Hold my Baseballschläger!
Bei der Performance RATIO FURORIS© scheppert’s, bis die Amygdala kracht
Von Carina Book
Wer kennt es nicht? Man macht den Briefkasten auf und es flattert einem Post aus der Hölle entgegen: Klarna, letzte Mahnung. Und was will die Krankenkasse jetzt schon wieder? Oh, Bundesverwaltungsamt will Bafög zurück – klar, gar kein Problem. Rein in die Wohnung. Weltlage eh am Arsch. Scheiße, Scheiße am Schuh. Ich raste aus. Irgendwas kaputt schlagen wäre ganz geil, aber leider zu broke. Argh! Jetzt hilft nur noch weinen, das ist immerhin billig.
Doch das muss nicht so sein, verspricht RATIO FURORIS© – Das Institut für angewandte Wutwissenschaften: »Zusammen mit Ihnen wollen wir auf die Suche nach Ihren Wutmomenten gehen und dieser endlich den Raum geben, die sie verdient hat. Zu lange haben Sie ihre Wut unterdrückt!« Finde ich auch. Die Performance des [sic!]-Kollektives in der Hamburger Roten Flora richtet sich an alle wütenden FLINTA*s und die, die es noch werden wollen. Scheiß auf Impulskontrolle – jetzt wird die Amygdala unter den strengen Augen weiß-kitteliger Wutforscher*innen mal richtig zum Glühen gebracht. Danke für nichts, Kapitalismus. I hate you so much, Patriarchat.
Theaterkollektiv [sic!]
Mit RATIO FURORIS © feiern Hannah Sopp, Simone Rozalija Thiele und Féline Rathke als Theaterkollektiv [sic!] ihre erste krachende Inszenierung, die auf mehr davon hoffen lässt.
Vor mir türmt sich ein Haufen alter Fernseher auf und wartet darauf, wahlweise mittels Vorschlaghammer, Spitzhacke oder Golfschläger zerstört zu werden. Haben nicht schon Ton Steine Scherben gesungen »Macht kaputt, was euch kaputt macht«? Ok, zugegeben haben all die Fernseher mich gar nicht kaputt gemacht, aber das ist jetzt egal. »Soll es der Baseballschläger sein? Ich hätte hier ansonsten noch ein 8er-Eisen im Angebot. Nehmen Sie sich Zeit«, leitet mich die hoch konzentrierte Wutforscherin an und macht sich Notizen auf ihrem Klemmbrett. »Fühlt sich das gut für Sie an?« Fühlt sich das gut für mich an? Über diese Frage hatte ich schon lange nicht mehr nachgedacht.
Für einen Nachmittag eröffnet die Performance des [sic!]-Kollektivs einen Raum, in dem der gesellschaftlich antrainierte Super-Zen-Modus nicht-männlich sozialisierter Menschen in Standby geschickt wird und die Wut Platz bekommt. »Wut«, das ist eines dieser deutschen Wörter, die nicht ausdrücken, was sie bedeuten. Im Lateinischen heißt es Furor und bedeutet Raserei, Leidenschaft, Wahnsinn – und das beschreibt wesentlich besser, wie sich ein Vorschlaghammer im Einsatz anfühlt.
Meine Krankenkasse sagt: »Ärgerforscher wie der Mainzer Psychologieprofessor Dr. Thomas Kubiak haben festgestellt, dass die heiße Phase des Ärgers meist nicht länger als zehn Minuten dauert.« Das Wut-Institut von RATIO FURORIS© konnte dies auf Nachfrage von ak so nicht bestätigen. Rund zweieinhalb Stunden rasteten die 60 Proband*innen an insgesamt sechs Stationen aus, zerschmetterten Porzellan, zerschlugen Spiegel, Fernseher und Stühle.
Am Schreistand in der Optik eines Schießstandes wurde durch ein ausgeklügeltes Targeting erforscht, inwiefern die Rage der Proband*innen durch Schreie entweichen konnte. Ab 150 Dezibel kann das Gehör irreparabel geschädigt werden, doch selbst im Angesicht von Friedrich Merz und Wladimir Putin konnte ich meinen Stimmbändern unter Volllast lediglich 104 Dezibel entlocken. Das muss besser werden. Die Performance endete mit einem absolut unerwarteten Plot Twist: Sollte dies etwa gar kein wissenschaftliches Forschungsprojekt gewesen sein? Als eine Urne gefüllt mit dem Worst of Wutgründen buchstäblich in die Luft gejagt wird, knallen auch die letzten Sicherungen durch und es wird deutlich, dass das RATIO im Namen des Instituts geflissentlich gestrichen werden kann.