Problembär Selbstbestimmung
Die Bundesregierung will einen Wechsel des Geschlechtseintrags deutlich erleichtern – der antifeministische Gegenwind ist massiv
Von Bilke Schnibbe
Die Ampelkoalition blinkt kräftig in Richtung Selbstbestimmungsgesetz (SG), das einen Wechsel des Geschlechtseintrages und des Vornamens massiv vereinfachen würde. Im Koalitionsvertrag einigten sich SPD, FDP und Grüne im November 2021 darauf, dass dafür künftig ein Termin beim Standesamt genügen soll. Entsprechende Gesetzentwürfe von FDP und Grünen waren kurz zuvor noch an den Stimmen der damaligen großen Koalition unter Beteiligung der SPD gescheitert.
Mit dem SG soll das bisher gültige Transsexuellengesetz (TSG) abgeschafft werden. Das TSG regelt, dass eine Änderung des Geschlechtseintrages aktuell nur gerichtlich und nach einer Psychotherapie und zwei Gutachten veranlasst werden kann. Sowohl die Einführung des TSG selbst als auch Änderungen der Voraussetzungen, um es nutzen zu dürfen (wie zum Beispiel die Abschaffung der zunächst vorgeschriebenen menschenfeindliche Sterilisations- und Operationspflicht für transgeschlechtliche Menschen) wurden seit 1981 vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten. Es ist also eine Neuigkeit, dass eine Bundesregierung in diesem Themenfeld agiert, statt wie üblich nur auf verfassungsgerichtliche Rügen zu reagieren.
Wann ist der Mann ein Mann?
Wie nicht anders zu erwarten, sind nicht alle begeistert von den neuen Freiheiten, die transgeschlechtliche Menschen erhalten sollen. Neben Stimmen, die explizit aus dem rechten politischen Spektrum stammen, reihen sich auch »besorgte Feminist*innen« in den Chor der Kritiker*innen ein. Zuletzt sorgte im Januar 2022 ein Artikel in der Zeitschrift Emma für Aufsehen, in dem sich beschwert wird, dass die transgeschlechtliche Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer (Grüne) unfairerweise cis-geschlechtlichen Frauen einen Platz im Bundestag »wegnehmen« würde, weil sie einen Listenplatz für Frauen besetzt.
Zu viel Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigenen Rollenwünsche in der Gesellschaft ist nicht gut, weil transgeschlechtliche Personen möglicherweise gar nicht wissen, was sie eigentlich wollen. Transgeschlechtlichkeit ist eine Ausnahmesituation, in der man die Leute, insbesondere junge Menschen, nicht einfach unbeaufsichtigt über ihre Körper und Identität entscheiden lassen sollte, sondern den Zugang zu Transitionen reglementieren muss. Auch, damit daraus kein »Trend« erwächst. So in etwa die Logik der Kritiker*innen. Wenn man in diesen Sätzen die Worte »Schwangere/Schwangerschaft/Abtreibung« statt »transgeschlechtliche Menschen/Transgeschlechtlichkeit/Transition« einsetzt, wird die antifeministische Rhetorik dahinter schnell deutlich.
Damit einher geht oft der Verweis auf eine vermeintlich übermäßige Präsenz queerer Themen, durch die cis-geschlechtliche Frauen mittlerweile ins Hintertreffen geraten würden. Auch das kennen wir: Es reicht langsam mal mit dem Feminismus, Männer müssen auch Männer bleiben dürfen. Irgendwann gab es mal Benachteiligung von Frauen/Queers/rassifizierten Menschen/etc., aber jetzt sind wir doch alle längst gleichberechtigt. Wer jetzt noch irgendwas fordert, übertreibt.
Das Problem ist nach dieser Logik in Bezug auf das SG nicht mehr so sehr das Patriarchat, das Männer insgesamt bevorteilt. Das Problem sind transgeschlechtliche Personen, die den »normalen«, »echten« Frauen ihre eh schon mageren Ressourcen abgraben, in ihre Schutzräume eindringen wollen und durch ihre bloße perverse Existenz die psychische Gesundheit von Kindern gefährden. Ja, auch das sind alles emotionalisierende Bilder, die aus rechten Erzählungen bekannt sind.
