Schwierige Fragen in Zeiten des Krieges
Die Unterstützung von Waffenexporten in die Ukraine wäre eine Preisgabe antimilitaristischer Grundpositionen – kein Akt der Solidarität
Die Debatte um eine Positionierung zum Ukraine-Krieg innerhalb der deutschen Linken ist – nach anfänglicher Überraschung und Orientierungslosigkeit – mittlerweile festgefahren. Es wurden Analysen verfasst und Positionen eingenommen, dabei haben sich mehr als zwei Lager herausgebildet. In ak haben wir uns in den ersten Monaten nach Beginn dieses Krieges vor allem bemüht, linke Stimmen aus Russland und der Ukraine zu dokumentieren. Die Kontroversen in der deutschen Linken haben wir dagegen bislang kaum abgebildet – und es gibt Positionen, denen wir in ak auch künftig keinen Raum bieten werden. Eine Diskussion aber scheint uns notwendig. Dabei wäre unser Anspruch momentan nicht, abgeschlossene Positionen zu fixieren, sondern zunächst Forderungen und Fragen zu Ende zu denken und auch Schwächen transparent zu machen. In ak 684 veröffentlichen wir zwei Beiträge, die sich nicht direkt aufeinander beziehen (ein Text – dieser hier – kritisiert die bisherige Berichterstattung in ak, der andere einen in der jungen Welt erschienenen Artikel), aber dennoch gegeneinander gelesen werden können. Ein Beitrag aus der ak-Redaktion ist in Arbeit und soll in der nächsten Ausgabe erscheinen.
In ak 682 haben Jan Ole Arps, Sebastian Bähr und Nelli Tügel einen Bericht über eine internationalistische Delegationsreise nach Lwiw veröffentlicht, bei der sie mit Genoss*innen aus verschiedenen ukrainischen linken Gruppierungen und Organisationen gesprochen haben. Dieser Bericht und die dort formulierten Positionierungen der Ukrainer*innen dienen in der innerlinken deutschen Diskussion nunmehr vielfach als Begründung und Rechtfertigung für eine Unterstützung deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine. Im Folgenden wollen wir begründen, warum wir zum einen eine solche Positionierung für fundamental falsch halten. Gleichzeitig wirft der Bericht aus unserer Sicht eine Reihe von Fragen auf – sowohl an die ukrainischen Genoss*innen als auch an die Diskussion hierzulande.
Es ist richtig, dass die Forderung nach Waffenlieferungen für die nicht-pazifistische Linke in der Vergangenheit nicht unbedingt ein grundsätzliches Problem war; die Tradition reicht mindestens von der Forderung nach Waffenlieferungen für das republikanische Spanien 1936 bis hin zu der Kampagne Waffen für El Salvador in den 1980er Jahren. Aber die jeweiligen Adressat*innen dieser Waffenlieferungen waren aus einer Perspektive der sozialen Emanzipation und Herrschaftskritik immer klar bestimmbar: sei es die Volksfrontregierung in Spanien oder anti-koloniale Befreiungsbewegungen, (zumindest der Programmatik nach) linke Guerillabewegungen oder soziale Bewegungen in den Ländern des Trikont.
Bei dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist die Sachlage aus unserer Sicht eine gänzlich andere: Ein kapitalistischer Nationalstaat hat einen anderen überfallen. Platz 124 der Korruptionsliste von Transparency International überfällt Platz 117. Ja, der Überfall Russlands ist völkerrechtswidrig, ja, die Regierung in Russland ist eindeutig der Aggressor, ja, die Art der russischen Kriegsführung ist grauenhaft und verbrecherisch, ja, die Opposition in Russland wird seit Jahren unterdrückt, ja, Putin wird von nationalistischen und faschistischen Strömungen in Russland gestützt und paktiert seinerseits mit nahezu allen rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen auf der Welt. Und ja, die russische Kriegspropaganda ist bigott, lügenhaft und unerträglich. Aber deswegen ist die Regierung in der Ukraine nicht plötzlich nicht mehr korrupt. Deswegen sind die faschistischen Kräfte in der Ukraine nicht verschwunden, deswegen ist der ukrainische Staat nicht plötzlich weniger neoliberal und die ukrainische Gesellschaft weniger nationalistisch, und die ukrainische Kriegspropaganda nicht weniger Kriegspropaganda.
Vom Ende gedacht
Das Mindeste, was wir uns selbst als antimilitaristische Linke in Deutschland und auch die Genoss*innen in der Ukraine fragen müssen, ist doch, was die Forderung nach Waffenlieferung in der jetzigen Situation konkret bedeutet: Kommen die Waffen in die Hände linker Bewegungen oder sind es Waffenlieferungen für die ukrainische Armee? Welche Haltung hat eine Linke hierzulande und in der Ukraine, die in der jetzigen Situation für Waffenlieferungen und damit für eine militärische »Lösung« eintritt, zu Kriegsdienstverweigerung und Desertion?
Diese Frage stellt sich aus unserer Sicht durchaus sehr aktuell, wo sich Meldungen häufen, dass sowohl die russische wie auch die ukrainische Armee mit Massendesertionen zu tun haben. In Polen wollen hunderte geflohene Roma nicht zurück in die Ukraine, weil sie in der Westukraine in die Hände faschistischer Banden zu fallen drohen, die in Zeiten des Krieges frei schalten und walten können. Werden diese Gruppen nun zusätzlich mit deutschen Waffen beliefert? Und vom Ende gedacht: Was soll das Ziel sein, das mit Waffenlieferungen erreicht werden soll? Ein Ende des Krieges? Ein »Sieg« der Ukraine? Wie sähe der aus? Wie sähe der siegreiche ukrainische Staat aus? Welche Kräfte würden in der Gesellschaft gestärkt, welche geschwächt? Und was heißt das eigentlich, wenn eine Beendigung des Kriegs nur als »Siegfrieden« vorstellbar ist?
