Der größte Vermietungskonzern Europas
Wie die Vonovia ihr Geld verdient und warum sie um jeden Preis die Deutsche Wohnen schlucken will
Von Knut Unger
Es kann nicht sein, was nicht sein darf: Nachdem der erste Anlauf zur Übernahme des Wohnungskonzerns Deutsche Wohnen durch die Vonovia vor wenigen Wochen gescheitert war, verkündeten beide Unternehmen Anfang August direkt den nächsten Versuch. In den hartnäckigen Fusionsbemühungen zeigt sich einmal mehr, wie sehr der Drang nach immer größeren Bewirtschaftungsplattformen die Geschäftsmodelle der führenden börsennotierten Wohnungsunternehmen bestimmt. Der Treiber hierfür ist die Erwartung der Anleger*innen auf stetig wachsende Rendite. Diese Erwartung gibt den Takt für die ständig fortschreitende Industrialisierung der Mietenabschöpfung vor und prägt die gesamte Geschäftstätigkeit der Vonovia und anderer börsennotierter Wohnungskonzerne.
Die Vonovia ist mit ca. 415.000 Wohnungen der größte deutsche Vermietungskonzern, Deutsche Wohnen mit 155.000 Wohnungen der zweitgrößte. Beide versprechen ihren Anleger*innen nicht nur den langfristigen Wertzuwachs ihrer Aktien, sondern auch eine stetig wachsende Dividende. Dies garantiert die Vonovia durch die Kopplung der Dividenden an einen Betrag von 70 Prozent des operativen Ergebnisses (Funds from Operations, FFO).
Das Geschäftsmodell von Vonovia und Co.
Die Basis dieser Mietrendite, die Abschöpfung der Einkommen der Mieter*innen, kann im Massenwohnungsbestand nicht grenzenlos intensiviert werden. Deshalb muss die Rendite durch mehr Effizienz in der Wohnungsbewirtschaftung, kostengünstigere Beschaffung und Finanzierung sowie durch die Erweiterung der Geschäftsfelder gesteigert werden.
Ein Großvermieter wie die Vonovia kann Personalkosten und Beschaffungspreise drücken oder bislang extern eingekaufte Leistungen im eigenen Konzern erbringen und dort stark rationalisieren. Je größer das Unternehmen, desto größer die Skaleneffekte. Diese Preisvorteile gibt die Vonovia nicht an die Mieter*innen weiter. Deshalb kann sie bei Modernisierungsmieterhöhungen und Nebenkosten hohe Renditen erzielen. Zudem hat sie in vielen Stadtteilen großen Einfluss auf die Gestaltung der Marktmieten.
Die Vonovia schüttete 2021 etwa 37 Prozent ihrer Mieteinnahmen aus dem Vorjahr als Dividenden an ihre Aktionär*innen aus.
Ein mäßiges, stetiges Wachstum durch weitere Industrialisierung der Mietabschöpfung reicht für die Konkurrenzfähigkeit auf den globalen Kapitalmärkten aber nicht aus. Alle paar Jahre muss es einen neuen großen Expansionsschub geben, auch wenn er riskant ist. Da die Zeiten der Wohnungsprivatisierung in Deutschland einstweilen vorbei sind und es auch in den Nachbarländern Schweden, Frankreich und den Niederlanden nicht zu einer schnellen »Öffnung« der Sozialwohnungsbestände für Privatinvestor*innen kommt, ist die Übernahme der Konkurrent*innen innerhalb des finanzialisierten Wohnungssegments momentan die einzige quantitativ relevante Option der Vonovia.
