Eine taktische Auswahl
Rosa Luxemburg lehnte Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen strikt ab – zitiert wird Everybody’s Darling damit nur selten
Von Peter Lafar
Im Jahr 2019 jährte sich die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum 100. Mal. Der damalige Bundesvorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, verfasste deshalb ein Grußwort mit diesem Luxemburg Zitat: »ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution«. Riexinger ist nur ein Beispiel von vielen – Rosa Luxemburg wird von eigentlich allen Strömungen der gesellschaftlichen Linken gemocht: Das Gedenken an die Ermordung der beiden KPD-Gründer*innen zieht jährlich unterschiedliche linke Gruppen und Parteien zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin. Luxemburg hat sich damit zur Konsensfigur der historischen Arbeiter*innenbewegung gemausert.
Das Zitat, das Riexinger nutzt, stammt aus Luxemburgs Schrift »Zur russischen Revolution«, wahrscheinlich ihr meist zitierter Text. Einer ihrer berühmtesten Sätze – »Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden« – stammt aus diesem Text. Dort kritisiert sie den Umgang der Bolschewiki mit Minderheitenpositionen in der Partei nach der Oktoberrevolution.
Der Kölner Autor Felix Klopotek sieht sie, anders als Riexinger warscheinlich, als Vorläuferin des Rätekommunismus. Einer parteifeindlichen und basisdemokratischen kommunistischen Strömung, die vor allem nach dem Ersten Weltkrieg für Aufsehen sorgte und zeitweise mehrere hunderttausend Mitglieder hatte.
Dem Rätekommunismus kann Luxemburg allerdings nur bedingt zugerechnet werden, da sie bereits 1919 starb und die vielen parteifeindlichen Strömungen, die die europäische Arbeiter*innenbewegung hervorbrachte, gar nicht mehr miterlebte. Aber sie war Zeugin vom Ende des Ersten Weltkriegs und der Oktoberrevolution, und die sorgten für zahlreiche Spaltungen in der Arbeiter*innenbewegung. Erstmals nannten sich Parteien kommunistisch – bis zum Ersten Weltkrieg waren sozialdemokratische Parteien und die Arbeiter*innenbewegung fast identisch gewesen – und ihr Ziel waren Revolutionen, nicht (nur) Reformen. In Deutschland zeigten die Novemberrevolution und ihre Arbeiter- und Soldatenräte, dass die politische Macht nicht zwingend von den Parlamenten ausgehen muss.
Kapital und Arbeit haben sich nichts mehr zu sagen.
Rosa Luxemburg, Dezember 1918
Viele dieser damals dringenden Fragen waren zuvor schon in der Sozialdemokratie, teils heftig, debattiert worden – Luxemburg mittendrin. 1899 schrieb sie »Sozialreform oder Revolution?« Der Text ist eine Auseinandersetzung mit dem rechten Flügel der Sozialdemokrat*innen um Eduard Bernstein. Dem linken Flügel gehörte Luxemburg an. Ihr Vorwurf: Bernstein und andere erheben die Umsetzung von Sozialreformen durch die Regierung zum politischen Prinzip, anstatt das Erkämpfen von Sozialreformen als Mittel revolutionärer Politik zu nutzen.
Im gleichen Jahr erschien ein kurzer Text von Luxemburg, der unbekannter ist als die oben genannten. In »Eine taktische Frage« fragt sie, ob sozialistische Parteien sich an Regierungen innerhalb des bürgerlichen Staates beteiligen sollten. Anstoß des Artikels war der Eintritt des Sozialisten Alexandre Millerand als Minister in die französische Regierung, gegen den Willen seiner Partei. Der ehemalige Anwalt von Marx Schwiegersohn, Paul Lafargue, brach damit ein Tabu der Arbeiter*innenbewegung.
Den sozialistischen Parteien gesteht Luxemburg in ihrem Text zu, in der Opposition das Parlament zu nutzen, um die eigenen Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Für sie ist Parlamentarismus aber nicht gleichbedeutet mit einer Beteiligung an der Regierung. Eine solche sei nur dann gerechtfertigt für eine sozialistische Partei, wenn sie den Zweck habe, den bürgerlichen Staat sofort abzuschaffen. Sie schließt ihre Analyse mit den Worten: »In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.«
Die Autorin spricht hier noch von Sozialdemokratie, der Text entstand bevor sich nach dem Ersten Weltkrieg die ersten kommunistischen Parteien gründeten. Luxemburg selbst war – wie gesagt – an der Gründung der KPD beteiligt, sie arbeitete damit aktiv an der Spaltung der Arbeiter*innenbewegung in Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen. Dieser Bruch entzündete sich genau an diesen Fragen: der Regierungsbeteiligung, des Militarismus, der Rolle der Reformen, der Rätedemokratie.
Kurz vor ihrer Ermordung wurde Luxemburg in der Frage Revolution oder Regierung noch einmal deutlich. Während der Novemberrevolution berief der Rat der Volksbeauftragten, unter Führung der SPD, eine verfassungsgebene Nationalversammlung ein. Luxemburg schrieb wütend in der Roten Fahne, dem Zentralorgan der KPD: »Ein idyllischer Plan dies: auf parlamentarischem Wege, durch einfachen Mehrheitsbeschluß den Sozialismus zu verwirklichen!« Im Angesicht der Revolution befand sie trocken: »Kapital und Arbeit haben sich nichts mehr zu sagen.«