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|ak 681 | Umwelt

Bedrohte Vielfalt

Biodiversität ist Voraussetzung, reicht aber nicht, um die Klimakrise zu bekämpfen

Von Haidy Damm

Bestäuber bei der Arbeit: Fast 90 Prozent aller Pflanzen sind für ihre Fortpflanzung auf Insekten angewiesen. Foto: Unsplash/Jenna Lee

Biodiversität hat als Schlagwort seit einigen Jahren die Runde gemacht. In der internationalen Umweltdiplomatie geht die Biodiversitätskonvention (offiziell: Übereinkommen über die Biologische Vielfalt) auf die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahr 1992 zurück. Ihr Ziel: weltweit dem dramatischen Verlust an Arten, Lebensräumen und genetischer Vielfalt zu begegnen. Dabei geht es jedoch nicht in erster Linie darum, diese an sich, sondern ihre Dienstbarkeit im Sinne kapitalistischer Verwertbarkeit, also der möglichen Ökonomisierung der Natur, zu erhalten. So wird etwa die Bestäubung durch Insekten als Ökodienstleistung gemessen. Bei einem Komplettausfall würden die Erträge insbesondere bei Obst und Gemüse dramatisch zurückgehen. Der Wert der bestäubungsabhängigen Produktion wird für Deutschland auf 1,13 Milliarden Euro beziffert.

Um es kurz zu machen: Die in der Konvention vereinbarten Ziele bis 2010 wurden nicht erreicht, auch weitere Pläne konnten keine Erfolge vorweisen. Im Gegenteil: Das globale Massenaussterben nimmt zu. Der letzte strategische Plan der UN-Biodiversitätskonvention sah unter anderem vor, dass weltweit bis 2020 eine nachhaltige Landwirtschaft eingeführt, umweltschädliche Subventionen abgebaut und Schutzgebiete eingerichtet werden. Im September 2020 veröffentlichten die Vereinten Nationen ihren fünften globalen Bericht zur Lage der biologischen Vielfalt. Auch hier: Erfolge Fehlanzeige. Die ausgerufene UN-Dekade für die Biodiversität kann als verloren gelten.

Vom 25. April bis zum 8. Mai wird nun im chinesischen Kunming der zweite Teil der 15. UN-Biodiversitätskonferenz ausgerichtet. Diesmal wollen sich die Vertreter*innen der teilnehmenden 196 Staaten real vor Ort treffen. Der erste Teil hatte wegen der Corona-Pandemie im Oktober 2021 online stattgefunden. Am Ende der digitalen Versammlung stand die Erklärung von Kunming, die als Vertragsgrundlage der kommenden Konferenz gilt. 

Darin verpflichten sich die Teilnehmerstaaten, die Artenvielfalt bei allen Regierungsentscheidungen zu fördern. So soll sich die bedrohte biologische Vielfalt bis spätestens 2030 erholen. Rechtlich bindend ist die Erklärung nicht, ebensowenig legten die Staaten konkrete Maßnahmen fest. Eher vage heißt es, alle Länder sollen sich verpflichten, bis 2050 im Einklang mit der Natur zu leben. Vorgeschlagen sind: 30 Prozent der Fläche an Land und im Meer sollen bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden – immer unter Einbindung der Bevölkerung. Das entspräche etwa einer Verdoppelung der bisherigen Schutzflächen an Land, einer Vervierfachung auf dem Meer. Zudem sollen Reduktionsziele vereinbart werden: weniger Dünger, Pestizide und Plastikmüll. Die Ausgaben für den Artenschutz sollen innerhalb der kommenden zehn Jahre auf rund 173 Milliarden Euro jährlich steigen.

Geringe Erwartungen an UN-Konferenz

Die Erwartungen an das neue Abkommen, das gerne mit dem Pariser Klimaschutzabkommen verglichen wird, aber weniger bindend ist, sind nicht hoch. »Es wird künftig darum gehen, nicht nur klare Ziele zu formulieren, sondern auch genügend Geld zur Verfügung zu stellen, um sie zu erreichen«, sagt etwa Thilo Maack von Greenpeace. Diese Ziele müssten nicht nur regelmäßig überprüft werden, sondern auch Sanktionsmechanismen beinhalten.