Die Vonovia ist nicht nur das mit Abstand größte Wohnungsunternehmen Deutschlands. Sie hat auch in allen genannten Disziplinen bereits seit vielen Jahren eine Vorreiter*innenrolle inne. Die Vonovia verfügt heute über ein übergreifendes digitalisiertes Steuerungs- und Kontrollnetzwerk, in dem sogenannte Hauswarte für die Datenerfassung sorgen. Die Wohnungsreparaturen besorgt eine riesige Haushandwerker*innen-Organisation. Die Vonovia betreibt ihre eigene Gartenbaufirma, eine eigene Kabelgesellschaft und eigene Energieversorger*innen. Weil hier oft Subunternehmen eine Rolle spielen und manche der angeblichen »Dienstleister*innen« vor allem als Rechnungsaussteller*innen für Mietumlagen dienen, hat die Vonovia gegenüber kleineren Vermieter*innen enorme Kosten- und Einnahmevorteile. Nach diversen Übernahmen gilt die Vonovia inzwischen auch als größter Wohnungsbauentwicklerin Deutschlands.
Liaison mit der Politik
Beim nächsten Schritt, der Einverleibung der Deutsche Wohnen, geht es nun nicht nur um die noch umfangreichere und effizientere Industrialisierung. Es geht auch darum, den Staat und seine Fördermittel systematisch in die eigene Strategie einzubeziehen.
Exemplarisch hierfür war die Begleitung der Fusionsanbahnung durch den regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD). Am 25. Mai präsentierten Rolf Buch (Vonovia) und Micheal Zahn (Deutsche Wohnen) im Roten Rathaus in Berlin, begleitet von zustimmenden Worten Müllers und des Finanzsenators Matthias Kollatz (ebenfalls SPD), einen »Zukunfts- und Sozialpakt Wohnen« für Berlin. Demnach sollen die »regulären Mietsteigerungen« im Berliner Vonovia/DW-Wohnungsbestand bis 2026 insgesamt auf ein Prozent jährlich und bei Modernisierungen auf zwei Euro pro Quadratmeter begrenzt werden. Dem Land Berlin werden zudem 20.000 Wohnungen zum Kauf angeboten, angeblich um dem Senat zu helfen, mehr Wohnungen unter Landeskontrolle zu bringen. Und schließlich will die vergrößerte Vonovia in Berlin 13.000 neue Wohnungen errichten, davon ein Drittel öffentlich gefördert. Müller bezeichnete diese Zusagen als Beginn einer neuen Ära, in der die »Konfrontation« der Enteignungsbefürworter*innen durch sachbezogene Kooperation ersetzt werde.
Wenn man den Verabredungen von Immobilienmanager*innen und SPD-Bürgermeister einem Faktencheck unterzieht, stellt man schnell fest: Bei den angeblichen Zusagen handelt es sich weitgehend um Augenwischereien. Denn die Konzerne können durch Neuvermietungen ohne Modernisierungen im laufenden Mietverhältnis ohnehin nicht mehr als ein Prozent Mietsteigerungen durchsetzen. Entscheidend sind vielmehr die Mieterhöhungen nach Modernisierungen – hier gehen die Zusicherungen nicht über den Status quo hinaus – und die Neuvertragsmieten, zu denen es keinerlei Zusagen gibt. Bei den für den Rückverkauf vorgesehenen Wohnungen handelt es sich zumeist um erneuerungsbedürftige Bestände oder solche mit rebellischen Mieter*innen wie die Häuser am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Der Verkauf dient also nicht zuletzt der Risikoreduktion der Vonovia. Diese benötigt die Verkaufseinnahmen zudem, um die Übernahme der Deutsche Wohnen zu finanzieren. Der »Sozialpakt« ist also vor allem dazu da, den neuen Wachstumsschub der Wohnungsfinanzindustrie abzusichern.
