War on Sex
Von Moritz Assall
Bundeswehr, Tinder und Disziplinarmaßnahmen
Anfang der 1980er Jahre wurde Michel Foucault häufig von Journalist*innen zur Verbindung von Sexualität und Macht befragt, es erschienen lange Interviews mit Titeln wie »Sexuelle Wahl, sexueller Akt« oder »Sex, Macht und die Politik der Identität«. Foucault ging es darum zu zeigen, wie Grenzen von Denk- und Handlungsmöglichkeiten gezogen werden, indem die Menschen, ihr Verhalten und auch ihr (queeres) Begehren an gesellschaftlichen Idealen, dem »Normalen« gemessen, korrigiert und diszipliniert werden. Diese Disziplinierung findet nicht in juristischen Verfahren vor Gerichten statt, sondern in den Familien, in Schulen, in der Popkultur, in Sportvereinen, in allen möglichen Institutionen und so weiter – leider fast überall. Und so verwundert es dann auch nicht, dass Foucault dem Recht als Herrschaftsform für solche Prozesse vergleichsweise wenig Bedeutung zuwies. Er schrieb: »Dass (…) diese Techniken der Disziplin und diese aus der Disziplin hervorgegangenen Diskurse in das Recht eindringen, dass die Normalisierungsvorgänge mehr und mehr die Gesetzesverfahren kolonisieren, kann das globale Funktionieren dessen erklären, was ich Normalisierungsgesellschaft genannt habe.«
Die Realität auch einige Jahrzehnte später scheint diese These zu bestätigen. So ist im »Foucault-Handbuch« von 2020 zu lesen: »Unter der Oberfläche eines rechtlichen Fortschritts für privilegierte Schwule und Lesben herrscht nicht erst seit Trump und AfD ein ›War on Sex‹, der alle nicht-normativen Formen der Sexualität (wie) nicht-monogamen Sex bekämpft.« Und passend dazu erging Ende Mai dieses Jahres ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das eindrucksvoll demonstriert, wie »Normalisierungsvorgänge« ein juristisches Verfahren kolonisieren können. Was war geschehen? Anastasia Biefang, die erste offen transgeschlechtliche Bataillonskommandeurin und Aushängeschild der Bundeswehr für »Vielfalt und Diversität im Heer«, hatte in einem Dating-Portal ein Profilbild von sich in sitzender Pose mit erkennbaren Gesichtszügen und unter Verwendung ihres tatsächlichen Vornamens eingestellt. Darunter stand der Text: »Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.« Dafür erteilte ihr der Disziplinarvorgesetzte in hellster Aufregung gleich mal einen disziplinarrechtlichen Verweis, denn sie habe »das Ansehen der Bundeswehr und die Achtung und das Vertrauen, die ihre dienstliche Stellung erfordert, ernsthaft beeinträchtigt« (§ 17 Abs. 2 Soldatengesetz). Spontan, lustvoll, trans*? All genders welcome? Kommando stillgestanden! So vielfältig und divers ist die Bundeswehr dann offenbar doch nicht.
Anastasia Biefang wandte sich ans Gericht – und verlor. Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts stellte in ganz eigener Logik erst fest, dass die Kommandeurin das eigentlich alles durfte und ihr Privatleben grundrechtlich geschützt sei. Aber irgendwie war es den fünf Männern, aus denen das Gericht bestand, dann doch zu schmuddelig mit diesem Genderkram. Eine trans Frau hat Sex mit Menschen unterschiedlichen Geschlechts? Für die Richter ein klarer Fall: Hier liegt nichts Geringeres als ein »wahlloses Sexualleben« vor und darum, Grundrechte hin oder her, ein Verstoß gegen die »außerordentliche Wohlverhaltenspflicht«, denn immerhin sei sie »Soldatin in der besonders hervorgehobenen dienstlichen Stellung einer Bataillonskommandeurin«. In der Pressemitteilung des Gerichts ist zu lesen: »Die Worte ›offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome‹ erwecken auch aus der Sicht eines verständigen Betrachters Zweifel an der erforderlichen charakterlichen Integrität, weswegen diese Formulierung durch einen Verweis als mildeste Disziplinarmaßnahme beanstandet werden durfte.« Das ganze Disziplinarverfahren und dieses Urteil, das die Juristin Lea Beckmann auf Twitter treffend eine Mischung aus »kleinbürgerlicher Borniertheit, unterschwelliger Transphobie und Gestrigkeit« nannte, ist ein guter Grund mehr, die Bundeswehr mehr als kritisch zu sehen. Und an guten Gründen, diesmal wirklich voller Vielfalt und Diversität, gab es auch davor wahrlich keinen Mangel.