Der Schulterschluss mit dem neoliberalen Staat ist die völlig falsche Umgehensweise mit Hilflosigkeit und Ohnmacht.
Und für die Linke in Deutschland kommt es einer Bankrotterklärung gleich, wenn wir ausblenden, wie diese Gesellschaft im Krieg formiert wird, wie Kriegs- und Wehrbereitschaft gefordert werden, wie der große Schulterschluss mit »unserer Freiheit« und »unseren Werten« propagiert wird. Wie können die aktuelle Aufrüstungspolitik in Deutschland und ihre sozialen Folgen kritisiert und bekämpft, wenn gleichzeitig Waffenlieferungen unterstützt werden? Wie kann man in einem solchen faktischen Schulterschluss mit der Bundesregierung, der EU und der Nato noch die neue Pflichtdienstdebatte kritisieren, die Steinmeier angestoßen hat? Oder aktiv die »Kriegsmüdigkeit« fördern, vor der Frau Baerbock so eindringlich warnt? Statt in den Tenor derjenigen einzustimmen, die Waffenlieferungen an die Ukraine fordern, sollten wir diskutieren, mit wem wir uns damit gemein machen würden, welche Kräfte dadurch hierzulande gestärkt werden bzw. was wir eigentlich tun müssen, um den Kriegstreiber*innen zumindest ansatzweise ins Handwerk zu pfuschen. Wir wissen, dass das nicht leicht ist; auch wir sind mit dem Gefühl der Ohnmacht und der eigenen Marginalisierung konfrontiert. Aber der »Schulterschluss mit dem neoliberalen Staat« ist aus unserer Sicht die völlig falsche Umgehensweise mit dieser Hilflosigkeit und Ohnmacht.
Fehlende Einordnung
Ein Krieg ist keine Hinterhofschlägerei. Der Krieg verwüstet Territorien, Gesellschaften und Menschen, und zwar auf Jahre und Jahrzehnte. Niemand geht aus einem Krieg unbeschadet heraus, weder Sieger*innen noch Besiegte. Diese Erkenntnis haben Pazifist*innen der nicht-pazifistischen Linken in aller Regel voraus, aber auch wir haben das schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen: Im spanischen Bürgerkrieg bei der militärischen Liquidation der »Revolution in der Revolution« durch den Stalinismus, bei Greueltaten in Guerilla- und Bürgerkriegen, bei bewaffnet ausgetragenen Fraktions- und Flügelkämpfen innerhalb der Bewegungen, bei nationalen Befreiungsbewegungen an der Macht, bei der Verselbstständigung bewaffneter Gruppen zu paramilitärischen Banden.
Das Bestreben der ak-Redaktion, in diesem Krieg den Kontakt und die Diskussion mit Linken in der Ukraine und in Russland zu suchen, ist richtig und unterstützenswert. Und in der Tat macht das kein linkes Kollektiv so bewusst und engagiert wie die ak. Vor dem Hintergrund unserer eigenen internationalistischen Erfahrungen haben wir auch Verständnis dafür, dass es Zeit und Vertrauensaufbau braucht, bis in Kontakten von ersten Gesprächen und Befragungen wirkliche Diskussionen möglich sind. Aber uns fehlt bei der aktuellen ak-Initiative eine redaktionelle Einordnung:
Das beginnt schon damit, dass der*die Leser*in eigentlich außer Namen nichts über Hintergründe und Organisator*innen der Reise und der Konferenz in Lwiw erfährt. Wer war dort eingeladen? Wer nicht? Und weiter: Wer kommt warum zu Wort? Welche gesellschaftlichen Strömungen mit welcher Bedeutung repräsentieren die Gesprächspartner*innen? Welche innerlinken Debatten in der Ukraine und in Russland gibt es? Welche Positionen sind warum nicht vertreten? Was heißt das, wenn in den Gesprächen offenbar nicht anwesende Personen und abweichende Positionen schlicht als »nicht links« bezeichnet werden? Was macht ein linkes deutsches Zeitungskollektiv dann damit? Wie soll die Diskussion fortgeführt werden? Mit welchen Positionen bringt man sich selbst in die Diskussion ein? Wie kann eine kritische Auseinandersetzung geführt werden?
Es ist nicht nur schade, sondern in der aktuellen Debatte auch problematisch, wenn ak eine solche redaktionelle Verortung der Diskussion unterlässt. Was bleibt, ist ein Reisebericht, dessen Quintessenz die ist, dass die Gesprächspartner*innen zu Waffenlieferungen an die Ukraine auffordern, und der offenbar so rezipiert wird, dass »die Linke« in der Ukraine Waffenlieferungen fordert bzw. dass linke Solidarität Waffenlieferungen erfordere.
Wir haben auch keine Antworten darauf, wie der Krieg beendet werden kann und was der Beitrag der marginalisierten deutschen Linken dafür wäre. Aber eine Unterstützung der politischen Klasse in Deutschland beim Export von Waffen in diesen Krieg ist aus unserer Sicht eine Preisgabe bisheriger antimilitaristischer Grundpositionen und keinesfalls ein Akt internationaler Solidarität mit »der Linken« in der Ukraine.