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Reichtum als soziales Verhältnis

Aaron Benanavs Buch über Automatisierung, Arbeit und eine postkapitalistische Gesellschaft jenseits des Mangels

Von Marlon Lieber

Nahaufnahme eines Service-Roboters mit weißer, glatter Overfläche und großen Kulleraugen. Der Roboter scheint zu lächeln.
Warum denn Angst haben vor der Automatisierung? Sieht doch knuffig aus. Foto: Possessed Photography/Unsplash

Einer im April dieses Jahres veröffentlichten Studie zufolge haben die Deutschen zu wenig Angst vor der Automatisierung der Arbeit. So zumindest das Fazit der Deutschen Presse-Agentur, die darüber berichtete. Sollten die sonst oft als ängstlich verschrienen Deutschen gerade bei diesem Thema zu übertriebener Zuversicht neigen? Zumindest im jüngsten Bundestagswahlkampf spielte Automatisierung keine große Rolle, ganz anders als in den USA, wo mit Andrew Yang ein Präsidentschaftskandidat die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aufgrund drohender Jobverluste gar in den Mittelpunkt seiner Kampagne rückte.

In seinem Buch »Automatisierung und die Zukunft der Arbeit« beschreibt der amerikanische Wirtschaftshistoriker Aaron Benanav Yang als Vertreter eines Diskurses, demzufolge eine weitgehend automatisierte Gesellschaft kurz bevorstehe. Dies werde katastrophale Folgen haben, sofern Einkommen und Arbeit nicht durch ein bedingungsloses Grundeinkommen entkoppelt würden. Akzelerationistisch geneigte Linke sehen darin gar die Chance, einen »voll automatisierten Luxuskommunismus« (so der britische Journalist Aaron Bastani) einzuführen.

Benanav gesteht dem Automatisierungsdiskurs zwar zu, auf reale Probleme zu reagieren, deren Ursachen sowie mögliche Lösungen allerdings zu verkennen. Richtig ist, dass der globale Kapitalismus von einer geringen Nachfrage nach Arbeit geprägt ist. Dass der Kapitalismus tendenziell Arbeitslosigkeit produziert, wusste bereits Marx, der dies gar zum »allgemeinen Gesetz der kapitalistischen Akkumulation« erklärte, und so verwundert es nicht, dass das »Gespenst der technologischen Arbeitslosigkeit« (Theodor W. Adorno im Jahr 1967) in regelmäßigen Abständen beschworen wird.

Problem: stagnierende Weltwirtschaft

Doch, so die zentrale These des Buches, es ist nicht der technologische Wandel, der die Schuld daran trägt. Benanav schlägt eine so simple wie überzeugende alternative Erklärung vor. Steigt der Output in einer Branche schneller als die Arbeitsproduktivität, entstehen Jobs, wie es in vielen westlichen Nationalstaaten in den drei glorifizierten Nachkriegsjahrzehnten der Fall war. Umgekehrt gilt, dass die Beschäftigung sinkt, wenn der Output langsamer wächst als die Produktivität, was etwa 1973 eingetreten ist. Kurz, das Problem ist nicht primär der technologische Wandel, der Jobs vernichtet, sondern eine stagnierende Weltwirtschaft, in der zu wenige neue Jobs geschaffen werden.

Eine Erklärung für die anhaltende Stagnation findet Benanav in der vom marxistischen Historiker Robert Brenner vertretenen These eines »langen Abschwungs« infolge globaler industrieller Überkapazität. Aus der Perspektive einzelner Kapitale mag es vernünftig erscheinen, produktivitätssteigernde Technologien einzuführen, um der Konkurrenz im zunehmend internationalen Wettbewerb Marktanteile abzunehmen. Tatsächlich kann dies erklären, weshalb die Furcht vor der Automatisierung hierzulande eher gering ist, ist es doch gerade die relativ große Menge an Robotern, die der deutschen Industrie Wettbewerbsvorteile verschafft. Im globalen Maßstab führt diese Dynamik allerdings zu sinkenden Profitraten, einem Rückgang der privaten Investitionen und wirtschaftlicher Stagnation, was wiederum die abnehmende Nachfrage nach Arbeit erklärt. Die Geschichte dieses globalen Abschwungs wird von Benanav äußerst materialreich und mit Aufmerksamkeit für regionale Besonderheiten nachgezeichnet.

