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Blassrosa

In dem Roman »Was rot war« erzählt Enrico Ippolito die Geschichte zweier Frauen an einer kommunistischen Parteischule in Italien

Von Nelli Tügel

Der einzige Mann, der sie interessiere, sei Enrico Berlinguer. Das beteuert die jugendliche Cruci gegenüber ihrem Vater, einem sizilianischen Arbeiter und Kommunisten, der sehr stolz darauf ist, dass seine Tochter für die Ausbildung an der Parteischule Frattocchie in Rom ausgewählt wurde. Sorgen wegen der Jungs macht er sich trotzdem. Um ihn zu beruhigen, aber auch, weil sie es wirklich denkt, sagt Cruci das mit Berlinguer, der Generalsekretär jener Partei ist, die ihr alles bedeutet: der Kommunistischen Partei Italiens, des PCI.

Berlinguer, der von 1972 bis zu seinem Tod 1984 dieses Amt innehatte und als Lichtgestalt des Eurokommunismus galt, war allerdings nicht allen ein Held, er polarisierte Italiens Linke. Das gilt besonders für die 1970er Jahre, als die Handlung des Romans »Was rot war« von Enrico Ippolito, Journalist beim Spiegel, einsetzt. Es ist die Zeit der Roten Brigaden, der in Opposition zum »historischen Kompromiss« zwischen PCI und Christdemokraten stattfindenden Radikalisierung einiger Teile der Linken, der Entführung Aldo Moros. Während Cruci in Palermo ihren Vater beruhigt, versucht in einem römischen Café ein nervöser Typ namens Mario die aus einem bürgerlichen Haushalt stammende Funktionärstochter Lucia vom PCI zu lösen – vergeblich. Kurz darauf werden sich Lucia und Cruci in Frattocchie kennen- und lieben lernen: der Beginn einer Frauenfreundschaft, die ein knappes Jahrzehnt halten soll, um schließlich an einem Verrat zu zerbrechen. Denn natürlich interessiert sich Cruci am Ende doch nicht nur für Berlinguer, sondern auch für Antonio, der ebenfalls in Frattocchie den Marxismus studiert, den sie heiratet und dem sie sich – so sieht es jedenfalls Lucia, die »allein« bleibt – zu sehr unterordnet.

Die »Frauenfrage«

»Was rot war« ist als Frauenroman angelegt, doch geht es dafür dann doch ganz schön viel um Männer. Der Versuch, den Konflikt der Partei sowie zwischen den beiden unzertrennlichen Hauptfiguren entlang der »Frauenfrage« und dem Umgang mit ihr im PCI zu entwickeln, gelingt auch darüber hinaus nicht überzeugend. Denn diese »Frauenfrage« bleibt fast ausschließlich auf die Frage, wer welche Parteiposten ergattert, reduziert – eine kommunistisch angepinselte Version liberaler Quotenpolitik.

Am Ende soll dann ironischerweise auch noch ein Typ recht behalten.

Am Ende soll dann ironischerweise auch noch ein Typ recht behalten: »Du glaubst immer noch an den ganzen Quatsch? An die Partei?«, hatte Mario Lucia zu Beginn des Romans in besagter Café-Szene an den Kopf geworfen. Und am Ende glaubt sie eben nicht mehr dran, so wie auch Cruci nicht – warum, das erfährt die Leserin aber nie so recht. Dafür geht alles viel zu schnell, wechseln die Jahre sich vor allem im Mittelteil des Buches zu rasch ab – wir bekommen immer nur einen klitzekleinen Ausschnitt präsentiert, zu wenig, um die Entwicklung der Figuren nachvollziehen zu können. Nachdem Cruci bei einem Parteikongress in den 1980er Jahren eine fulminante Rede über den Feminismus hält, die Lucia ermöglicht hat, fällt letztere einen Entschluss, der offenbar folgenschwer ist, dessen Inhalt man allerdings nur erahnen kann. Der zentrale Konflikt zwischen den beiden Frauen erscheint durch dieses Unwissen konturlos und vor allem die Figur Lucia unergründlich.

Hölzerne Parolen

Nebulös bleiben auch die Gründe für den Niedergang des PCI und seiner Nachfolgeparteien: Irgendwie sind alle unhappy mit der Entwicklung, manche finden, die Partei modernisiere sich nicht schnell genug, andere meinen, sie entferne sich zu stark von den ursprünglichen Idealen. Lucia wirft der Partei sogar beides vor – was ein wenig unlogisch ist und leider nicht weiter erklärt wird – und verbittert darüber. Doch warum eigentlich? Die Innenwelten der beiden Hauptfiguren sind allzu unzugänglich, um das begreifen zu können. Sowohl Cruci als auch Lucia kommen aus – wenn auch vom Klassenhintergrund sehr unterschiedlichen – kommunistischen Familien, deshalb werden auch sie Kommunistinnen. Abgesehen davon lässt sich nicht nachvollziehen, was sie am PCI überzeugt. Politischer Inhalt und die Darstellung der kommunistischen Idee erschöpfen sich in hölzernen Parolen. Das titelgebende Rot ist eher blassrosa.

Es lohnt sich dennoch, das Buch zu lesen. Erstens ist es leichtgängig und schön geschrieben, zweitens ist »Was rot war« endlich ein deutscher Roman, in dem es (auch) um die Gastarbeiter*innen-Community in Westdeutschland geht, der das Gastarbeiter*in-Sein allerdings nicht in den Vordergrund stellt, sondern die politische Arbeit und Ziele migrantischer Exilorganisationen in der BRD. So verlassen Cruci und Antonio nach der Zeit in Frattocchie Italien, um in Köln für die Auslandssektion des PCI und die italienische Gewerkschaft zu arbeiten. Drittens bringt der Roman mit der Geschichte der kommunistischen Schule(n) ein Thema an die deutsche Öffentlichkeit, das den wenigsten bekannt sein dürfte. Und viertens hat er starke Abschnitte, nämlich jene, in denen es um den Ich-Erzähler Rocco geht, den in Köln geborenen Sohn Crucis. So nah wie Rocco – Student in Berlin, prekärer Job, schwul, eher desinteressiert am Kommunismus und dann doch sehr interessiert an der Geschichte seiner Eltern – kommen wir den beiden Frauen, die eigentlich im Mittelpunkt des Buches stehen sollen, nie. »Was rot war« ist am Ende kein Frauenroman, sondern einer über zwei Frauen – durch die Augen eines jungen Mannes betrachtet.

Enrico Ippolito: Was rot war. Rowohlt, Berlin 2021. 283 Seiten, 20 EUR.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.