Endspurt im Fretterode-Prozess
Zwei Neonazis aus dem nahen Umfeld von Thorsten Heise verletzten zwei Journalisten schwer – im Juli wird das Urteil erwartet
Von Gina Kessel
Der am 7. September 2021 begonnene Fretterode-Prozess vor dem thüringischen Landgericht in Mülhausen nähert sich seinem Ende. Den zwei angeklagten Thüringer Neonazis Nordulf H. und Gianluca B. wirft die Staatsanwaltschaft Sachbeschädigung, gefährliche Körperverletzung und schweren Raub vor. Am 29. April 2018 hatten sie zwei Journalisten im thüringischen Fretterode verfolgt und brutal angegriffen. Die Hoffnung auf ein angemessenes Urteil ist, wie in vielen Prozessen gegen die extreme Rechte, gering. Dennoch hätte sich mit diesem Prozess die Chance geboten, das politische Umfeld von Thorsten Heise und dessen Strukturen genauer zu beleuchten. Schließlich ist Thorsten Heise im Bundesvorstand der NPD und unterhält Verbindungen zu Blood & Honour, Combat 18 sowie zum NSU-Umfeld. Bei einem der Angeklagten handelt es sich um seinen Sohn. Der zweite Angeklagte wohnt auf seinem Grundstück und wird als sein »Ziehsohn« gehandelt. Ein entsprechender Beweisantrag wurde vom Gericht nun jedoch abgelehnt.
Nun legte Rechtsanwalt Sven Adam, Anwalt einer der Nebenkläger, einen weiteren umfangreichen Beweisantrag vor, der sich erneut mit der politischen Einstellung und dem daraus resultierenden Motiv für die Tat befasst. »Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Nebenkläger und dem durch die Angeklagten erfolgten Übergriff«, so Adam. Das soll unter anderem durch Videos und Fotos deutlich gemacht werden, die die Teilnahme der Angeklagten an diversen rechtsextremen Aufmärschen und Kundgebungen zeigen, auch mit »Lügenpresse«-Transparenten. Ursprünglich waren für Mitte Mai die Plädoyers geplant, nun sind sechs weitere Prozesstermine bis Mitte Juli angesetzt.
Was geschah in Fretterode?
Am 29. April 2018 recherchierten zwei Journalisten in Fretterode, Thüringen. Auf dem Gelände des bundesweit bekannten Neonazis und Mitglieds im NPD-Bundesvorstand, Thorsten Heise, fand an diesem Tag ein Neonazitreffen statt, das die Journalisten dokumentieren wollten. Dabei wurden sie bemerkt und mussten im Auto flüchten. Zwei Neonazis verfolgten sie mit einem BMW. Nachdem die Verfolgungsjagd zum Stehen kam, zerschlugen die Neonazis nach Angabe der Nebenklage die Autoscheiben und versprühten Reizgas ins Innere des Wagens. Einer der Journalisten wurde mit einem Baseballschläger angegriffen und erlitt zudem einen Schlag auf die Stirn mit einem unterarmlangen Schraubenschlüssel, der zu einer Schädelfraktur führte. Der andere Journalist erlitt eine Stichwunde am Oberschenkel. Während der Verfolgung gelang es einem der Journalisten, die Angreifer zu fotografieren und die SD-Karte aus der Kamera sicherzustellen, bevor diese, so die Nebenklage, von den Neonazis gestohlen wurde. Die Täter, Gianluca B. und Nordulf H. (Sohn von Thorsten Heise), befanden sich zu keinem Zeitpunkt nach der Tat in Untersuchungshaft, obwohl sich Nordulf H. für längere Zeit im Ausland aufgehalten haben soll: Laut Antifa-Recherchen absolvierte Nordulf H. in den drei Jahren zwischen Tat und Prozessbeginn seine Ausbildung bei Silvan Gex-Collet in der Schweiz, der als Verantwortlicher für die dortigen Blood & Honor-Strukturen gilt.
Bereits offengelegt wurde im Prozess die fatale Ermittlungsarbeit der Eichsfelder Polizei nach der Tat. Unter der Aufsicht von anwesenden Beamten konnten Gegenstände aus dem Tatfahrzeug entfernt und hineingelegt werden. Eine tatsächliche Durchsuchung des Wohnhauses der Familie Heise fand nie statt, es wurde lediglich über zwei Stunden nach den Tatverdächtigen gesucht, nicht aber nach etwaigen Tatwaffen oder der geraubten Fotoausrüstung (siehe ak 676).
Echte Beweisfotos
Die Anwälte der Angeklagten, Wolfram Nahrath und Klaus Kunze bemühten während des gesamten Prozesses den Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr, nachdem die Angeklagten eigentlich Opfer der »terroristischen Antifa« seien. Das Gericht ließ sich auf diese Linie nicht ein und erkannte die journalistische Tätigkeit der Betroffenen an, welche die Anwälte der Angeklagten wiederholt zu dementieren versuchten. So stellten sie immer wieder die Authentizität der Fotos in Frage, die von einem der beiden angegriffenen Journalisten während der Verfolgung gemacht worden waren.
