We are Family?
Die dritte Staffel der Serie »Pose« erscheint bald und wirft Fragen von queerer Repräsentation auf
Von Bilke Schnibbe
In den USA feierte die Serie bereits im Mai 2021 Premiere, in diesem Jahr noch soll die dritte und letzte Staffel der Serie »Pose« auf der Streaming-Plattform Netflix in Deutschland erscheinen. Sie porträtiert die New Yorker Ballroom-Culture Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre.
Auch die dritte Staffel begeistert, wie schon ihre zwei Vorgängerinnen, mit langen Szenen, in denen Mitglieder der verschiedenen Häuser gegeneinander antreten. Die Bedeutung der Ballroom-Szene und insbesondere queeren Wahlfamilien inmitten der Aids-Krise wird eindrücklich dargestellt. Das passierte in den ersten zwei Staffeln, weitgehend ohne in Elendstourismus abzurutschen oder glorifizierend zu werden.
Die Serienmacher*innen drehen thematisch den Hahn auf.
Die dritte Staffel manövriert in diesem Spannungsfeld mal mehr mal weniger gut: Die Serienmacher*innen drehen thematisch den Hahn auf – ein bisschen so, als müssten sie in der letzten Staffel noch möglichst viel Dramatisches unterbringen. Dementsprechend laufen viele intensive Erzählstränge nebeneinander, die zeitlich teilweise stark gerafft sind. In einer Folge fängt eine Protagonistin beispielsweise an, Crack zu rauchen, in der nächsten Folge findet bereits eine Intervention gegen ihre Abhängigkeit statt. Dieser hohe Grad an Dramatik macht es schwerer als bei den vorangegangenen Staffeln, sich emotional auf die Protagonist*innen und ihre Leben einzulassen – zumindest nicht ohne kontinuierlich eine gut gefüllte Taschentuchbox auf dem Schoß. Gleichzeitig will und soll eine Serie wie »Pose« die Ballroom-Kultur und Geschichte insbesondere Schwarzer und brauner Transfrauen und Queers in New York sichtbar machen und feiern. Ausgefallene Kostüme, ein wie gewohnt guter Soundtrack und Aufnahmen des begeisterten Publikums reißen eine*n mit in die Welt des Ballrooms. Die gesamte Staffel ist so eine sehr schnelle, emotionale Achterbahnfahrt, die auf eine grundlegende Frage bei der Darstellung queerer Themen verweist: wie die Armut, die trans- und homophobe Gewalt und Morde, rassistische Polizeigewalt, Obdachlosigkeit, das Sterbenlassen in der Aids-Krise, darstellen, ohne stereotyp oder zu verharmlosend zu werden? Wie die Solidarität, Community und queere Kultur darstellen, ohne stereotyp und romantisierend zu werden?
Wie immer, wenn »Minderheitenthemen« im Kulturbetrieb an Sichtbarkeit gewinnen, werden auch Stimmen laut, die einen teuren Ausverkauf vorhersagen, der auf Kosten der Radikalität politischen queeren Aktivismus gehen wird. Wie immer, wenn »Minderheitenthemen« im Kulturbetrieb sichtbar werden, beeinflusst das aber auch die Möglichkeiten, Akzeptanz und Einkommenssituation marginalisierter Kulturarbeitender positiv. Einerseits. Andererseits profitieren Filmstudios, Tanzschulen und Stars überproportional, die kein Teil dieser Minderheit sind. In der ersten Staffel von »Pose« diskutieren die Protagonist*innen an mehreren Stellen genau diese Frage: Madonnas Musikvideo zum Song »Vogue« ist erschienen und das Interesse an Ballroom und Voguing, einem im Ballroom entstandenen Tanzstil, ist groß. Hauptfigur Blanca (Mj Rodriguez) ist optimistisch, dass sich nun das Leben für ihre Community verbessern wird. Andere Charaktere prognostizieren ein kurzes Spektakel, welches strukturelle Diskriminierung von und Gewalt gegen Schwarze und braune Queers nicht nachhaltig beeinflussen würde. So kam es dann im Großen und Ganzen auch: »Vogue« wurde einer von Madonnas größten Hits, Schwarze Transfrauen fallen noch immer in horrenden Zahlen Mord zum Opfer.
Trotz all dieser Widersprüche stellt »Pose« auch in der dritten Staffel ein Zeugnis queerer Schwarzer und brauner Geschichte dar – verkörpert und inszeniert zu einem großen Teil von Schwarzen und braunen Transfrauen und Queers. Die Serie macht greifbar, wie überlebenswichtig Community für viele Queers war und ist. Gleichzeitig zeigt sie, warum gerade weiße Queers aus der Mittelschicht aufgefordert sind, (finanzielle) Ressourcen zu teilen und sich nicht hinter individualistischem Aktivismus zu verstecken. Allein dafür lohnt es sich, sich in die Achterbahn zu setzen.