Eine Woche, vier Todesfälle
Der Polizei müssen Ressourcen und Befugnisse entzogen werden
Selten bekommt rassistische Polizeigewalt so viel Aufmerksamkeit wie dieser Tage: Die Polizei hat zwischen dem 2. und 8. August in Frankfurt, Köln, Oer-Erkenschwick (Kreis Recklinghausen) und Dortmund vier Menschen getötet. Sie waren zwischen 16 und 48 Jahre alt. Drei von ihnen wurden erschossen, einer mutmaßlich mit Pfefferspray und körperlicher Gewalt bei der polizeilichen »Fixierung« überzogen, bis er das Bewusstsein verlor und im Krankenhaus starb. Mindestens drei der Getöteten waren von Rassismus betroffen. Einige von ihnen befanden sich in einer Notlage, der nicht mit sozialen Lösungsansätzen, sondern mit Polizeibrutalität begegnet wurde. Der tödliche Polizeischuss in Köln ereignete sich beispielsweise im Zusammenhang mit der Zwangsräumung eines Mieters, der sich weigerte, sich aus seiner Wohnung werfen zu lassen.
Alle vier Getöteten werden im Nachhinein in der Berichterstattung und den Polizeimeldungen kriminalisiert oder als wohnungslose Drogennutzer stigmatisiert, um das mörderische Vorgehen der Polizei zu rechtfertigen. »Aus Neutralitätsgründen« ermitteln in den aktuellen Fällen die beteiligten Polizeibehörden nun immerhin nicht gegen sich selbst.
Dennoch ist nicht viel an Aufklärung zu erwarten, wenn etwa die Polizei in Recklinghausen zum tödlichen Einsatz in Dortmund ermittelt, während die Polizei aus Dortmund den tödlichen Einsatz ihrer Kolleg*innen in Recklinghausen untersucht. Wie bei einer solchen Verbundenheit unvoreingenommene Ermittlungen möglich sein sollen, bleibt schleierhaft. So ist aber zu erklären, warum es bei tödlichen Polizeieinsätzen fast nie zu disziplinar- oder gar strafrechtlichen Konsequenzen für die Täter*innen in Uniform kommt. Seit Jahren fordern deshalb Initiativen die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdestellen, die mit ernsthaften Kontroll- und Sanktionsbefugnissen ausgestattet sind. Die bestehenden Strukturen ermöglichen Vertuschung und kosten letztlich Menschenleben. Unvergessen bleibt, dass selbst der Tod von Oury Jalloh in einer brennenden Dessauer Polizeizelle offiziell nach wie vor als »Suizid« gilt, obwohl unabhängige Gutachten übereinstimmend nahelegen, dass Polizisten den Geflüchteten aus Sierra Leone vermutlich zu Tode geprügelt und anschließend angezündet haben.
Neben Fassungslosigkeit, Trauer und Wut über die Tötungen regt sich auch Widerstand gegen diese Gewalt.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul versprach mit Blick auf die Erschießung des 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé am 8. August in Dortmund »100-prozentige Aufklärung«. Elf Polizisten hatten den unbegleiteten Geflüchteten aus dem Senegal mit fünf Kugeln aus einer automatischen Maschinenpistole regelrecht hingerichtet. Gleichzeitig warb Reul aber für »Fairness« hinsichtlich der beteiligten Einsatzkräfte, die sich »in einer ungeheuer schwierigen Lage« befunden hätten, da der Getötete ein Messer gehabt habe. Inwiefern elf schwer bewaffnete Polizeibeamte außerstande gewesen sein sollen, etwaige Aggressionen eines minderjährigen Geflüchteten abzuwehren, ohne ihn zu erschießen, ist nicht nachvollziehbar. Doch anstatt dieser Frage nachzugehen, beweist Reul, dass er sich offenbar die Lage der Täter mehr zu Herzen nimmt als die Tötung eines Jugendlichen. Ob die insgesamt elf Bodycams der beteiligten Beamten eingeschaltet waren und relevantes Geschehen mitgeschnitten haben, ist anscheinend noch Gegenstand der Ermittlungen.
Neben Fassungslosigkeit, Trauer und Wut über die Tötungen regt sich auch Widerstand gegen diese Gewalt. So kamen bei Demonstrationen vor der Polizeiwache in der Dortmunder Nordstadt bereits am 10. August ca. 500 Demonstrierende unter dem Motto »Justice4Mouhamed« zusammen. Weitere Proteste gegen die eskalierende Polizeigewalt sind dringend geboten. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, deutlich zu machen, dass der Polizei Ressourcen und Befugnisse entzogen werden müssen, denn sie bringt keine Sicherheit. Wer Schusswaffen, Pfefferspray und Taser zur Konfliktlösung bei sich trägt, wird diese Gewaltmittel auch einsetzen. Das gefährdet ganz besonders Menschen in psychischen oder sozialen Notlagen.