Die AfD müsste sich eigentlich gar nicht mehr dazu herablassen, diese Bilder zu verbreiten. Vermeintlich liberal eingestellte (und – viel wichtiger – von weiten Teilen der Gesellschaft so wahrgenommene) Personen wie Alice Schwarzer übernehmen bereitwillig die Aufgabe, den queeren Wahnsinn der modernen Welt zu beklagen. Das Gleiche konnten wir auch in Bezug auf rassistische Bilder, wie das des »übergriffigen Flüchtlings« beobachten, als »besorgte Feminist*innen« zum Beispiel eine Schließung der Grenzen »zum Schutz weißer deutscher Frauen« forderten. Und die Rechten freuen sich.
Frauen und Kinder zuerst
Zwei Punkte werden besonders intensiv debattiert: 1. Mit dem SG könnten sich Männer als Frauen ausgeben und sich in Frauenräume (wie Umkleiden oder Frauengefängnisse) einschleichen. Und 2. das SG öffnet jungen Menschen, vor allem »Mädchen«, die Tür, sich medizinischen Maßnahmen zu unterziehen, die sie später bereuen werden. Und ja, beide Punkte könnte man sinnvoll diskutieren. Das müsste man aber tun, ohne beispielsweise sexistische und antifeministische Bilder von besonders schützenswerten Frauen und Kindern zu bedienen, die am Ende allen Frauen und transgeschlechtlichen Personen auf die Füße fallen.
Bei der Frage, ob sich infolge des SG mehr übergriffige Personen in Frauenräume begeben könnten, geht es zum einen um Orte, die Täter sowieso schon aufsuchen können und es auch tun, weil in der Regel keine Ausweis-Kontrolle stattfindet (z.B. Umkleidekabinen). Zum anderen geht es um Räume, die Menschen mit männlichem Geschlechtseintrag aktuell zumindest in der Theorie nur zugänglich wären, wenn sie das TSG-Verfahren durchlaufen würden (z.B. Frauengefängnisse). In der Praxis besteht die Frage, wo transgeschlechtliche Personen inhaftiert werden schon länger. Insbesondere, seit 2018 neben den Geschlechtseinträgen männlich und weiblich, noch die Optionen divers und gar kein Eintrag geschaffen wurden.
Die AfD müsste sich eigentlich gar nicht mehr dazu herablassen, transfeindliche Bilder zu verbreiten.
Potenziell Betroffene von Gewalt durch Täter, die das SG nutzen, sind also nicht, wie die Debatte suggeriert »alle Frauen«, sondern wenn überhaupt Gefängnisinsassinnen. Alle nicht hoch reglementierten Räume sind Tätern sowieso schon leicht zugänglich. Das gleiche gilt im Prinzip auch für Gefängnisse, in denen Männer als Wärter arbeiten und sich so zusätzlich eine Machtposition gegenüber potenziellen Opfern sichern können. Da sich Schwarzer und Anhang ja so für inhaftierte Frauen zu interessieren scheinen, fragt man sich doch, wo eigentlich die groß angelegte Kampagne gegen männliche Justizvollzugsbeamte in Frauengefängnissen bleibt. So entsteht jedenfalls der Eindruck, als würde Solidarität mit Strafgefangenen geheuchelt, um transgeschlechtliche Frauen als »eigentliche Männer« und tendenziell sexuell übergriffig darzustellen. Davon haben inhaftierte Frauen übrigens gar nichts.
Ja, es stimmt. Männer könnten sich durch das SG theoretisch gesehen deutlich unkomplizierter als Frauen »ausgeben« und möglicherweise im Gefängnis oder in sonstigen hoch reglementierten Schutzräumen Sexualstraftaten begehen. Warum hat das etwas mit transgeschlechtlichen Frauen zu tun? Warum müssen deshalb alle transgeschlechtlichen Menschen begutachtet werden, bevor sie ihren Geschlechtseintrag ändern? Warum geht es nicht darum, an Prävention insgesamt zu arbeiten oder das Gefängnissystem insgesamt abzuschaffen? Ohne mindestens Ressentiments gegen transgeschlechtliche Frauen aufzurufen, lassen sich diese Fragen nicht beantworten.
