Aufstände in Sri Lanka und Peru: Ein neues 2019?
Von Sebastian Bähr
Eine neue globale Welle von Protestbewegungen und Aufständen könnte bevorstehen. Soziale Revolten finden bereits in Peru und Sri Lanka statt. In Peru begannen die Proteste, als die Transportarbeitergewerkschaft Ende März zu einem Streik gegen die steigenden Treibstoffpreise aufgerufen hatte. Die Regierung unter dem linken Präsidenten Pedro Castillo hatte sich mit der Gewerkschaft auf befristete Preissenkungen verständigt, auch eine wirkungslose Mindestlohnerhöhung wurde angeordnet – doch da breiteten sich die Streiks, Straßenblockaden und Plünderungen bereits im Land aus. Die Proteste richten sich nun allgemein gegen die steigenden Lebenserhaltungskosten. Castillo, gerade acht Monate im Amt, verhängte Anfang April Ausgangssperren und einen Ausnahmezustand in den großen Städten, die Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und Polizei halten an.
In Sri Lanka ist die Stimmung ebenfalls explosiv. Das hochverschuldete Land erlebt eine harte Wirtschaftskrise, die Versorgungslage verschlechtert sich rapide. Nahrungsmittel-, Benzin- und Stromengpässe sowie drastische Preiserhöhungen bringen seit Mitte März die Massen auf die Straßen. Die Wut richtet sich vor allem gegen die Rajapaksa-Familie, die mit mehreren Mitgliedern praktisch die Regierung stellt. Dem Regime wird eine Mitverantwortung an der Krise, generelle Misswirtschaft sowie eine unnütze Aufrüstung des Militärs vorgeworfen. Nach zunehmenden Protesten hatte Präsident Gotabaya Rajapaksa den Ausnahmezustand ausgerufen. Soziale Netzwerke wurden blockiert, das Militär erhielt Sondervollmachten, Minister*innen rotierten. Die Polizei geht brutal gegen Demonstrant*innen vor, diese setzten sich militant zu Wehr.
Während die Proteste in Peru von organisierten Arbeiter*innen zumindest begonnen wurden, gehen in Sri Lanka eher unorganisierte Jugendliche und Verarmte auf die Straßen. Beide Protestbewegungen scheinen jedoch relativ unabhängig von der etablierten Opposition vorzugehen und in ihren Zielen diffus zu sein. Sie können so als eine Fortsetzung der globalen Protestwelle von 2019 gesehen werden – unter den Vorzeichen nochmals verschärfter Bedingungen des krisengebeutelten, instabilen Kapitalismus. Die russische Invasion der Ukraine sowie die darauf folgenden Sanktionen haben in großen Teilen der Welt zu einer Inflation und zu Versorgungsengpässen geführt. Weil Russland und die Ukraine zu den größten Weizenexporteuren der Welt gehören, explodieren nun die Lebensmittelpreise. Dabei waren die Volkswirtschaften der meisten Staaten schon zuvor durch die Corona-Pandemie geschwächt. Der Umgang mit Covid-19 hat nicht nur die Kluft zwischen dem globalen Süden und Norden vertieft – zahlreiche Staaten nutzten die Pandemie auch zur Unterdrückung der Opposition und zur Ausweitung ihrer Repressionsapparate. Die Ausgangslage für emanzipatorische Kräfte hat sich nicht gerade verbessert.
Perspektivlosigkeit, wachsender Hunger und der Mangel an lebensnotwendigen Gütern werden voraussichtlich zu weiteren massiven Riots in der kapitalistischen Peripherie führen – eine aktuelle Form des Klassenkampfes, wie etwa der US-Forscher Joshua Clover in seinem Buch »Riot. Strike. Riot« schon vor einigen Jahren erklärt hat. Und stärker als zuvor könnten auch die Zentren von den Krisenfolgen betroffen sein: Energie- und Lebensmittelpreise sind in Deutschland bereits rasch angezogen, weitere Teuerungen stehen bevor. In Spanien kam es im März bereits zu Streiks von LKW-Fahrer*innen aufgrund der hohen Spritpreise. In Ländern, die in den vergangenen Jahren bereits Aufstände erlebt hatten, könnten die Rebellionen wiederum aufflammen – und neue Bewegungen könnten sich dem Begehren der Revolte anschließen.
Bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern: Die vergangenen Jahre zeigen, dass aus anfänglichen Sozialprotesten rasch Bewegen entstehen können, die grundsätzlich die herrschende Ordnung infrage stellen und radikaldemokratische, feministische sowie ökologische Forderungen auf die Agenda setzen. Die dabei vielerorts anzutreffende Schwäche oder fehlende Bedeutung von Gewerkschaften, Parteien und Organisationen scheint jedoch weiterhin ambivalente Folgen zu haben. Einerseits ist die Heterogenität und Spontaneität der Massenproteste eine Stärke. Sie kann vor rascher Vereinnahmung und Befriedung durch die Herrschenden schützen. Das Fehlen eines gemeinsamen politischen Plans, funktionierender Entscheidungsstrukturen und einer langfristigen Strategie kann aber auch schaden. Auf Dauer kollektiv der staatlichen Gewalt zu widerstehen, politisch und militant, ist eine Herausforderung – gerade unter der Bedingung globaler Ungleichzeitigkeit. Ohne eine organisierte Linke bleibt die Gefahr, dass sich die gut organisierte Rechte in den Auseinandersetzungen durchsetzt. Sich vorzubereiten schadet daher nicht.