Der Versuch, durch Zeugenaussagen die auf den Fotos befindlichen Zeitmarken zu widerlegen, scheiterte jedoch kläglich. Die geladenen Zeugen der Angeklagten entlarvten sich selbst. Am 21. Verhandlungstag bestätigte ein Sachverständiger des Thüringer LKA die Echtheit der Beweisfotos. Die zeitliche Abfolge der Fotos sei konsistent und das Überprüfen der Fotos mit einer forensischen Software habe keinerlei Anzeichen für eine Manipulation ergeben, so der Sachverständige. Dazu Rechtsanwalt Sven Adam, der einen der betroffenen Journalisten in der Nebenklage vertritt: »Die Einlassung der angeklagten Neonazis und die Aussagen ihrer vermeintlichen Entlastungszeugen wurden bereits in mehrfacher Hinsicht während der Beweisaufnahme widerlegt. Heute wurde nun auch endgültig mit der absurden und die beiden betroffenen Journalisten verhöhnenden Schutzbehauptung aufgeräumt, die Fotos seien manipuliert an die Ermittlungsbehörden übergeben worden.« Auf einem dieser Fotos ist einer der beiden Täter mit einem zur Vermummung genutzten Tuch zu sehen, auf dem das Logo der Arischen Bruderschaft erkennbar ist.
Beweisantrag zur Arischen Bruderschaft
Die Nebenklage stellte am 20. Verhandlungstag einen Beweisantrag zu diesem Logo, das mit seinen zwei gekreuzten Stielhandgranaten an das Logo der als »Sonderkommando Dirlewanger« bekannten SS-Einheit erinnert. Das »Sonderkommando Dirlewanger« war während des Nationalsozialismus an diversen Kriegsverbrechen beteiligt und ermordete systematisch unbewaffnete Zivilist*innen.
Die Nebenklage schlug in ihrem Beweisantrag vor, die Fachjournalistin Andrea Röpke als Sachverständige hinzuzuziehen. »Wir werden beweisen, dass die Angeklagten in ein rechtsextremes und militantes Kameradschaftsnetzwerk eingebunden sind. Das diesem Netzwerk zu Grunde liegende Gedankengut nebst Ablehnung freier Presse und nicht etwa die behauptete Notwehr war der Grund für den brutalen Angriff auf die beiden Nebenkläger«, so Nebenklageanwalt Rasmus Kahlen, der ebenfalls einen der betroffenen Journalisten vertritt. Am 2. Mai, dem 24. Verhandlungstag, lehnte das Gericht diesen Beweisantrag jedoch ab. Es sei nicht ersichtlich, was die Organisation der beiden Angeklagten mit der Tat zu tun habe. Der Richtersenat stellte zusätzlich die Fachkundigkeit Röpkes in Frage, da diese weder Historikerin, Militärforscherin oder Symbologin sei.
Wir werden beweisen, dass die Angeklagten in ein rechtsextremes und militantes Kameradschaftsnetzwerk eingebunden sind.
Nebenklageanwalt Rasmus Kahlen
Laut NSU-Watch, die den Fretterode-Prozess begleitet, besagte das Gericht weiter, das keinerlei Hinweise vorlägen, dass auf dem Anwesen Thorsten Heises Kameradschaftsabende oder Treffen stattfinden würden. Mit dieser Entscheidung zeigt sich die bewusst fehlende politische Einordnung der Tat und die Verweigerung, diese in die Organisierung der Angeklagten einzubetten und deren soziales Umfeld zu beleuchten. Ein Vorgehen, das aus diversen Prozessen zur extremen Rechten bekannt ist. Während der Richtersenat im Fretterode-Prozess Röpke als Expertin ablehnte, wurde ihre Ladung als Sachverständige im Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag zu Strukturen politischer Gewalt beschlossen. Hier sollen auch explizit die Erkenntnisse zur Arischen Bruderschaft mit einbezogen werden.
Haftstrafen?
Nordulf H., der zur Tat 18 Jahre alt war, wird vermutlich nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden und aufgrund seiner absolvierten Ausbildung eine gute Sozialprognose erhalten. Dass er diese Ausbildung bei Silvan Gex-Colett in der Schweiz machte, der nach Antifa-Recherchen als Verantwortlicher der dortigen Blood & Honor-Strukturen gilt, hat vor Gericht bisher keine Beachtung gefunden. Beobachter*innen des Prozesses rechnen mit einer Bewährungsstrafe für Nordulf H.
Dass Gianluca B., der bereits wegen seiner Beteiligung am Überfall auf Connewitz vom 11. Januar 2016 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, auch auf eine Bewährungsstrafe hoffen darf, ist unwahrscheinlich. Durch ein rechtskräftiges Urteil aus Leipzig nach den Übergriffen in Connewitz im Januar 2016 ist er bereits auf Bewährung. Begleitet wird der Prozess von NSU-Watch und der Initiative Tatort-Fretterode. Eine Kundgebung zu Prozessende ist geplant.