Uneinigkeit herrscht auch in der Frage der Finanzierung. So forderte der inzwischen ehemalige Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die Industrieländer auf, ihre Mittel zum Erhalt der Biodiversität in Entwicklungs- und Schwellenländern zu verdoppeln. Als deutschen Beitrag schlug er eine Milliarde Euro jährlich vor. Darüber hinaus müsse die Privatwirtschaft an der Finanzierung beteiligt werden. Seine Nachfolgerin im Amt, Svenja Schulze (SPD), spricht dagegen nur von einer »passenden Finanzierung, die weit über die Umweltministerien hinaus« erfolgen müsse. 

Umweltverbände forderten in einem gemeinsamen Papier die Bundesregierung auf, den Beitrag zur internationalen Biodiversitätsfinanzierung auf mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen. »Industrienationen wie Deutschland haben mit ihrem enormen ökologischen Fußabdruck eine besondere globale Verantwortung und müssen auch andere Länder beim Schutz der Artenvielfalt unterstützen.« Aktuell beteiligt sich Deutschland demnach jährlich mit rund 800 Millionen Euro an internationalen Arten- und Naturschutzprojekten. Dem gegenüber stünden Ausgaben von rund 67 Milliarden Euro, die Deutschland jedes Jahr mit umweltschädigenden Subventionen für Landwirtschaft und Fischerei ausgebe. 

800 Millionen Euro gibt Deutschland für internationale Arten- und Naturschutzprojekte aus, 67 Milliarden Euro für umweltschädliche Subventionen.

Doch was soll da eigentlich genau geschützt werden? Grundsätzlich fallen unter Biodiversität oder auch biologische Vielfalt alle lebenden Organismen, Lebensräume und Ökosysteme. Dabei geht es sowohl um die Bandbreite an Ökosystemen und Lebensräumen, die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten als auch die genetische Vielfalt innerhalb der verschiedenen Arten. Internationale Studien belegen, dass die Zerstörung von Lebensräumen weltweit voranschreitet und dadurch zahlreiche Arten unwiederbringlich verloren gehen. So warnt der Weltbiodiversitätsrat (IPBES, vergleichbar mit dem Weltklimarat, IPCC) vor dem Aussterben von einer Million Arten schon in den kommenden zehn Jahren und dramatischen Folgen für die Lebensgrundlagen der Menschen: Gesunde Ökosysteme und biologische Vielfalt seien die Basis für Wohlstand, Wohlergehen, Ernährung und Gesundheit. 

Um auf das oben genannte Beispiel des Ernteausfalls durch Insektenschwund zurückzukommen. Eine Sache ist es, die Dienstleistung der Insekten in Euro zu bewerten. Die andere ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass fast 90 Prozent aller Pflanzen für ihre Fortpflanzung auf Insekten angewiesen. Das heißt: Die menschliche Ernährung ist abhängig von Insekten. Aber laut IPBES-Bericht ist die Menge an Fluginsekten seit 1989 um mindestens 75 Prozent zurückgegangen. Und für Deutschland konstatieren die 150 beteiligten Wissenschaftler*innen, dass knapp ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten als gefährdet gilt. 

Hinter diesen Zahlen steht die Zerstörung ganzer Ökosysteme. So heißt es in dem Bericht, in den vergangenen 150 Jahren seien drei Viertel aller Landflächen durch den Menschen stark verändert worden. Dazu gehören Abholzung, Flächenverbrauch für Häuser und Straßen, Bodenversiegelung und Flussbegradigungen. Zudem seien Subventionen für industrielle Fischerei und Landwirtschaft, Wald- und Bergbau und Bioenergie ineffizient und würden den Überkonsum befeuern. All das stelle ein genauso großes Risiko dar wie der Klimawandel, der die Ökosysteme darüber hinaus belastet. Dieselben Ursachen sehen IPCC und IPBES übrigens für die Zunahme von Pandemien. (ak 665).

Die Natur als Retterin in der Klimakrise?

