Klassismus und Klassengesellschaft
Aufgeblättert: »Zugang verwehrt« von Francis Seeck
Von Nelli Tügel
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter, und doch, so konstatiert Francis Seeck am Ende der Streitschrift »Zugang verwehrt«, ist der »Widerstand gegen soziale Ungleichheit so schwach wie noch nie«. Woran liegt das, und wie kann dieser Zustand überwunden werden? Wie können Menschen der »verinnerlichten Scham«, selbst für ihre prekäre Lebenssituation und Armut verantwortlich zu sein, entgegenwirken, sich organisieren und für ihre Klasseninteressen eintreten?
Unter anderem auf diese Fragen versucht Seeck in dem zugänglich verfassten und übersichtlich strukturierten Büchlein Antworten zu finden – es erschien noch vor den jüngsten dramatischen Anstiegen der Lebenshaltungskosten, die dem Thema eine geradezu drängende Aktualität verleihen. Anhand verschiedener gesellschaftlicher Bereiche wie Wohnen, Bildung oder Gesundheit analysiert Seeck unter Rückgriff auf eine Vielzahl von Beispielen, Literatur, Zahlen und Fakten präzise wie Klassenherkunft und -position alles durchdringen, das ganze Leben durchziehen, »von der Geburt bis zum Tod«, und beschreibt dabei Klassismus als Ideologie, die die bestehenden Klassenverhältnisse zementiert. Seeck präsentiert aber auch konkrete Reformvorschläge wie etwa die flächendeckende Etablierung von Gesamtschulen oder die Besteuerung von Vermögen. Ein hochaktueller Text, der sich explizit nicht als »soziologisches Fachbuch« versteht, dafür aber einiges aus der Widerstandsgeschichte der Arbeiter*innenklasse und Erwerbslosenbewegung zu berichten weiß.
Francis Seeck: Zugang verwehrt – Keine Chance in der Klassengesellschaft: Wie Klassismus soziale Ungleichheit fördert. Atrium, Zürich 2022. 125 Seiten, 9 EUR.