Wer ist der Maulwurf?
Nach Veröffentlichungen aus Ermittlungsakten im Fall Lina E. ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Soko Linx
Von Carina Book
Als der Leipziger Kreuzer im Mai dieses Jahres eine Recherche veröffentlichte, nach der der Neonazi Enrico Böhm eidesstattlich erklärt hatte, er habe Informationen von einem Staatsschutzbeamten des sächsischen Landeskriminalamts (LKA) erhalten, bestanden erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit Böhms. Böhm ist Nebenkläger im Verfahren gegen Lina E. und drei Mitangeklagte. Bekannt war zwar, dass Informationen seitens der Neonazis, namentlich seiner damaligen Lebensgefährtin Annemarie K., in Richtung des LKA geflossen waren. Doch sollte es tatsächlich auch einen Austausch in die andere Richtung gegeben haben? Ein Ermittlungsverfahren gegen einen LKA-Beamten wurde angestrengt, später aber wieder eingestellt. Ungeklärt bleibt auch die Frage, auf welchem Wege Akteninformationen über Lina E. an das Compact-Magazin und andere Blätter gelangt waren.
Langsam kommt Bewegung in die Angelegenheit: Am achten Verhandlungstag im Prozess gegen Lina E. und drei Mitangeklagte erschien der Polizist Patrick H., der als Zeuge vorgeladen war, in Begleitung eines anwaltlichen Zeugenbeistandes. Ein ungewöhnlicher Vorgang, insbesondere bei einem Polizeizeugen. Patrick H. ist ermittelnder Beamter der Soko Linx und erhielt nach dem Angriff auf Enrico Böhm eine E-Mail von der Nachbarin Böhms, die sich als Polizistin in den Dienst versetzt und Informationen gesammelt hatte. Polizist H. gibt vor Gericht an, dass er diese zwar für die Ermittlungsakte kopiert, damit aber nichts weiter unternommen habe. An Gespräche mit Enrico Böhm oder seiner damaligen Lebensgefährtin Annemarie K. will er sich nicht mehr erinnern können. Als die Verteidigung ihn fragt, wer im Landeskriminalamt Informationen an Enrico Böhm oder andere weitergegeben haben könnte, macht er vom Zeugnisverweigerungsrecht nach Paragraf 55 StPO Gebrauch.
Das ist interessant, denn in diesem Paragrafen heißt es: »Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst (…) die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.« Nun wurde bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden der Staatsanwaltschaft Chemnitz ein Verfahren wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen Beamte der Soko Linx zugewiesen hatte.
Die Causa Patrick H.
Die Causa um den zeugnisverweigernden Soko-Linx-Beamten H. förderte noch weitere interessante Details zutage, die den Fall Henry A. betreffen. Henry A. ist kein Beschuldigter im aktuellen Verfahren gegen Lina E., doch bei den zahlreichen Versuchen, in Sachsen eine kriminelle Vereinigung zu finden, war auch Henry A. irgendwann in das Raster der Behörden gefallen und akribisch überwacht sowie abgehört worden. Auch damals schon zuständig: Zeugnisverweigerer Patrick H. Nun wurde bekannt, dass Patrick H. womöglich eine persönliche Fehde mit dem Durchsuchten am Laufen hatte. Denn Henry A. ist Mitarbeiter im Bauordnungsamt und zuständiger Sachbearbeiter für einen Neubauplan in Patrick H.s Nachbarschaft, gegen den sich Patrick H. in einer Bürgerinitiative engagiert.
Im April 2021 kam es zu einer Durchstecherei an das Compact-Magazin, die selbst die CDU blass aussehen lässt: Die Polizei ließ in einer 14-stündigen Durchsuchungsaktion in Henry A.s Wohnung keinen Stein auf dem anderen. Im Anschluss gab die Freundin des Durchsuchten ihre Telefonnummer für Rückfragen an die Beamt*innen der Soko Linx.
Am nächsten Tag erhielt sie einen Anruf von einer unbekannten Nummer. Der Anrufer sagte ihr, sie solle doch mal auf die Seite des rechten Compact-Magazins schauen. Dort fand sich eine detaillierte Recherche über den Durchsuchten. Einen weiteren Tag später erhielt der Durchsuchte eine E-Mail von einem unbekannten Absender, die Ermittlungsakten aus einem vergangenen Verfahren gegen A. und Daten von seinem Handy enthielt. Ob Patrick H. die Informationen über Henry A. weitergegeben hat, ist nun der Gegenstand von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Die Kenntnis von Akten gefährdet Wahrheitsgehalt und Zuverlässigkeit von Zeug*innenaussagen.
Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden, wo das Verfahren gegen Lina E. und die drei Mitangeklagten verhandelt wird, wird unabhängig von den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft aber zu prüfen sein, inwiefern die Informationen aus durchgestochenen Akten die Aussagen von Zeug*innen beeinflusst und damit die Beweiskraft unterminiert haben könnten. Unklar ist nämlich nicht nur, wie beispielsweise das Compact-Magazin an die Unterlagen gekommen ist, sondern auch, ob und wenn ja welche Zeug*innen noch Zugriff auf die Ermittlungsakten haben. Denn die Kenntnis von Akten gefährdet den Wahrheitsgehalt und die Zuverlässigkeit von Zeug*innenaussagen, weil die Gefahr besteht, dass sich die Erinnerungen an real Erlebtes mit Informationen aus den Ermittlungsakten vermischen. Dies kann ohne Absicht geschehen oder aber auch sehr bewusst genutzt werden, um eine Zeug*innenaussage gezielt vorzubereiten.
Dies und auch die aufkommenden Zweifel an der Soko Linx dürften der Bundesanwaltschaft Kopfschmerzen bereiten, schließlich beruht ihre These, dass im Fall Lina E. die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorliege, in der Hauptsache auf den Ermittlungen der Soko Linx. »Die Glaubwürdigkeit der Vereinigungsthese hängt maßgeblich von der Glaubwürdigkeit der Soko LinX ab. Die neuen Informationen sind ein weiterer Beleg dafür, dass das Antifa Ost-Verfahren von Behördenseite mit einer klaren politischen Motivation geführt wird. Die Beamten der Soko LinX schrecken dabei anscheinend nicht davor zurück, mit extrem rechten Medien zusammenzuarbeiten«, erklärte dazu Marta Zionek, Pressesprecherin des Soli-Bündnis Antifa Ost.
Fragwürdige Beweise
Streit gibt es auch um die Verwertbarkeit von weiterem Beweismaterial: Vor dem OLG Dresden sollen auch Audiospuren aus Innenraumüberwachungen als Beweismittel herangezogen werden. Diese Innenraumüberwachungen dürfen allerdings, weil sie schwer in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen, nur dann vorgenommen werden, wenn ein sogenannte Katalogstraftat vorliegt. Im hiesigen Verfahren muss dafür der Paragraf 129 (Bildung einer kriminellen Vereinigung) herhalten.
Durch das Heranziehen des Paragrafen 129 sind Überwachungen der Telekommunikation und auch die Innenraumüberwachung von Autos oder Privatwohnungen möglich, die für die einzelnen Tatbestände wie zum Beispiel Körperverletzung jeweils nicht zulässig gewesen wären. Würde der Anklagepunkt der Bildung einer kriminellen Vereinigung wegfallen, was die Verteidigung für wahrscheinlich hält, wären die Beweismittel aus Innenraumüberwachungen voraussichtlich nicht mehr verwertbar. Hinzu kommt aber, dass die Audiospur, die am vierten Verhandlungstag abgespielt werden sollte, nicht einmal aus den Ermittlungen für das hiesige Verfahren stammt, sondern ein Zufallsfund aus einem anderen §129-Verfahren ist. Eine unklare Rechtslage, die das Gericht jedoch nicht daran hinderte, trotz der Widersprüche der Verteidigung, die Audiospur abzuspielen.
Neue Vorwürfe gegen Lina E.
Unterdessen gab die Generalstaatsanwaltschaft Dresden bekannt, dass sie gegen Lina E. nun auch wegen gefährlicher Körperverletzung im Fall eines Angriffs auf die Prokuristin einer Immobilien-Firma im Jahr 2019 ermittele. Die Prokuristin war in ihrer Wohnung in Leipzig aufgesucht und verletzt worden. Nun soll offenbar auch dieser Fall im hiesigen Verfahren verhandelt werden. Gegenüber der WELT teilte Erkan Zunbül, Verteidiger von Lina E., mit, dass »kein erkennbarer Zusammenhang zwischen unserer Mandantin und dieser Tat« bestehe. Er sehe weder einen Verdachtsgrad noch einen Anlass für strafrechtliche Ermittlungen. Gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen eine ehemalige Mitarbeiterin des Uniklinikums in Magdeburg. Laut MDR wird sie verdächtigt, in mehr als 300 Fällen Personendaten von Neonazis sowie die Personendaten der oben genannten Prokuristin abgerufen und weitergegeben zu haben. Ob und wie diese neuen Vorwürfe in das laufende Verfahren einfließen, ist noch unklar.