Die Eroberung der Produktion bleibt die historische Aufgabe einer emanzipatorischen Bewegung. 

Lohnabhängige weltweit leiden nicht unter der zukünftigen technologischen Arbeitslosigkeit, sondern unter der bereits existierenden Unterbeschäftigung. Angesichts der niedrigen Nachfrage nach Arbeit verschiebt sich das Machtverhältnis zwischen Arbeit und Kapital noch weiter zugunsten des Letzteren, und Arbeiter*innen sind vermehrt gezwungen, immer prekärere Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne hinzunehmen.

Was also tun? Ein Kapitel des Buches liefert eine kurze, aber treffende Kritik an keynesianischen Lösungsvorschlägen oder dem von vielen Theoretiker*innen der Automatisierung favorisierten bedingungslosen Grundeinkommen. Wichtiger als die Details dieser Kritik ist jedoch Benanavs entschiedene Ablehnung eines technologischen Determinismus, demzufolge die Entwicklung der Produktivkräfte die kapitalistische Produktionsweise notwendig in Widersprüche verwickle, die durch eine Sprengung der bestehenden Eigentumsverhältnisse gelöst werden müssten. Stattdessen betont er, dass der technologische Wandel nicht die Ursache der gegenwärtigen Misere ist; dementsprechend wäre es ein Fehler, auf technologische Lösungen zu hoffen.

Jenseits des Mangels ohne volle Automatisierung

Was Benanav den Automatisierungstheoretiker*innen aber zugutehält, ist die Bereitschaft, die Utopie auszupinseln. Er selbst skizziert gegen Ende seines Buches eine postkapitalistische Gesellschaft jenseits des Mangels, die auch ohne die volle Automatisierung der Produktion denkbar sei. Das Reich der Notwendigkeit könne nicht gänzlich abgeschafft werden. Die Aufgabe bestehe vielmehr darin, die notwendige Arbeit und deren Produkte auf demokratische und gerechte Weise zu verteilen.

Anders als linke Automatisierungstheoretiker*innen, die den Luxus einer postkapitalistischen Gesellschaft bloß in Form materiellen Überflusses denken können, fragt Benanav, ob Reichtum nicht auch als soziales Verhältnis verstanden werden kann, wenn »solidarische Beziehungsweisen« (Bini Adamczak) sicherstellen, dass die »Fähigkeit, die eigene Existenz zu sichern«, stets gewährleistet bleibt – anders als im Kapitalismus, wo die Mehrheit vom erfolgreichen Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängig bleibt, um Zugang zu den notwendigen Lebensmitteln zu erhalten.

Eine postkapitalistische Gesellschaft kann nicht anders als durch kollektive soziale Praxis geschaffen werden. Viele soziale Kämpfe der letzten Jahre litten allerdings daran, dass sie nicht von der Sphäre der Reproduktion auf die der Produktion überspringen konnten. Die »Eroberung der Produktion«, betont Benanav, bleibt jedoch die »historische Aufgabe« einer emanzipatorischen Bewegung. 

Auch wenn Benanav keine Antwort auf die Frage hat, wo diese Bewegung herkommen könnte, ist sein sehr lesenswertes Buch eine wichtige Erinnerung, dass die Eroberung der Produktion sich nicht in der Übernahme der im Kapitalismus entstandenen Produktivkräfte erschöpfen kann. Notwendig ist vielmehr die Schaffung neuer Produktionsverhältnisse in Form solidarischer Beziehungen, »worin die freie Entwicklung eines Jeden die Bedingung für die freie Entwicklung Aller ist«.

Marlon Lieber

arbeitet als Amerikanist an der Goethe-Universität Frankfurt und forscht zu Figurationen der planenden Vernunft in der nordamerikanischen Literatur.

Aaron Benanav: Automatisierung und die Zukunft der Arbeit. Suhrkamp, Berlin 2021. 195 Seiten, 16 EUR.