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Ein fatales Familienduo

In den Philippinen stellt sich ein breites Bündnis gegen die Fortführung der Politik der Marcos und Dutertes

Von Catherine Abon und Enzo Camacho

Mehrere Menschen sitzen bei einer Zeremonie auf einem Podium. Darunterauch Menschen in Militäruniform. Alle schauen weg von der Kamera auf ein Ereignis.
Die Rückkehr der Marcos zu Macht und Prestige droht, wahr zu werden. Ferdinand Marcos senior (5. von rechts) und Imelda Marcos (4. von rechts) bei einer Zeremonie in einem US-Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von Manila 1979. Foto: Al Ramones, Domie Quiazon / Wikimedia, gemeinfrei

Es gibt zwei gegensätzliche Szenarien für das, was die Menschen in den Philippinen nach den bevorstehenden nationalen Wahlen am 9. Mai erwarten könnte. Da die Präsidentschaft der Philippinen verfassungsmäßig auf eine einzige Amtszeit begrenzt ist, besteht die Chance, dass sich das Land endlich von der extremen Gewalt, dem Militarismus und der Korruption befreien kann, die die Präsidentschaft von Rodrigo Duterte geprägt haben. Er und seine Verbündeten könnten dann endlich für die in den letzten sechs Jahren begangenen Verbrechen und Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden. Allein in Dutertes heuchlerischem »Krieg gegen Drogen« wurden schätzungsweise zwischen 8.600 und 30.000 Menschen getötet.

Das andere mögliche Szenario – der schlimmste anzunehmende Fall – wäre eine weitere Konsolidierung der Macht, die durch zwei der korruptesten und zerstörerischsten politischen Familien der modernen philippinischen Geschichte ausgeübt wird. Bei den diesjährigen Wahlen ist der Sohn des verstorbenen ehemaligen Präsidenten und Diktators Ferdinand Marcos, Ferdinand »Bongbong« Marcos junior, einer der Kandidat*innen für das höchste Amt im Land. Seine Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin ist Sarah Duterte, die Tochter des amtierenden Präsidenten.

Hartnäckiges Streben nach Macht

Ferdinand Marcos senior regierte die Philippinen von 1965 bis 1986. In diesen zwei traumatischen Jahrzehnten gelang es ihm und seiner Familie, je nach Schätzung zwischen fünf und zehn Milliarden US-Dollar aus der Staatskasse zu stehlen. Marcos ist darüber hinaus für eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, darunter 3.257 bekannte außergerichtliche Tötungen, 35.000 dokumentierte Fälle von Folter, 70.000 Inhaftierungen sowie das »Verschwindenlassen« etlicher Regimegegner*innen.

Im Jahr 1986 schlossen sich über zwei Millionen Bürger*innen der Philippinen der People Power Revolution an, um das brutale Regime zu stürzen. Die mit dieser Bewegung einhergehenden Massendemonstrationen zwangen schließlich die Familie Marcos zur Flucht aus dem Land und ins hawaiianische Exil – ein beeindruckender Beleg für die Wucht, die von öffentlichem Protest und zivilem Ungehorsam ausgehen kann. Nach dem Tod von Marcos senior durfte der Rest der Familie 1991 auf die Philippinen zurückkehren, wo er sich zahlreichen Anklagen wegen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt sah. Zwischen 1986 und 1995 wurden gegen Imelda Marcos, die Ehefrau von Marcos senior, insgesamt 28 Strafverfahren und 43 Zivil- und Einziehungsverfahren eingeleitet. Der Anspruch der Familie Marcos, in das höchste Amt des Landes zurückzukehren, wurde durch diese Anklagen in keiner Weise geschmälert. Imelda kandidierte 1992 für das Präsident*innenamt und verlor. 1998 kandidierte sie erneut, zog ihre Anwartschaft aber wenige Tage vor der Wahl zurück. Die aktuelle Kandidatur von Marcos junior erscheint daher als Teil einer viel längerfristigen Strategie der Familie zur Wiedererlangung von Macht und politischem Prestige.

