Wikinger auf Pilzen
»Beforeigners« ist der Versuch einer Parabel auf Identitätsdiskurse und den Umgang mit Migrant*innen
Von Lene Kempe
Verwandschaft kann richtig nerven, vor allem wenn sie unangekündigt vor der Tür steht. In der Serie »Beforeigners«, deren zweite Staffel seit kurzem über die ARD-Mediathek abrufbar ist, erscheint die sprichwörtliche alte Tante, die sich ungefragt an den Küchentisch setzt, in Gestalt mehrerer tausend Menschen aus der norwegischen Vergangenheit: Wikinger, Figuren aus der Steinzeit und Bürgerliche aus dem 19. Jahrhundert, die Vorfahren gelangweilter Hipster und aalglatter Kleinfamilien im modernen Oslo. Gekommen um zu bleiben, durch ein Zeitloch im Hafen der Hauptstadt.
Die norwegische Gesellschaft muss von jetzt auf gleich mit den »Zeitmigranten« klarkommen. Sie muss die provisorischen Camps und Marktplätze in den vormals schicken Straßenzügen ebenso akzeptieren, wie die Jagd auf putzige Kaninchen, die die Steinzeitmenschen als Abendessen verspeisen.
Eine der Hauptfiguren ist Alfhildr Enginnsdottir, Kriegerin aus der Wikingerzeit. Sie wird als erste »Multitemporale« bei der Osloer Polizei angestellt und soll gemeinsam mit ihrem medikamentenabhängigen Kollegen Lars Haaland den Mord an einer Zeitmigrantin aufklären. Die Krimistory ist aber eher nebensächlich, die Serie lebt von dem permanenten intertemporalen culture clash, der in der ersten Staffel mal witzig, mal klamaukig, teilweise aber auch erstaunlich klug inszeniert wurde. Die Norweger*innen von heute begegnen ihrer vormodernen Verwandtschaft mit allem, was der (liberale) Diversity-Diskurs der letzten Jahre hergibt: Es gibt Radioprogramme extra für Menschen aus dem 19. Jahrhundert, man diskutiert darüber, ob das »W-Wort« noch verwendet werden darf und eine bekannte Bloggerin brüstet sich damit, dass sich ihr hypermaskuliner Steinzeit-Freund als einer der ersten »Transtemporalen« als bigender geoutet hat.
Das Schöne ist, dass Alfhildr wie die meisten »Neuankömmlinge« in der Serie ein eher instrumentelles Verhältnis zu der übereifrigen Willkommenskultur pflegt: Als Urd, einstmals Waffenschwester von Alfhildr, in der Osloer Nationalgalerie aus Wut ein tausende Kronen teures Kunstwerk von Wikingerhäuptling Tore Hund zerfetzt, hilft Alfhildr ihr mit dem Verweis aus der Klemme, das Museum sei seiner Pflicht nicht nachgekommen, das Bild mit einer Triggerwarnung auf nordisch und mesolithisch zu versehen. Einige Szenen später stolpern die beiden Frauen auf Pilzen und mit einer Flasche Met in der Hand in eine Kirche und Alfhildr starrt fassungslos auf die kleine, ans Kreuz genagelte Jesusfigur: »Wie hat dieser lächerliche Gott nur die ganze Welt dazu gebracht, vor ihm zu knien?« Ihre Rolle als Vorzeige-Migrantin bei der Polizei erfüllt die Kriegerin aus der Vorzeit, die immer ein bisschen wirkt, als würde sie die meisten modernen Menschen um sich rum für verweichlichte Trottel halten, nur in Maßen.
Das Zynische ist, dass das ganze Setting – sieht man mal vom Plausibiltätsfaktor »Zeitreisen« ab – vor allem deshalb schlüssig erscheint, weil die »Neuankömmlinge« nicht dahin zurück geschickt werden können, wo sie herkommen. Die Zeitlöcher verschwinden so schnell, wie sie sich auftun, Abschiebung in die alte Epoche ist keine Option. Verstanden als eine Parabel auf den Umgang westlicher Gesellschaften mit »Fremden«, Flucht und Migration, gibt das der sonst so unterhaltsamen Serie hin und wieder einen faden Beigeschmack.
Die erste und zweite Staffel von »Beforeigners« ist in der ARD-Mediathek zu sehen.