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»Die Repression hat eine neue Stufe erreicht«

Anna von der linken Organisation Sozialistitscheskaja Alternatiwa über die Antikriegsproteste in Russland

Interview: Simon Konstantinow

Gruppe dunkel gekleideter vermummter und behelmter Polizisten, im Hintergrund ein historisches Gebäude
Vermummte Polizisten (einer mit Z am Helm) auf dem Manezhnaya-Platz am 13. März in Moskau, wo sie Teilnehmer*innen eine Friedenskundgebung festnehmen. Foto: Avtozak LIVE , CC BY 4.0

Die Gruppe Sozialistitscheskaja Alternatiwa aus Moskau besteht unter dem heutigen Namen seit 2016 und ist die russische Sektion der trotzkistischen internationalen Organisation International Socialist Alternative. Die Gruppe versucht, Proteste gegen den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu organisieren. Über die Widrigkeiten und Repressionen berichtet Anna im Interview. 

Inwiefern beteiligt sich eure Organisation Sozialistitscheskaja Alternatiwa an den Antikriegsprotesten in Russland?

Anna: Vom ersten Tag an hat sich unsere Organisation mit all ihren Kräften auf die Antikriegskampagne konzentriert. Wir arbeiten sowohl digital, indem wir online Materialien veröffentlichen, als auch offline, indem wir Plakate kleben, Flugblätter verteilen und an Protestaktionen teilnehmen.

In wie vielen Orten seid ihr aktiv?

Derzeit haben sich Gruppen aus zwölf Städten der Antikriegskampagne angeschlossen, dazu kommen Einzelpersonen aus weiteren Orten. Unsere Kampagne trifft auf einen unerwarteten Zuspruch. 

Sieben unserer Genoss*innen wurden in Moskau und Sankt-Petersburg festgenommen, die meisten erhielten fünf bis 20 Tage Haft. 

Wer sind die Teilnehmer*innen bei den Protesten?

Zum Großteil sind es bisher gering politisierte Menschen oder Personen, die nun durch den Krieg politisiert werden. 

Welche Repression setzen die russischen Behörden gegen euch ein?

Im Vorfeld der Antikriegsaktionen am 6. März wurden sieben unserer Genoss*innen in Moskau und Sankt-Petersburg festgenommen, die meisten erhielten fünf bis 20 Tage Haft. Auch bei den Aktionen selbst nahm die Polizei dann drei Mitglieder fest. Weitere unserer Genoss*innen werden aktuell observiert. Die Polizei kommt zu ihnen und ihren Verwandten nach Hause. Sie werden direkt vor der Haustür erwartet und über die möglichen Folgen für die Teilnahme an Aktionen belehrt.

Wie bewertet ihr generell die Antikriegsaktionen vom 6. März?

Die staatliche Repression gegen die Aktionen hatte einen neuen Grad an Härte erreicht. Eine Massenmobilisierung, die die Polizei nicht mehr mit Gewalt zerstreuen könnte, kam wiederum nicht zustande – obwohl viel mehr Menschen auf die Straße gegangen waren als noch an den Tagen davor. Wir hatten eine Kundgebung am Komsomolskaja-Platz in Moskau organisiert. Anhänger*innen des Oppositionspolitikers Alexei Nawalny versuchten, nach einer eigenen Kundgebung zu uns zu kommen. Die Spezialeinheiten der Polizei blockierten jedoch den Zugang zum Platz und kontrollierten die Rücksäcke aller Teilnehmer*innen. Nach drei erfolglosen Versuchen, sich zu versammeln, brachen wir die Aktion ab.

Wie schätzt ihr das Vorgehen der anderen oppositionellen Kräfte in Russland ein?

Sowohl linke wie auch liberale Organisationen versuchen derzeit, Antikriegsmärsche zu organisieren. Diesen fehlt es jedoch an Vorbereitung. Wenn sie ein Datum und einen Sammelpunkt ankündigen, ist bereits zu viel Zeit vergangen.

Antikriegsproteste in Russland: Wie weiter?

Auszug aus einem Diskussionsbeitrag der Gruppe Alternative Linke nach dem landesweiten Protesttag am 6. März 2022, mit anderen Beiträgen russischer Linker ausführlich dokumentiert auf akweb.de.

