Analyse von Ungleichheit und Klassengesellschaft funktionieren?

Ich habe Schwierigkeiten mit dem Girlboss-Feminismus, wenn in Italien mit Giorgia Meloni eine Faschistin gewinnt und eine CDU-Politikerin ihr gratuliert, weil sie als erste Frau in Italien Ministerpräsidentin geworden ist. Manchmal denke ich, dass wir uns für den feministischen Sozialismus entscheiden müssen. Ich habe nicht wirklich Mitleid mit einer konservativen Frau, die 6.000 Euro verdient und einem weißen obdachlosen Mann zuruft, dass er seine Privilegien checken soll.

In welcher Art von Feminismus verortest du dich?

Jacinta-Feminismus. (lacht) Manchmal bin ich ein bisschen Girlboss, ich finde Girlboss ist nicht das Schlimmste. Was gibt es noch? Radfems? (1) Oft bin ich mit ihren Einsichten einverstanden, aber wenn es um trans Frauen geht, verlieren sie die Logik.

Der französische Schriftsteller Édouard Louis schildert die Trennung seiner armen Mutter von seinem Vater als Freiheit –»Die Freiheit einer Frau«. Du schreibst, dass es keine Freiheit gibt, wenn sich die Frau von ihrem Mann getrennt hat, auf sie warten Armut und die Gefahr körperlicher Angriffe. Wer hat recht?

Was wir beachten müssen ist die automatische Fifty-Fifty-Verteilung vom Sorgerecht. Das Problem ist nämlich: Wenn eine Frau den Mann verlässt, hat der Mann ein starkes Werkzeug in der Hand, um seine Ex zu bekämpfen. Deswegen ist die Freiheit nach der Trennung trügerisch. Viele Leute erzählen, dass alles besser wird, wenn eine Frau ihren Mann verlässt. Ich finde: Die Frauen sollten oder können ihre Männer verlassen, wenn diese faul oder gewalttätig sind. Und gleichzeitig kann es sein, dass die Frauen dadurch nicht befreit werden.

Männer kommen im Buch nicht gut weg. Du beschreibst sie als faul, nutzlos und gewalttätig. Und dennoch braucht es für die Befreiung der Frau im Patriarchat auch den Mann, der seine Privilegien abgibt. Sind linke, sich als progressiv verstehende Männer ein gutes Vorbild?

Nein!

Weil sie von sich glauben, dass sie progressiv sind, dabei aber selbst patriarchale Gewalt reproduzieren?

Sie tun so, als ob sie nicht Teil des Problems sind, weil sie links sind. Eine Sache finde ich aber sehr gut. Weil ich in meinen Texten so viel über Männer lästere, bieten mir linke Männer manchmal an, dass sie babysitten. Nicht oft, einmal im Monat, aber es hilft. Sie sagen: Sag Bescheid, wenn ich babysitten soll – und ich denke mir: Es ist nur wegen meiner Bücher.

Im Buch stellst du folgende Rechnung auf: Mitleid – Abscheu + Neugier + Empathie = Mitgefühl. Trägt Mitleid mit Alleinerziehenden dazu bei, dass sich ihre Lage nicht verbessert, weil mit dem Gefühl des Mitleids auch eine Abwertung einhergeht?

Mitleid hat die Funktion, die Leute in Beziehungen abzuschrecken, damit sie sich nicht trennen. Die arme, alleinerziehende Krankenschwester auf dem Land, die mit dem Auto zur Arbeit fährt, das ist die bemitleidenswerteste Person Deutschlands. So viel Mitleid, aber nichts verändert sich. Alleinerziehend zu sein wird zum Schicksal. Das Mitleid ist nur theoretisch. Sogar auf feministischen Panels zur Care-Arbeit wurde mir schon verboten, mein Kind mitzubringen!

Olivier David

ist Autor und Journalist. Im Februar 2022 erschien sein Debüt »Keine Aufstiegsgeschichte – Warum Armut psychisch krank macht«, in dem er vom Zusammenhang von psychischen Erkrankungen und Armut schreibt.

Anmerkung:

1) Radfems ist die Abkürzung für »Radikalfeministinnen«, die (im Gegensatz zum Queerfeminismus) eine materialistische, also auf Besitzverhältnissen basierende Analyse des Geschlechterverhältnisses fokussieren.

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