Der »große Austausch« der Frau
Die »Gender Critical«-Bewegung wird durch ein Hass-Manifest ins rechte Licht gerückt – typisch für sie: Verschwörungsideologie und Projektionsbereitschaft
Von Jeja Klein
Ein Manifest des Hasses auf transgeschlechtliche Frauen verdeutlicht das gefährliche Potenzial, das in der »Gender Critical«-Bewegung steckt. Geschrieben hat es die lesbische, ehemalige Pornodarstellerin Lily Cade. Der Text, der vor bildhaft ausformulierten Fantasien sexueller Gewalt trieft, ruft zum Lynchen aller trans Frauen und zur Vergewaltigung und Ermordung ihrer Unterstützerinnen auf.
Cade reagierte mit dem Text auf die erneute Veröffentlichung von Vergewaltigungsvorwürfen gegen sich, die ehemalige, cisgeschlechtliche Kolleginnen im Zuge der Metoo-Bewegung erhoben hatten. Die alten Anschuldigungen entdeckte die Philosophin und Aktivistin Christa Peterson. Sie hatte Cade hinterher recherchiert, weil diese in einem völlig haltlosen BBC-Artikel über vermeintlich zunehmende Vergewaltigungen von Cis-Lesben durch trans Frauen als Quelle aufgetreten war.
Mit dem Hinweis auf Cades Taten wollte Peterson aufzeigen, wie unglaubwürdig die Stimmen aus der »Gender Critical«-Bewegung sind, die transgeschlechtlichen Frauen beständig Vergewaltigungsneigungen unterstellen. In der Vergangenheit hatte sie bereits die antisemitische Weltanschauung und die querfrontlerische Zusammenarbeit mit Neonazis bei der »GC«-Gallionsfigur Jennifer Bilek nachgewiesen. Doch Cades Vergewaltigungen werfen ein noch grelleres Schlaglicht auf das Seelenleben der »GC«-Bewegten.
Zugespitzter Bio-Essentialismus
Cades 20 Seiten langes Wutschreiben beginnt mit der Zurückweisung, dass sexuelle Vergehen sie als Zeugin gegen trans Frauen disqualifizierten. Sie besteht darauf, beides zu trennen und betont, die Anschuldigungen nie geleugnet zu haben. Dann kippt der Text in völlig entfesselte Hassrede gegen transgeschlechtliche Frauen, deren vermeintliche Bestialität ihre Verfolgung und Ermordung rechtfertigen würde. Cade glaubt, in transgeschlechtlichen Frauen das Instrument eines nach Weltherrschaft strebenden Pädophilenkults erkannt zu haben, der von als jüdisch dechiffrierbaren »Geldmännern« angeführt werde. Die Frauen wären dabei ein Mittel, um zu ermöglichen, was die bisherigen Pädophilenkulte nicht vermocht hätten: in Frauenräume einzudringen, insbesondere in die letzte Bastion des »Widerstands«, nämlich die Lesbenszene.
Cade war in einem völlig haltlosen BBC-Artikel über vermeintlich zunehmende Vergewaltigungen von Cis-Lesben durch trans Frauen als Quelle aufgetreten.
Um sexuelle Angriffe gegen Mädchen und Frauen und ihre »Umwandlung« in Männer oder Nichtbinäre abzusichern, hätten trans Frauen die »NewSpeak« erfunden, die nach und nach über die von ihnen kontrollierten sozialen Medien einsickere und das Englische verdränge. Doch keine Pseudo-Sprache könne, so Cade, erreichen, dass auch nur ein einziger Mensch wirklich glaube, dass eine »Transe« eine Frau sei. Es sei vielmehr die um sich greifende »Schwäche«, aufgrund derer sich Menschen dem Diktat fügen würden. Dass sie schwach seien, dafür hätte der Pädophilenkult schon vor längerer Zeit gesorgt, indem er die Masturbation erlaubt und als gesund eingestuft habe. Nun masturbierten alle, insbesondere die männlichen gesellschaftlichen Autoritäten wie Polizisten und Soldaten, aber auch Wissenschaftler, süchtig nach Smartphones, Pornographie, sozialen Medien oder nach ihrer »Pseudowissenschaft«, den Gender Studies.
Denen setzt Cade die Veterinärwissenschaften als Grundlagenwissenschaft einer Gesellschaft entgegen. Die stets bemühten Metaphern aus tierischer Sexualität, mit der Cade eine »natürliche« zweigeschlechtliche sexuelle Ordnung und nicht zuletzt auch ihr eigenes »Besteigen« anderer Frauen glorifiziert, zeigen, wie zugespitzt ihr Bio-Essentialismus ist. Der sei allen Menschen völlig evident, habe er sich doch aus Millionen von Jahren der Evolution entwickelt. Zwar sei Cade bei ihren Übergriffen zu weit gegangen und habe das »Nein« der Frauen mit Begehren verwechselt, betont aber, dass sie letztlich nur die Rechte ausgeübt habe, die ihrer »angeborenen« »Homosexualität« innewohnten.