Berlin: Risikogebiet für Investor*innen
Dass es trotz der sehr ähnlichen Geschäftsmodelle und Anleger*innenstrukturen von Vonovia und Deutsche Wohnen nicht schon früher zu dieser Fusion gekommen ist, liegt nicht zuletzt an den politischen Rahmenbedingungen in Berlin. Die vielen Mieter*innenproteste, der Versuch eines Mietendeckels und der Volksentscheid zur Vergesellschaftung der Wohnungsunternehmen haben den Standort Berlin für Wohnungsinvestor*innen in ein Risikogebiet verwandelt. Etwa 115.000 der 155.000 Wohnungen der Deutsche Wohnen befinden sich in Berlin. Angesichts der politischen Risiken ist eine solche Konzentration aus Sicht des Anlagekapitals nicht opportun. Die durchschnittlichen Mieten der Deutsche Wohnen sanken aufgrund des Mietendeckels im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um 4,1 Prozent. Dagegen legte der Konkurrent Vonovia trotz Corona bei den Mieten bundesweit um 3,1 Prozent zu. Der Rückgang der Mieteinnahmen in Berlin um 2,1 Prozent hat sich hier dank wesentlich breiterer Streuung des Immobilienbesitzes nur begrenzt ausgewirkt.
Nach dem Scheitern des Mietendeckels vor dem Bundesverfassungsgericht und vor der Abstimmung zur Vergesellschaftung öffnete sich für Vonovia und Deutsche Wohnen ein Zeitfenster, um das Klumpenrisiko Berlin aufzulösen, einen Teil der Regierung für die eigenen Interessen einzuspannen, sich gegen die Vergesellschaftung abzusichern und die eigene Marktmacht auszubauen.
Schon vor der Übernahme der Deutsche Wohnen gab es noch nie ein börsennotiertes Wohnungsunternehmen, bei dem so viel Kapital gebündelt war wie bei der Vonovia. Sie besitzt um die 30 Prozent der etwa 1,2 Millionen Wohnungen, die in Deutschland für die Zirkulation von Finanzkapital in Form von Mietwohnungen direkt zur Verfügung stehen. Nach Übernahmen in Österreich und Schweden, nach der Schaffung von Brückenköpfen in Frankreich und den Niederlanden führte der Konzern nun Gespräche mit der irischen Regierung über den Einstieg in den dort geplanten sozialen Wohnungsbau. Noch aussichtsreicher für das Renditewachstum ist der Einstieg in die öffentlich geförderte CO2-reduzierende Bewirtschaftung ganzer Wohngebiete, samt regenerativer Energien und Mobilität. Der Konzern verklärt sich bereits selbst zur »Innovationsplattform« einer sozialen und klimagerechten Wohnungswirtschaft.
In Wirklichkeit sind Vonovia & Co. vor allem in einem innovativ: in der Abschöpfung von Mieten aus den Einkommen ihrer Mieter*innnen. Die Vonovia schüttete 2021 etwa 37 Prozent ihrer Mieteinnahmen des Jahres 2020 als Dividenden an ihre Aktionär*innen aus. Für die eigentliche Wohnungsbewirtschaftung benötigte sie nur 27 Prozent der Mieteinnahmen. Außerdem beteiligen sich die Mieter*innen mit ihren Mietzahlungen unfreiwillig an den mietsteigernden Investitionen in die »Modernisierung« der Wohnungsbestände. Und sie zahlen zwangsweise die Kosten für die Expansion ihres Vermieters in ganz Europa.
Ohne die Abschöpfung dieser enormen Rendite durch die Konzerne und ihre Aktionär*innen könnten die Mieten wesentlich günstiger sein. Es müsste keine starken Modernisierungserhöhungen geben. Der Neubau zahlreicher bezahlbarer Wohnungen könnte relativ problemlos finanziert werden. Die Beschäftigten könnten besser bezahlt werden – und das für wesentlich befriedigendere Aufgaben.
Allein die hohen Überschüsse zeigen, wie wahnsinnig es ist zuzulassen, dass Mietwohnungen an der Börse gehandelt werden, wie notwendig es ist, die Wohnungskonzerne zu regulieren, und wie vernünftig es wäre, ihre Wohnungsbestände zu vergesellschaften.