Power to the Bauer?
Nach den Protesten in Hamburg und Berlin ist die Bauernfrage neu gestellt
Von Carina Book
Vielleicht ist es für die Bäuerinnen und Bauern das G20 der Agrarindustrie: In einem herrschaftlichen Saal mit Fischgrätenparkett und Kronleuchter sitzen die Umweltminister*innen der Länder zusammen, während draußen an diesem 14. November ein kleiner Ausnahmezustand herrscht. Der Verkehr in Hamburg ist bereits zusammengebrochen (auch im Schanzenviertel), denn ungehorsame Treckerfahrer*innen blockieren die Straße. Das Ziel ist den urbanen Alltag zu stören, sich Gehör zu verschaffen, den links-grünen »Stadtker« zum Nachdenken zu bringen und die Verschärfung von Umweltrichtlinien zu verhindern. Deutz reiht sich an Fendt, Fendt reiht sich an John Deere, John Deere reiht sich an New Holland – warum ich das erkenne? Weil ich da aufgewachsen bin, wo viele der Trecker morgens um halb vier aufgebrochen sind: im Emsland.
»Wachsen oder weichen«
Die Zahl der Bauernhöfe ist dort in den letzten zehn Jahren stark gesunken. Denn es gilt nicht nur die regionale und landesweite Nachfrage zu befriedigen: Die Bäuerinnen und Bauern wollen für den Weltmarkt produzieren. Darauf setzte auch die Politik. Und um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu werden ist »Wachsen oder Weichen« zum Credo des Deutschen Bauernverbandes geworden. Die Großen ins Töpfchen, die Kleinen ins Kröpfchen. Viele Ställe stehen jetzt leer, oder sind an diejenigen verpachtet worden, die dem Druck besser Stand halten konnten. Die dadurch entstandenen Großbetriebe setzen auf Masse. Belohnt werden sie von der EU, denn je größer die Fläche eines landwirtschaftlichen Betriebes ist, desto mehr Agrarsubventionen erhält er. Um die sechs Milliarden Euro schüttet die EU an deutsche Bäuerinnen und Bauern aus. Als die Agrarsubventionen 1962 von der EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) eingeführt wurden, ging es darum, im Nachkriegseuropa ausreichend Lebensmittel zu günstigen Preisen produzieren zu können und den Bäuerinnen und Bauern dafür finanziell unter die Arme zu greifen. Heute führen die Fördergelder dazu, dass die europäischen Agrarprodukte konkurrenzlos billig auf die internationalen Märkte gespült werden und damit regionale Produkte in den importierenden Ländern des Trikont verdrängen. Mittlerweile wird jedes dritte landwirtschaftliche Produkt ins Ausland verkauft. Dabei sind in den letzten Jahren stattliche Exportüberschüsse zustande gekommen.
Unrettbar verloren
Mit der von den »Stadtkers« oft romantisierten Vorstellung vom Landleben hat das natürlich nichts zu tun: Auf der Weide findet man heute weder Bullen noch Schweine. Die Tiere stehen in großen Mastanlagen auf Spaltenböden. Die Fütterung lässt sich per App regeln. Und stimmt mal etwas nicht mit dem Sauerstoffgehalt im Stall oder dem Futterlaufband, erhält der Großbauer eine Pushnachricht. Der Umbau auf Massentierhaltung und die weitgehende Automatisierung der Produktionsprozesse hat die Stückkosten reduziert und die Bäuerinnen und Bauern in einen Strudel katapultiert, der auf ein unrettbares Ende des Kleinbauerntums hinausläuft. Denn das Versprechen, die Landwirtschaft durch Exporte ins Ausland zukunftsfähig zu machen, geht nur begrenzt auf. Die steigenden Produktionsmengen drücken immer wieder auf die eigenen Erzeugerpreise, wenn die Absatzmärkte gesättigt sind. Da kann einem eine Schweinepest in China glatt wie ein Segen vorkommen. Auch die Erzählung »keiner kann billiger als wir« hat sich als Märchen herausgestellt, denn die Konkurrenz schläft nicht: Aus Osteuropa oder Südamerika drängen Billigimporte in den Lebensmitteleinzelhandel. Und für die großen Lebensmittelketten gilt weniger »gut und günstig« als »je billiger, desto besser«. Gegen die Preisdrückerei der großen Ketten können kleine und mittlere Betriebe wenig ausrichten und sind (zumindest in der jetzigen Form) unrettbar verloren. Die DZ Bank prognostizierte das nahende Ende des klein- und mittelbäuerlichen Betriebs schon 2017 in einer Branchenanalyse. Bis 2040 würden demnach von den rund 275.000 derzeit existierenden landwirtschaftlichen Betrieben (1960 waren es noch ca. 1,5 Millionen) nur noch 100.000 ihren Betrieb weiterführen können. 175.000 werden als Arbeiter*innen ihr Geld verdienen müssen. Vielleicht werden sie als Angestellte den Acker pflügen, der einmal ihnen gehört hat. Doch hiervor verschließen die kleinen Bäuerinnen und Bauern zu gerne die Augen und trommeln gemeinsam mit den Großbauern, die in Kürze ihre Betriebe verdrängen, pachten oder kaufen werden, zum Protest.
Umweltschutz im Kapitalismus?