Die Vorstellung, dass spezifische Rechte in Biologie wurzeln und nicht in am Menschsein haftenden, abstrakteren Bestimmungen, teilt Cade dabei mit der »GC«-Bewegung. Die war etwa mit der »Declaration on Women’s Sex-Based Rights« gegen trans Menschen als personifiziertem Angriff auf Frauenrechte vorgegangen. Im Text heißt es, dass es in Biologie wurzelnde Frauenrechte gäbe, die eben darum trans Frauen nicht zustünden. Dabei deuten feministische Positionen, etwa in der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen, spezifische Frauenrechte als Hilfskonstrukt, mit denen ihre Menschenrechte gesichert werden sollen.
Erleuchtung durch Taten
Doch wessen Rechte aus der Biologie kommen, der hat auch entsprechende Pflichten. Aus der Fähigkeit zur Geburt, angeblich allen Frauen zu eigen, schlussfolgert Cade eine heilige Pflicht zur Mutterschaft. Ein Problem jedoch: die Frauen innewohnende Tendenz zum Mitleid. Mit dem gingen sie trans Frauen, ihren beständigen Selbstmorddrohungen und Manipulationen auf den Leim.
Aufrufe an Männer, Frauen und Kinder vor »Pädophilen« und »Transen« zu »beschützen«, finden sich nicht nur in Cades Manifest. Legendär ist etwa die Anfang des Jahres erhobene Forderung der britischen »GC«-Bewegten Posie Parker. Die sagte, Männer sollten Frauentoiletten benutzen und dabei Schusswaffen mit sich führen. Was klingt wie eine Horrorvorstellung, macht in der »genderkritischen« Logik jedoch Sinn. Denn auf den Frauentoiletten könnten diese »guten« Männer die »schlechten Männer« vom »Eindringen« abhalten – gemeint sind natürlich trans Frauen.
Dass in dem oftmals männerhassend daherkommendem Vokabular eine tiefe Bewunderung steckt, kann man auch bei Cade sehen. Immer wieder fragt sie danach, wo die »Eier« Amerikas geblieben seien, oder, ob sie »der letzte Mann in Amerika mit Eiern« sei. Männer ließen sich durch die »dunkle Seite«, die in ihnen stecke, korrumpieren, masturbierten und unterstützten die »Transen« dabei, in alle Frauenräume einzudringen. Cade jedoch – die »einzige Frau auf der falschen Seite der Metoo-Liste« – sei durch ihr eigenes Hinübergleiten zu den »Schatten«, ihren Taten also, privilegiert. Sie sei darum »in die Matrix zurück« gekommen, um die »rote Pille« unter die Leute zu bringen und die Wahrheit zu sagen: dass trans Frauen »Männer« seien und dass man sie und ihre Verteidigerinnen töten müsse.
»GC«-Bewegte reagierten übrigens, wie Peterson in Screenshots dokumentierte, auf die Vergewaltigungsvorwürfe konsequent. Eine Frau könne mangels Penis gar nicht vergewaltigen, widersprachen einige von ihnen explizit der Wortwahl der Betroffenen. Eine Weltsicht, die insbesondere dann nützlich sein dürfte, wenn man sich ohne derlei Ideologie in sexuellen Dingen selbst nicht über den Weg traut und auf die durch das eigene Frausein sichergestellte, moralische Unantastbarkeit angewiesen ist. Und auch Cades Erklärung für ihre Taten ist kreativ. Schuld daran, dass sie zum »Monster«, zur »Akolythin der Schatten« geworden sei, ist gar nicht sie selbst. Es sind die Männer der Pornoindustrie – vor allem aber »Transen«, die ihr durch die »Wegnahme« eines Musikfestivals der »GC«-Bewegung in Michigan die Möglichkeit genommen hätten, ein besserer Mensch zu werden.
Cade mag aufgrund konflikthafter Umstände in eine geschlossen verschwörungsideologische Welt abgedriftet sein. Die Elemente, die sie zur Bewältigung wählt, werden jedoch seit Jahrzehnten kultiviert. So beschrieb Janice Raymond 1979 mit »The Transsexual Empire« eine Verschwörung, in der Medizin und das große Geld trans Frauen durch plastische Chirurgie »erfunden« hätten. Das Buch stellt das intellektuelle Gründungsdokument der Bewegung dar. Es enthält bereits die Verknüpfung der Zuschreibung sexueller Gewalt mit der Nivellierung dessen, was »Vergewaltigung« bedeutet. Alle trans Frauen »vergewaltigen die Körper von Frauen« – und zwar dadurch, dass sie »die echte weibliche Form auf ein Artefakt« reduzierten und »diesen Körper« für sich selbst »aneignen«. Paranoide Kollektive »unschuldiger« Verfolger*innen jedoch, die ihren zu bestrafenden Opfern sexuelle Boshaftigkeit andichten, sind einer der vielen Bäche, deren Gravitation sie zuverlässig in den Strom des Faschismus einmünden lässt.
Eine detaillierte Analyse des Manifests von Lily Cade kann auf jejaklein.net nachgelesen werden.