In Anbetracht der gut dokumentierten Verbrechen und Gräueltaten der Familie Marcos mag es kaum zu glauben sein, dass nun ausgerechnet Marcos junior bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen die besten Aussichten auf Erfolg hat. Doch diese beunruhigende Situation ist das Ergebnis jahrelanger heimtückischer Vorbereitungen.

Der Sturz der Marcos-Diktatur 1986 durch den gesamtgesellschaftlichen Widerstand war ein historischer Moment.

Im Jahr 2019 veröffentlichte das Nachrichtenportal Rappler eine Reihe investigativer Artikel über eine um 2014 begonnene und offenbar systematisch geführte Kampagne zur Umdeutung der Geschichte der Marcos-Ära: Über ein ausgedehntes Netz von Websites, YouTube-Kanälen, Facebook-Seiten und -Gruppen sowie andere Social-Media-Plattformen sollten gezielt falsche oder irreführende Inhalte verbreitet werden. 2020 enthüllte Britanny Kaiser, eine ehemalige Mitarbeiterin von Cambridge Analytica (1), in einem Interview mit Rappler, dass Marcos junior das inzwischen berüchtigte Politikberatungsunternehmen gebeten hatte, die Marcos-Familie in den sozialen Medien positiv darzustellen.

Jenseits der Online-Netzwerke trug Präsident Duterte wesentlich zu dieser geschichtsrevisionistischen Kampagne bei, als er im November 2016, nur wenige Monate nach seiner Amtseinführung, erlaubte, den Leichnam von Marcos senior auf dem Libingan ng mga Bayani (dem nationalen »Heldenfriedhof«) zu bestatten. Mit dieser kontroversen symbolischen Geste sollten die Gräueltaten des Marcos-Regimes ausgelöscht und Dutertes Verbundenheit mit der Familie des Diktators betont werden.

Diese Wahl ist daher mehr als bloß ein Kampf um die Spitzenpositionen im philippinischen Staat; es ist ein Kampf um die Selbsterkenntnis der philippinischen Bevölkerung, ein Kampf um die Fähigkeit, ihre Identität zu verstehen und aus ihrer Geschichte zu lernen. Der Sturz der Marcos-Diktatur im Jahr 1986 durch den gesamtgesellschaftlichen Widerstand war ein historischer Moment, mit dem die Menschen in den Philippinen ihr Land zurückeroberten. Jahrzehnte später versuchen die Familien Marcos und Duterte die kollektive Erinnerung der Philippiner*innen an dieses Ereignis für sich zu vereinnahmen, um wieder an die Macht zu gelangen.

Auf dem Boden stehen viele Botschaften, die Ende des Tötens appelieren, drumherum kniehen Menschen und zünden Kerzen neben den Botschaften an.
Gedenkenveranstaltung für die Opfer des »War on Drugs«, 2019. Foto: Kjerrimyr Rodrigo Andrés (Ryomaandres) / Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Gleichzeitig sollte man sich darüber im Klaren sein, dass der Erfolg, mit dem es ihnen gelungen ist, die Geschichte umzuschreiben, auf einige grundlegende Fehler hinweist. Es spricht für das Versagen der verschiedenen Regimes, die auf die Marcos-Diktatur folgten, nicht die wichtigsten Lehren aus dieser stürmischen Zeit zu ziehen, und für das Versagen, diese Lehren fest in den Kultur- und Bildungseinrichtungen des Landes zu verankern. Mit anderen Worten: Es wurde versäumt, dem revolutionären Potenzial jener Zeit gerecht zu werden und sich wirklich von der Logik des Faschismus zu lösen. Angesichts der gegenwärtigen Möglichkeit einer erneuten Marcos-Präsidentschaft brauchen die Bürger*innen der Philippinen eine klare und ehrliche Einschätzung, wie es überhaupt zu einer solchen undenkbaren Möglichkeit kommen konnte.