»Dies ist ein wichtiger Text. Diskutiert mit anderen Aktivist*innen darüber. (…) Gründe für das Scheitern der Mobilisierung gegen das BöZe (die russische Invasion, Anm. der Redaktion): Echte Unterstützung für die »Spezialoperation« durch die Mehrheit der Russ*innen. Der Krim-Konsens besteht immer noch. (…) Die repressiven Gesetze und die Unterdrückung haben zur Auswanderung von Schlüsselaktivist*innen geführt. (…) Das Putin-Regime hat das politische Feld gesäubert. (…) Die Führung der Oppositionsbewegung in Russland liegt seit 2014 unangefochten bei den Liberalen. Die liberalen Protesttaktiken haben immer wieder gegen die Taktiken der herrschenden Neoliberalen verloren. Es sollte klar sein, dass die rechte Opposition – Nemzow (früher), Chodorkowski, Nawalny, usw. – keine prinzipiellen Gegner Putins sind, sie sind seine Konkurrenten. Sie kamen aus dem Umfeld von Jelzin, Nemzow und Chodorkowski unterstützten Putins Machtübernahme. (…) Die wirtschaftlichen und politischen »Expert*innen« der Liberalen sind immer wieder gescheitert. (…) Ihre Theorien sind darauf ausgerichtet, den Neoliberalismus als System zu rechtfertigen, sie bieten keine glaubhaften Perspektiven an. Imperialistische Widersprüche existieren für sie nicht, sondern sie erklären die Ereignisse mit den persönlichen Eigenschaften bestimmter Personen. Mit einer solchen Führung werden wir niemals gegen das Regime gewinnen. Wir werden immer verlieren. Das Scheitern der friedlichen Proteste in Belarus und Chabarowsk im Jahr 2020, das Scheitern der Proteste Anfang 2021 in Russland und die Niederschlagung des Aufstands in Kasachstan haben die Russ*innen darin bestärkt, dass Proteste von unten keinen Sinn machen. Was ist als nächstes zu tun? Die Phase der Reaktion wird noch einige Zeit andauern. Wir brauchen jetzt keine Heldentaten von Einzelgänger*innen, wir müssen eine organisierte Massenbewegung vorbereiten. Seid vorsichtig und achtet auf eure Sicherheit. (…) Um eine Massenbewegung vorzubereiten, brauchen wir Agitation. Im Moment kann das nur im Untergrund geschehen. Helft euch gegenseitig, anonyme Informationskanäle zu entwickeln. Es ist ein guter Zeitpunkt, um über Flugblätter, Aufkleber und Schablonen nachzudenken. (…) Bildet autonome Gruppen. Vertraut nur denen, die ihr gut kennt. (…) Tauscht Techniken, Taktiken und Ideen aus. Die Aufgabe der autonomen Gruppen besteht darin, den massenhaften politischen Aufschwung sowohl der Öffentlichkeit als auch der Aktivist*innen vorzubereiten. Zum richtigen Zeitpunkt werden wir Logistik und Menschen brauchen, die bereit sind, zu organisieren und zu handeln. Nehmt Kontakt zu Belegschaften in den Betrieben auf. (…) Sich auf Sanktionen und die Handlungen ausländischer Regierungen zu verlassen, wie es die Liberalen tun, ist kriminell. Die herrschenden Klassen des Westens und der Ukraine handeln in ihrem eigenen Interesse. (…) Glaubt nicht an den Humanismus der westlichen und ukrainischen Eliten, vertraut weder der Propaganda der ukrainischen Nationalisten noch der Propagandisten Putins. (…) Wir wollen in einem Land leben, in dem die politische und wirtschaftliche Macht nicht in den Händen einiger weniger oligarchischer Familien oder in der Person eines Diktators konzentriert ist. Wir wollen in einem Land leben, in dem nicht die Konkurrenz, sondern die Solidarität gefördert wird. Wir wollen Frieden und Wohlstand. Also lasst uns dafür kämpfen.« Übersetzung: Christoph Wälz

Welche Perspektiven seht ihr für die Proteste?

Vor einer neuen Mobilisierungswelle muss sich die Antikriegsbewegung verbreitern. Das bedeutet, dass weitere Schichten der Bevölkerung für die Proteste gewonnen und organisiert werden müssen. Wir hatten ursprünglich zu einem dreistündigen Warnstreik am 9. März aufgerufen, aber aufgrund der geringen Resonanz und der harten Repression bedeutete der Plan lediglich die Gefährdung unserer kleinen Aktivist*innengruppe. 

Was habt ihr dann gemacht?

Wir schlugen daraufhin vor, den 9. März zum Tag der Antikriegs-Agitation am Arbeits- und Ausbildungsplatz zu machen. Ziel war es, mit Kolleg*innen zu sprechen, ihnen mitzuteilen, wo man wahre Nachrichten über den Kriegsverlauf erhält, ihnen bei der Einrichtung eines verschlüsselten VPN-Internetzugangs zu helfen, und auch über den kommenden ökonomischen Schock in Russland mit ihnen zu sprechen. In vielen Städten entstanden Keimzellen von Antikriegskomitees. Diese sollen nun in den Betrieben und Hochschulen agitieren. 

Simon Konstantinow

schreibt über die Lebenden und die Toten in Ost und West.

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