Wir haben Geschichte
Lesben und Schwule waren lange im Kommunistischen Bund aktiv – was können wir aus ihren Kämpfen lernen? Teil 1
Von Tarek Shukrallah
Aktuelle Debatten um »Identitäts- gegen Klassenpolitik« machen die Vielschichtigkeit linker Politik unsichtbar. Ein historisch-kritischer Blickwinkel kann dazu beitragen, scheinbare Gegensätze zu dekonstruieren und Ansatzpunkte für eine gegenwärtige politische Praxis von unten zu liefern. Mit dieser Reihe möchte ich einen Beitrag dazu leisten. Die Texte beleuchten Aspekte schwul-lesbischer und queerer linker Bewegungsgeschichte – und Gegenwart – in Deutschland. In diesem Artikel richte ich meinen Blick nach innen: auf die Geschichte vom Arbeiterkampf (AK), der außerhalb von explizit queeren Medien in den 1970er bis 1980er Jahren die wohl auflagenstärkste Zeitschrift mit nicht-heterosexuellen Inhalten war.
Der Beginn einer lesbisch-schwulen (1) Emanzipationsbewegung in Westdeutschland vor genau 50 Jahren ist historisch-zeitgenössisch geprägt von den Auseinandersetzungen der »Neuen Linken«: der Student*innenbewegung der 1968er, der Frauenbewegung und der »sexuellen Revolution«. Diese »Neue Linke« indes wusste ihrerseits vielfach nichts mit lesbisch-schwulen Lebenswirklichkeiten anzufangen. In Publikationen wie »Zur materialistischen Analyse der Schwulenunterdrückung« (1977) beschreiben die sich selbst als schwule Marxist*innen bezeichnenden Herausgeber*innen eine repressive Toleranz innerhalb der kommunistischen Bewegung. Sexuelle Differenz werde überwiegend als Folge bourgeoiser Herrschaft aufgefasst und in der befreiten Gesellschaft überwunden sein, so die Auffassung vieler Genoss*innen. Am Beispiel der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML), der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) und des Kommunistischen Bundes (KB) argumentiert die Gruppe »Schwule Texte II«, dass lesbisch-schwule Emanzipation gemeinhin kein Ziel dieser Gruppierungen gewesen sei, wenngleich sich einige zumindest gegen Diskriminierung auf gesellschaftlicher wie auch juristischer Ebene aussprächen. Einzig der Kommunistische Bund formulierte eine solidarischere Position. Von Georg Fülberth als »linkes Trüffelschwein« bezeichnet, war der Kommunistische Bund eine der wichtigsten Vereinigungen der Neuen Linken und wie die Lesben- und Schwulenbewegungen ein Kind der Student*innenbewegung. Als Massenzeitung konzipiert und erstmals 1971 veröffentlicht, erreichte sein Zentralorgan, der Arbeiterkampf, 1976 allein in Hamburg, dem Zentrum des KB, über 10.000 Verkäufe pro Auflage. 1992 wurde dann aus dem Arbeiterkampf »analyse & kritik« (ak).
Lesben und Schwule im Kommunistischen Bund
Im KB entstand in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine zunehmend sichtbare und lautstarke lesbisch-schwule Selbstorganisation, die sich zunächst in der AG Sexualität organisierte, aus der 1978 die AG Schwule und die AG Lesben hervorgingen. Ab 1980 enthält der AK in fast jeder Ausgabe eine mehrseitige eigenständige Rubrik »Schwule und Lesben«, die radikale politische Fragen innerhalb lesbischer und schwuler Lebenswelten diskutiert. Wenngleich der Blick auf die Ausgaben insbesondere aus dem Jahr 1980 ein kampflustiges Bild der aktiven Lesben und Schwulen im Kommunistischen Bund zeichnet, erhielten die beiden Arbeitsgruppen lediglich den Status von Gruppen im KB. Sie wurden nie offiziell als Kommission der Organisation anerkannt und konnten daher keinen formalen Vertretungsanspruch zu ihren Themen innerhalb des KB formulieren. Ihre Gründung selbst scheint wie eine kleine Rebellion gegen die führenden Kader der Organisation. So kritisierte das Leitungsgremium (LG) in AK 141, dass sich die AG Schwule, ohne auf ihre Zustimmung zu warten, gegründet habe. In einer späteren gemeinsamen Erklärung von LG und AG Schwule heißt es dennoch schließlich: »Der KB ist die bisher einzige linke Organisation in der BRD, die überhaupt den Versuch gemacht hat, sich kontinuierlich zu Fragen der Schwulen-Unterdrückung und des Schwulen-Kampfes zu äußern. Trotzdem war das bisher Geleistete bei weitem nicht ausreichend: Das Hauptproblem schwuler Arbeit im KB lag bisher darin – ähnlich wie auch bei unserer Frauenpolitik – dass schwule politische Arbeit weiterhin nicht als eine wichtige Arbeit anerkannt wurde, sondern nur als zweitrangig (›Nebenwiderspruch‹) eingestuft wurde. Entsprechend wurde vielfältiger Druck auf schwule Genossen ausgeübt, ›nicht nur‹ schwule Arbeit zu machen, sondern ›Wichtigeres‹ zu tun.« Am Schluss der Erklärung steht der Aufruf an alle Einheiten des KB, die AG Schwule und ihre Mitglieder zu unterstützen.
In den frühen 1980er Jahren ist der AK ein linksradikaler Seismograf lesbisch-schwuler Lebenswelten.