Das andere aufgeladene Feld betrifft – wie sollte es anders sein – »die Kinder«. Wobei damit natürlich cis-geschlechtliche Kinder gemeint sind, die durch die Transideologie möglicherweise verleitet werden, sich nicht rückgängig zu machenden, geschlechtsangleichenden Behandlungen zu unterziehen. Dem gegenüber stehen transgeschlechtliche Kinder, die momentan durch die hohen Hürden massive Stigmatisierung und eine Reihe psychischer Folgeprobleme erleiden.
Auch hier zeigt sich, wie auf dem Rücken transgeschlechtlicher Personen, in diesem Fall Kinder, Stimmung gemacht wird. Denn: Das SG regelt überhaupt nicht, ab wann und unter welchen Bedingungen medizinische Maßnahmen bei transgeschlechtlichen Kindern stattfinden dürfen. Es geht um den Geschlechtseintrag und den Vornamen, die ggf. auch zurück geändert werden können. Das klingt aber leider nicht so gut, wie von Kinderverstümmelung zu fantasieren.
Und auch hier stimmt: Ja, es ist eine wichtige Frage, wie man sicherstellen kann, dass alle Kinder und Jugendlichen die Unterstützung erhalten, die sie brauchen. Betonung auf alle. Die hohe Suizidrate unter transgeschlechtlichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen wird allerdings nicht in die vermeintlich feministische Güterabwägung einbezogen. Denn die ist ein reales Problem, das mit den hohen Hürden rechtlich und medizinisch eine Transition zu beginnen, direkt zusammenhängt. Und, im Übrigen deutlich höher als die Zahl derjenigen Personen, die ihre Transition rückgängig machen.
An dieser Stelle wird die Verantwortung gerne auf Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen abgeschoben, die »begutachten« sollen, ob die Leute »in echt« transgeschlechtlich sind. Die aber wollen diese Verantwortung zu recht gar nicht haben: Seit Jahren fordern Berufsvertreter*innen, dass die Politik eine Lösung findet, denn Behandler*innen sollen Menschen heilen und nicht indirekt darüber entscheiden, ob und wie eine Person ihr Leben leben darf. Insbesondere psychotherapeutische Behandlungen sind kaum möglich, wenn Patient*innen Angst haben müssen, dass der*die Behandler*in einer Transition eventuell nicht zustimmt, wenn zum Beispiel offen über Suizidalität, Substanzmissbrauch oder zurückliegende Traumatisierungen gesprochen wird.
Sich mal am Riemen reißen
All die Probleme, die durch das SG angeblich entstehen, verlangen bei ehrlicher Betrachtung jetzt schon nach einer Lösung: sexuelle Gewalt in Gefängnissen, miserable Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche, die gerne transitionieren möchten, grottige Ausbildung von Behandler*innen, Verwaltungsangestellten, Justizvollzugsbeamt*innen zu den Themen Geschlechtsidentität, transfeindliche Diskriminierung und rechtliche Rahmenbedingungen von Transitionen. All das sind Bereiche, in denen – SG hin oder her – Verbesserungen nötig wären, wenn man es denn ernst meinen würde damit, Frauen vor Gewalt zu bewahren und Kinder in ihrer Entwicklung zu schützen und zu fördern. Anstatt transgeschlechtliche Menschen durch einen sinnlosen und menschenfeindlichen Prozess von Zwangstherapie und -begutachtung zu schicken, sollte es natürlich Angebote, Beratung und wenn nötig und gewünscht begleitende Therapie geben. Beim Thema Abtreibung ist das den meisten Feminist*innen klar.
Transgeschlechtliche Menschen sind eine relativ kleine gesellschaftliche Gruppe, die auf die Unterstützung und Solidarität von Verbündeten gegen den massiven Gegenwind angewiesen sind. Das ist umso wichtiger, weil die antifeministischen und transfeindlichen Erzählungen auch in linken Kontexten als »normale Kritik« präsentiert und folgend nicht als ideologisch rechts erkannt werden. Das heißt nicht, dass man das SG kritiklos gut finden muss oder queeren Aktivismus nicht kritisch sehen »darf«. Es geht darum, rechten Erzählungen entgegenzutreten, ohne schwierige Diskussionspunkte beim Thema Trans-Rechte außen vor zu lassen. Ja, das geht.