Eine geeinte Opposition

In Anbetracht dessen, was bei den bevorstehenden Wahlen auf dem Spiel steht, gab es landesweit konzertierte Bemühungen zur Bildung eines möglichst breiten Bündnisses, das dem Marcos-Duterte-Tandem die Stirn bieten kann. Zur Koordinierung dieser vereinten Opposition wurde im September 2020 unter dem Namen 1Sambayan (»eine Nation«) eine breite Koalition demokratischer Kräfte gegründet. Linke Parteien haben beschlossen, sich an diesem Bündnis zu beteiligen und sich mit Liberalen und anderen Oppositionsparteien zusammenzutun, um vor allem die Wiedereroberung der politischen Macht durch Marcos und Duterte zu verhindern. Dieses breite Bündnis ist bestrebt, Differenzen beiseite zu legen und sich über historische Streitigkeiten hinwegzusetzen, um sich hinter diesem gemeinsamen Ziel zu versammeln.

1Sambayan unterstützt das Zweigespann von Maria Leonor »Leni« Robredo für das Amt der Präsidentin und Francis »Kiko« Pangilinan für das Amt des Vizepräsidenten, die auch gemäß landesweiter Umfragen die stärksten Oppositionskandidaten sind. Sie konnten bei ihren Wahlkampfveranstaltungen stets große Menschenmengen anlocken und haben eine äußerst tatkräftige und engagierte Anhänger*innenschaft. Obwohl beide Kandidat*innen im Grunde zentristische Positionen vertreten, verkörpern sie die Hoffnung, ein weiteres Abgleiten in einen kleptokratischen, mörderischen Faschismus zu verhindern.

Wichtig ist auch, dass Robredo für die Wiederaufnahme der formellen Friedensverhandlungen mit der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) eintritt. Die Friedensverhandlungen mit der Organisation, die stellvertretend für eine Reihe verbündeter Organisationen, darunter die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) und die New People’s Army (Neue Volksarmee, NPA) agiert, waren zuvor durch Präsident Duterte und seinen rasenden Militarismus völlig unterminiert worden. Dabei sind sie ein notwendiger Schritt, um die Wurzeln des anhaltenden bewaffneten Kampfes auf den Philippinen anzugehen und unabdingbar zur Erreichung echter wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit sowie eines nachhaltigen Friedens. Sollte Robredo die Präsidentschaft über Marcos junior gewinnen, muss sichergestellt werden, dass sie dieses Versprechen auch einhält.

Es besteht kein Zweifel daran, dass diese bevorstehende Wahl äußerst bedeutsam ist, vielleicht eine der wichtigsten Wahlen, die das Land je erlebt hat. Die Folgen eines Sieges von Marcos und Duterte wären für die Menschen in den Philippinen wirklich verheerend—zum einen, weil dies die Fortsetzung einer Kultur der Korruption, der Straflosigkeit und der faschistischen Gewalt bedeuten würde, aber vor allem, weil eine Niederlage dem Verlust eines Zugangs der Bevölkerung zu ihrer eigenen Geschichte und ihren Lehren gleichkäme. Zugleich ist es unerlässlich, daran zu erinnern, dass echte demokratische Praxis nicht an den Wahlurnen beginnt oder endet. Unabhängig davon, wer im kommenden Mai die Präsidentschaft erringt, wird der Kampf um Gerechtigkeit, Befreiung und Würde für die Philippiner*innen weitergehen.

Catherine Abon

ist Wissenschaftlerin, Lehrerin und Aktivistin. Sie lebt seit 2011 in Deutschland und arbeitet zum Schwerpunkt Frauen- und Migrant*innenrechte. Sie ist Mitglied der philippinischen Frauenorganisation Gabriela Deutschland und des Interimsrates der europaweiten Koalition 28. April für die Rechte und das Wohlergehen von Migrant*innen und Flüchtlingen.

Enzo Camacho

Enzo Camacho ist ein philippinischer Künstler, Schriftsteller und Aktivist, der in Berlin lebt und arbeitet. Er ist Mitglied von ALPAS Pilipinas, einem Kollektiv aus migrantischen Aktivist*innen von den Philippinen und engagierten Verbündeten, das 2021 in Berlin gegründet wurde.

Übersetzung: Philipp Sack

Anmerkung:

1) Cambridge Analytica war Gegenstand mehrerer Manipulationsskandale, unter anderem der weitflächigen Sammlung privater Nutzer*innendaten von Facebook für Wahlkampfzwecke.