Die Schuld an ihrem Dilemma suchen die Bäuerinnen und Bauern mit ihrem neuerlichen Aufstand aber nicht in der kapitalistischen Produktionsweise oder der verfehlten Subventionspolitik, sondern bei denen, die die Einhaltung von Umweltrichtlinien einfordern und diese verschärfen wollen. Die steigenden Produktionsmengen haben nämlich noch einen anderen Effekt: mehr Tiere bedeuten logischerweise auch mehr Gülle. Und die kommt als Dünger auf den Acker. Dadurch ist die Nitratbelastung im Grundwasser in vielen Regionen Deutschlands viel zu hoch, sagt das Umweltbundesamt. Der gemessene Nitratwert im Grundwasser ist an einigen Messstellen drei bis vier Mal so hoch wie der einzuhaltende Nitratgrenzwerts von 50 mg/l vorgibt. Die EU-Kommission zog deshalb sogar gegen Deutschland vor den Europäischen Gerichtshof und bekam Recht. Die Düngemittelverordnung musste geändert werden und die Bäuerinnen und Bauern müssen seither genau dokumentieren, wie viel Gülle sie auf ihre Äcker fahren. Ein bürokratischer Aufwand, der viele auf die Palme bringt, und dennoch sind die Nitratwerte nicht signifikant gesunken. Wie auch? Der Mist muss ja irgendwo hin. Und spätestens an dieser Stelle wird es absurd, denn in einem haben die Bäuerinnen und Bauern Recht: Unter der Prämisse exportorientiert und massenhaft produzieren zu wollen, wird es schwierig mit dem Umweltschutz.
Kein Mais im Mais-Dorf
Sichtbar wird das auch an den alltäglichen Paradoxien. Wenn ich in das Dorf fahre, in dem ich aufgewachsen bin, bietet sich ein ziemlich monotones Bild: Mais soweit das Auge reicht. Eigentlich gibt es eine Fruchtfolge, um die Böden nicht auszulaugen. Das bedeutet, dass wenn Mais angebaut wurde, darauf eigentlich Raps oder Getreide folgen sollte. Davon ist man aber schon lange abgewichen, denn Mais ist als nachwachsender Rohstoff prädestiniert, um ihn in Biogasanlagen gut subventioniert zu verheizen. Für die Tiere im Mais-Dorf bleibt kaum Futtermais übrig, und die Futtermittelproduzenten importieren Mais aus Osteuropa oder auch aus Kanada. Der Mais wird dann mit dem Schiff in den Hamburger Hafen gebracht und von dort aus per LKW ins Maisdorf gefahren – alles unter der Überschrift Nachhaltigkeit. Durch das Verheizen des Mais wird aus einem Bauern als Lebensmittelproduzenten ein »Energiewirt«. Und das lohnt sich im Vergleich zu den niedrigen Gewinnen, die Landwirt*innen für ihre produzierten Lebensmittel erwirtschaften können. Das hat zur Intensivierung der Landwirtschaft geführt: Weiden und Wiesen wurden in Äcker verwandelt, es gibt kaum noch Hecken oder Blumen am Feldrand. Das ist schlecht für die Artenvielfalt; genau wie die Menge an Dünger und Herbiziden, die stark angestiegen ist. Die Bäuerinnen und Bauern wollen dafür nicht zu »Buhmännern« gemacht werden und möchten deshalb viel lieber über die »Nitratlüge« reden.
Rechtsoffene Flanken
So wie Bauer Willi. Bauer Willi ist für den Bauernprotest etwa das, was Greta Thunberg für die Klimabewegung ist. Er hat mehr als 24.000 Freunde auf Facebook und wenn er sich über ein paar von Umweltaktivist*innen abgeknickten Weizenhalme aufregt, wird er von Robert Habeck (Vorsitzender der Grünen) angerufen. Er trifft Julia Klöckner (Landwirtschaftsministerin, CSU) zum Gespräch und: Er hält die »Nitratlüge« für eine Kampagne von grünen NGOs und Medien. Und Bauer Willi hat das Gefühl, dass einfachen Bauern, wie ihm nicht zugehört wird, obwohl der Deutsche Bauernverband eine der mächtigsten Lobbygruppen ist. Das nimmt die CDU/CSU-Fraktion sehr ernst und lässt ihn auf einer Tagung der Fraktion sprechen. Darüber, dass Bauer Willi in seinem Arbeitsleben bis zur Pension gar nicht vornehmlich als Bauer, sondern in der Pestizid- und Düngebranche gearbeitet hat, erzählt er dort nicht so gerne. Er möchte auch nicht über den menschengemachten Klimawandel und die dadurch entstehende Bedrohungslage für Menschen und Umwelt sprechen. Ihm geht es darum, den »gesellschaftlichen Klimawandel« zu stoppen: »Mit diesem schnellen gesellschaftlichen Klimawandel kommen wir Bauern nicht mehr zurecht.« Naturschutz, Artenschutz und Tierschutz seien verschobene Prioritäten der »urbanen Eliten«.
Bauer Willi fordert: »Schluss mit dem Ideologie-Wahnsinn. Zurück zu Fakten und Wissenschaft!« Das steht auch auf vielen Plakaten der protestierenden Bäuerinnen und Bauern in Hamburg oder Berlin geschrieben. Man findet auf ihnen auch postfaktische Erklärungen für das Insektensterben: LEDs, Mobilfunkanlagen und Windräder sollen das nämlich verursacht haben. Viele Bauern sehen sich in Opposition zur ehemaligen Bauernpartei CDU. Bauer Willi meint, die CDU habe sie »verraten und verkauft«. Das beziehen die Bäuerinnen und Bauern nicht nur auf landwirtschaftliche Fragen. Vielen geht es auch darum, die CDU von rechts zu kritisieren. Wenig verklausuliert wird hier auch Kritik an der Flüchtlingspolitik formuliert. An Traktoren auf der Demonstration in Berlin finden sich Slogans wie: »Fachkräftemangel gibt es nur in der Regierung«. In der Summe zeichnen all diese Aussagen einen Weg vor, an dessen Ende freudige AfDler mit ihren Fähnchen winken können.