Feine Unterschiede
Aufgeblättert: »Klassenfahrt« herausgegeben von Julian Knop und Frede Macioszek
Wie ist es für ein Kind, das Freund*innen nie zu sich einlädt, weil es Angst hat, als »arm« entlarvt zu werden? Was bedeutet es, wenn am WG-Tisch nicht über klassische Musik mitdiskutiert werden kann oder das Geld nie bis zum Ende des Monats reicht? Wie beeinflussen Armutserfahrungen Arbeit und Beziehungen im Laufe eines Lebens? Eine Klassenfahrt bietet dieser besondere Band, der 63 Geschichten von 50 Autor*innen versammelt. Viele von ihnen sind durch einen sogenannten Klassenaufstieg inzwischen »Klassenreisende«. Der Band berührt durch ehrlich geteilte persönliche Erfahrungen, niedergeschrieben von Autor*innen, die wissen, was es bedeutet, die feinen Unterschiede tagtäglich zu spüren. Banale Gegenstände können zu Hütern der Klassengesellschaft avancieren: Käsehobel, Fertigkuchen oder Freeway-Limo zum Beispiel. Der persönliche Stil macht das Buch stark. Ohne sich hinter akademischen Worthülsen zu verstecken, schreiben die Autor*innen ihre selbst erlebten Geschichten auf. Sie zeichnen ein kluges Bild einer Gesellschaft, die auch 2022 immer noch von Klassenscham und Stigma durchtränkt ist: »Ich lernte, mich dafür selbst zu hassen, bedürftig zu sein (…) Ich lernte, nicht zu wollen, was ich wollte, und ich verachtete, was ich wollte, um es weniger zu wollen.« Eine so vielstimmige klassismuskritische Perspektive hat im deutschen Diskurs bisher bitter gefehlt – die Leerstelle wurde gefüllt.
Julian Knop und Frede Macioszek (Hg.): Klassenfahrt. 63 persönliche Geschichten zu Klassismus und feinen Unterschieden. Edition Assemblage, Münster 2022. 240 Seiten, 14,80 EUR.