Die Einsamkeit des Eiskunstläufers
Toeloop, Axel und Pirouetten versinnbildlichen unseren Alltagskampf – um so schöner, wenn eine die Regeln bricht
Von Nelli Tügel
Es sind gerade Olympische Spiele in Peking, und mich erinnert das vor allem mal wieder daran, wie sehr ich Eiskunstlauf liebe. Nicht Eistanz, sondern Eiskunstlauf, also das, wo gesprungen wird und auch da nicht die Paarvariante, sondern den Einzellauf. Und lange war mir das unangenehm, vielleicht, weil Eiskunstlauf so streng, diszipliniert und unendlich einsam ist – also nicht gerade das, was Linken als erstrebenswert gilt. Außerdem kann ich mich selbst kaum auf Schlittschuhen halten.
Und doch: Seit bald 30 Jahren, seit Tonya Hardings vertracktem Auftritt 1994 in Lillehammer – sie hatte sich die Teilnahme wegen der laufenden Ermittlungen nach der Sache mit Nancy Kerringan erklagt, dann brach sie die Kür aufgrund eines kaputten Schnürsenkels ab und fing noch einmal von vorne an –, starre ich gebannt auf den TV-Bildschirm, wenn Läufer*innen sich auf dem Eis abkämpfen. In einer Sportart, die wie kaum eine andere eine Allegorie auf den alltäglichen Kampf darum, den Kopf über Wasser zu halten, ist: Jahrelang schindet sich die Eiskunstläufer*in in harten Trainings, und doch bleibt der Grat zwischen wunderschöner Kür und einem Sturz stets extrem schmal, das Gelingen ist letztlich Zufall und Glück überlassen.
Ich denke, das ist genau der Grund, warum ich es so liebe: Obwohl es eigentlich wahnwitzig ist, versuchen die Läufer*innen, eingezwängt in ein enges Korsett aus Regeln und geforderten Elementen, in ihrer Darbietung sich so etwas wie Individualität und Freiheit zu erlaufen und durchzukommen, ohne dabei auf die Schnauze zu fliegen, was oft nicht gelingt – sie spielen uns also quasi unser Leben vor. Wenn eine*r sich dann befreit, indem er*sie die Regeln einfach bricht, sind das die schönsten Momente! Nie werde ich vergessen, wie mitreißend es war, als die französische Läuferin Surya Bonaly 1998 bei den Olympischen Spielen in Nagano, die für sie echt nicht gut liefen, in der Kür plötzlich den verbotenen Backflip machte – einfach weil sie es (als einzige!) konnte und eh schon alles egal war. Das war Punk. Es passiert gar nicht so selten, dass ich daran denke und sie mir innerlich zum Vorbild nehme. Obwohl ich nicht einmal Schlittschuhlaufen kann, und auch wenn nicht gerade Olympische Spiele sind.