Im Juni vergangenen Jahres haben die beiden Institutionen überdies einen gemeinsamen Bericht vorgelegt, in dem sie das Zusammenspiel von Klimawandel und Verlust der Biodiversität untersucht haben. Beide Probleme könnten nur gemeinsam bewältigt werden – unter Berücksichtigung sozialer Gerechtigkeit. »Wenn die internationale Gemeinschaft ihre Klima-, Naturschutz- und Entwicklungsziele erreichen möchte, wird sie nicht umhinkommen, die Belange des Klimas, der Natur und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung im Dreiklang zu denken«, sagt Ko-Autor und Biodiversitätsexperte Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. »Das heißt, Aufgabenstellungen werden komplexer, weil zum Beispiel Klimaschutzideen, die für sich betrachtet vielversprechend sind, im Hinblick auf die Natur und die lokale Bevölkerung weitreichende Nachteile mit sich bringen können.«

Widerstandsfähige Ökosysteme können in der Klimakrise zwar hilfreich sein, ihre Möglichkeiten würden aber überschätzt, sagt Mitautor Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. »Der Grund dafür ist, dass wir Menschen der Natur in den zurückliegenden Jahrhunderten vor allem geschadet haben. Wir haben zum Beispiel die Hälfte der Pflanzen-Biomasse beseitigt, glauben jetzt aber dennoch, die Natur sei im Stande, als große Retterin in der Klimakrise zu fungieren und uns die weitere oder längere Nutzung fossiler Brennstoffe zu ermöglichen.« (1) 

Intakte Ökosysteme könnten den Klimawandel im Laufe der Zeit zwar abmildern und damit helfen, das Klimaabkommen von Paris zu erfüllen, allerdings nur, wenn gleichzeitig die Emissionen im Energiesektor, im Transportwesen, in der Landwirtschaft, im Bauwesen und in der Industrie schnell reduziert werden, so Umweltforscher Settele. »Gelingt es nicht, die Emissionen in diesen Sektoren erheblich zu reduzieren, wird es zu verstärkten Auswirkungen des Klimawandels auf die Ökosysteme kommen. Infolgedessen wird deren Fähigkeit abnehmen, über naturbasierte Lösungen zum Klimaschutz beizutragen.«

Der IPBES-Vorschlag, mehr zusammenhängende Flächen als Schutzgebiete auszuweisen und die Verdoppelung der bestehenden Naturschutzgebiete weltweit auf mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030, ist nicht unumstritten. Einerseits, weil es um Flächenkonkurrenz und ökonomische Verwertung der Flächen geht, etwa in der Auseinandersetzung um Moorflächen für die Landwirtschaft oder Abholzung im Amazonas. Andererseits, weil besonders viele artenreiche, und damit schutzwürdige Flächen in Ländern liegen, in denen indigene Bevölkerungen das Land nutzen. Um hier nicht blind kolonialen Kontinuitäten zu folgen, hat die Biodiversitätskonvention immerhin festgestellt, dass Maßnahmen im Einklang mit der Bevölkerung stattfinden müssen. Gleiches gilt für die Verwertung genetischer Ressourcen. 

Das Abkommen erkennt zwar die Souveränität von Staaten und indigenen Gemeinschaften an, über ihre genetischen Ressourcen und ihr traditionelles Wissen zu verfügen. In der Realität aber sind es die Pharmakonzerne und Agrarmultis, die das Sagen haben. Dagegen steht die Forderung nach Ernährungssouveränität inklusive der freien Verfügbarkeit von Saatgut. Hier sind es in erster Linie kleinbäuerliche Initiativen, die etwa für eine andere Landwirtschaft kämpfen – überwiegend im Globalen Süden, aber zunehmend auch in den Industriestaaten. Einen damit verflochtenen (und durch Bauernbewegungen wie Via Campesina populär gemachten) Ansatz bietet die Degrowth-Bewegung mit ihrem Ziel ein gutes Leben für alle innerhalb der planetaren Grenzen möglich zu machen. Wem gehört die Welt? Und wie gelingt es, die kapitalistische Verwertungsbrille auf die Natur abzulegen? Die Antworten auf diese Fragen spielen auch bei der Biodiversität eine entscheidende Rolle.

Haidy Damm

ist freie Journalistin.

Anmerkung:

1) Soll die Natur das Klima langfristig stabilisieren, braucht sie Hilfe, unter: www.ufz.de