Frühe Texte zu Themen sexueller Minderheiten im AK werden vor allem im Kontext frauenpolitischen Engagements publiziert. Immer wieder interveniert etwa »eine lesbische Genossin der BO Barmbek KB/Gruppe Hamburg« in Debatten und betont eine explizit emanzipatorische lesbische Perspektive. Im Artikel »Bild wärmt die ›lesbischen Mörderinnen‹ wieder auf« (AK 94) kritisiert sie einen Bild-Artikel über Judy Andersen und Marion Ihns als sensationslustig und lesbenfeindlich. Der wütende Text schließt mit Aufrufen: »Keine Schikanen und Isolationshaft gegen lesbische Gefangene! Gegen Lügenkampagnen der bürgerlichen Lumpenpresse!« In einem anderen Artikel (AK 96) berichtet sie von einem Vorfall aus Münster, im Zuge dessen der lesbischen Gruppe »Homosexuelle Frauen Münster« von der Stadt keine Genehmigung für einen Informationsstand erteilt worden sei. Auch dieser Text schließt fordernd: »Gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit! Schluss mit der Diskriminierung der Homosexualität!«
AK als Plattform einer linken Emanzipationsbewegung
1976 und 1979 gibt die AG Schwule im KB zwei Sonderhefte zu lesbisch-schwulen Themen heraus: »Kampf der Schwulenunterdrückung« (1976) und »Schwule Rechte jetzt!« Zum Jahresende 1980 werden die Rubriken »Lesben« und »Schwule« sowie die Rubrik »Sexualität« immer häufiger differenziert. In AK 191 werden Einstellungen von Frauen zu Lesben und Bisexuellen nach einer umfangreichen Fragebogenaktion ausgewertet, von lesbischen Coming-Out-Gruppengründungen berichtet und linksradikale lesbische Coming-Out-Geschichten »zwischen APO und Frauenbewegung« (AK 193) erzählt, gegen §218 mobilisiert sowie für das lesbische Magazin »Lesbenstich« geworben. In der Rubrik »Schwule« wird immer wieder von institutioneller Homophobie berichtet, gegen den Strafrechtsparagraphen §175 mobilisiert und von den ersten CSDs berichtet. Vor allem das Jahr 1980 steht im Zeichen lesbisch-schwuler Artikel im AK. Dabei werden Themen der Schwulenbewegung dominanter: scharfe Debatten zum Umgang mit Pädophilie, zur entstehenden Grünen Partei und damit zur strategischen Ausrichtung einer linken Schwulenpolitik. Artikel zu institutioneller Homosexuellenfeindlichkeit bei Veranstaltungsreihen wie der »Schwulen Woche« in Aachen im Dezember 1979; Texte zur Thematisierung von Homosexualität durch Schülerzeitungen und Versuche von Schulleitungen, ihre Verbreitung zu stoppen; Berichte über Homosexuellenfeindlichkeit in den USA und zu lesbischer Elternschaft durch Adoption nicht-heterosexueller Jugendlicher flankieren heftige Auseinandersetzungen zu einer geplanten Podiumsdiskussion in der Bonner Beethovenhalle, die, unter anderen, von der Westberliner »Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft« (AHA) und lesbisch-schwulen Sozialdemokrat*innen organisiert wurde. Die Auseinandersetzungen um diese Veranstaltung knüpfen an den »Tuntenstreit« an, eine ab 1973 geführte Diskussion um die Dialektik von Reform und Revolution in der Schwulenbewegung. Darauf bezugnehmend formuliert etwa in AK 137 ein »schwuler Genosse des KB« eine klassenkämpferische schwule Emanzipationsperspektive, die die Spezifika der Schwulenunterdrückung als Ausdruck der allgemeinen Sexualunterdrückung im bürgerlichen Kapitalismus hervorhebt: »Wir sind der Meinung, dass Schwule hier und heute eine Minderheit sind. Allerdings haben nicht wir den Schwulen diesen Minderheitenstatus zugeschrieben, wie’s die IHB versucht uns unterzujubeln, sondern die Agenturen der zwangsheterosexuellen Klassengesellschaft sind für diese Unverschämtheit verantwortlich zu machen, d.h. Staat, Kirche, reaktionäre Presse, Wissenschaftler usw.« Es ist ein Widerspruch zu einem Schreiben der »Initiativgruppe Homosexualität Bielefeld« (IHB), die Schwulen in der radikalen Linken vorwirft, sexuelle Emanzipation zum »Nebenwiderspruch« zu machen.
In den frühen 1980er Jahren ist der AK ein linksradikaler Seismograf lesbisch-schwuler Lebenswelten wie außerhalb community-interner Publikationen keine andere Zeitung in Westdeutschland. Durch ihre Taktung und Auflagenstärke, 1974-1981 erscheint der AK zunächst dreiwöchentlich, später gar vierzehntägig, ist sie empfindlich für kontroverse Debatten und schafft Raum für sie. In der aufkommenden AIDS-Krise formuliert der AK von Beginn an einen antistigmatisierenden Blick und kritisiert auch die Institutionen der Schwulenbewegung von links. Heute sind es eher bürgerliche Blätter wie der Berliner Tagesspiegel oder gar die Bild-Zeitung, die mit einer hohen Auflagenstärke und in einer eigenen Rubrik queere Themen setzen. Ein vergleichbares Projekt, wie es im AK unternommen wurde, fehlt in der gegenwärtigen Linken.
Anmerkung:
1) Diese Erzählweise ist problematisch, weil sie lesbische Kämpfe unter Schwulenbewegung subsumiert, auch dann, wenn ausdrücklich nur von schwulen Männern die Rede ist. Lesbische Bewegung und Geschichte wird marginalisiert und eher im Zusammenhang mit der Frauenbewegung in Westdeutschland diskutiert.
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