Sozial- und Zukunftspakt fürs Kapital
Der Berliner Wohnungsdeal und die Perspektiven für die stadtpolitische Bewegung
Von Ralf Hoffrogge
Auch unter manchen Aktivist*innen wird der von der Berliner SPD ausgehandelte »Sozial- und Zukunftspakt« im Zuge der Ende Mai angekündigten Übernahme des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen durch den Konkurrenten Vonovia als Teilerfolg gesehen. Tatsächlich läuft der Deal darauf hinaus, Stadtpolitik den Interessen der Wohnkonzerne unterzuordnen.
Die juristisch nicht notwendige, aber von DW und Vonovia politisch erwünschte Zustimmung des Landes Berlin zur Fusion wurde in Geheimverhandlungen zwischen beiden Unternehmen angebahnt, an denen der Berliner Senator für Finanzen Matthias Kollatz und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (beide SPD) beteiligt waren. Nicht eingebunden waren Parlament, Öffentlichkeit und der übrige Senat – womit insbesondere die Linke und der zuständige Senator Sebastian Scheel ausgebootet wurden.
Obwohl der Vonovia-Deal keine demokratische Legitimation hat, liegt der Gewinn für die Konzerne in der Anerkennung durch die Politik: Die zum öffentlichen Ärgernis gewordene Marke Deutsche Wohnen verschwindet, die neue Vonovia verwandelt sich in eine Partnerin der öffentlichen Hand. Ihre Zusage, die Mieten in den nächsten fünf Jahren nur moderat zu erhöhen, ersetze gar den gekippten Mietendeckel, suggerieren Kollatz und Müller. Doch haben die Versprechungen wenig Substanz: Der Ökonom Claus Michelsen wies in Die Zeit darauf hin, dass Bestandsmieten im Durchschnitt jährlich ohnehin nur um ein bis zwei Prozent stiegen. Die Unternehmen könnten ihren »Zukunfts- und Sozialpakt« einhalten »ohne ihr Geschäftsergebnis zu gefährden«. Auch greife die Beschränkung nur bei Bestandsmieten – über den Preistreiber Neuvermietung sei bisher nichts bekannt. Zu guter Letzt sei der Pakt eine reine Selbstverpflichtung der Unternehmen – er sei nicht einklagbar. Mietenpolitik wird so privatisiert und ins Gutdünken eines Unternehmens gestellt, Müller und Kollatz gestehen Vonovia mit ihrem Deal staatliche Ordnungsmacht zu.
Das System Vonovia
Mit zukünftig etwa 140.000 Wohnungen würde die neue Vonovia etwa neun Prozent des Wohnungsmarktes in Berlin kontrollieren. Die Firma hätte eine nie dagewesene Marktmacht. Wie Vonovia diese nutzt, haben 26 Mietervereine aus ganz Deutschland bereits im Februar in einem offenen Brief skizziert. Sie berichten von sehr hohen Betriebskosten bei unklaren Abrechnungen. Denn Reinigung, Wartung, Gartenpflege etc. werden bei Vonovia von Tochterfirmen geleistet, die ihre Profite an den Mutterkonzern überweisen. Überhöhte Preise würden den Konzern also reicher machen. Nachprüfen könnte man das Ganze mit transparenten Abrechnungen – doch die fehlen. Dieses »System Vonovia« macht auch die Betriebskosten zu einer Profitquelle. Vonovia dementiert, das im Konzern ein System aufgeblähter Betriebskosten existiert. Knut Unger, Sprecher des Mieter*innnenverein Witten erläutert dagegen: »Wir haben festgestellt, dass die Vonovia in etlichen Fällen Leistungen, deren Kosten sie auf die Mieten umlegt, in Wirklichkeit nicht erbracht hat.«
Als Kernstück ihres Deals preisen Müller und Kollatz den Verkauf von 20.000 Wohnungen aus den Beständen von DW und Vonovia an die landeseigenen Wohnungsunternehmen Berlins. Eine Rekommunalisierung in so großem Stil ist in der Tat neu und überträfe das Klein-Klein des bisherigen Vorkaufsrechts. Doch der Verkauf erfolgt zu den Bedingungen der Konzerne. Verkauft werden überwiegend Bestände des sozialen Wohnungsbaus, die der Senat vor kaum 15 Jahren zu Niedrigpreisen verschleudert hat. In die überwiegend in den 1970er Jahren errichteten Großsiedlungen wurde wenig bis gar nichts investiert, jetzt soll Berlin sie für ein Vielfaches der einstigen Verkaufssumme zurücknehmen. Die Kosten des Instandhaltungsstaus sind kaum absehbar: neue Heizungsanlage, Fahrstühle, aufwendige Betonsanierungen wären fällig. Versteckte Kostenrisiken in der DW-Bilanz würden sozialisiert. Auf die öffentlichen Wohnungsunternehmen käme eine schwierige Entscheidung zu: Entweder sie beheben den Sanierungsstau auf eigene Kosten und fallen damit als Finanzier für den dringend benötigten Neubau aus – oder sie setzen die Vernachlässigung der Bestände fort.
Einfluss der Giganten
Die größte Unbekannte ist indes der Verkaufspreis. Kollatz und Müller reden von einen »Ertragswert« – ohne konkret zu werden. Gleichzeitig sollen keine Steuergelder fließen: Die landeseigenen Wohnungsgesellschaften sollen den Kaufpreis aus den zukünftigen Mieten erwirtschaften. Ungewollt bestätigen die Senatoren damit das Finanzierungsmodell der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen: Auch diese sieht im Falle der Vergesellschaftung eine Entschädigung aus zukünftigen Mieten vor.
Es gibt jedoch zwei zentrale Unterschiede: Das Volksbegehren geht davon aus, dass deutlich unter Marktwert vergesellschaftet wird. Um das durchzusetzen, will sie DW und Vonovia per Gesetz zur Abtretung ihres Eigentums zwingen. Müller und Kollatz wollen diese »Konfrontation« nicht. Da jedoch ohne Zwang ein Preis unter Marktwert nicht zu haben ist, wird das Land zum Verkehrswert kaufen müssen. Bereits jetzt warnen Expert*innen vor einer Überschuldung der landeseigenen Wohnungsgesellschaften infolge des Deals. Ein düsteres Szenario: der öffentliche Wohnungsbau gelähmt, der Neubau in Händen eines Dax-Konzerns, der Hochpreisiges nach Marktlage errichtet. Für die Armen bleiben landeseigene Großsiedlungen mit Investitionsstau. Aus deren Verkauf zahlt DW / Vonovia dann die Abfindung der Altaktionär*innen von Deutsche Wohnen. Dank Müller und Kollatz finanzieren die Mieter*innen Berlins die Fusion zweier Dax-Konzerne.
Beide SPD-Politiker betonen, die Aufstockung des Bestands landeseigener Wohnungen sichere Einfluss auf den Mietspiegel. Doch gibt der Deal dieselbe Marktmacht Vonovia in die Hand. 2,3 Prozent des deutschen Wohnungsmarktes und neun Prozent der Berliner Bestände sind zwar kein Monopol, aber in der gegebenen Wohnungsnot genug, um lokale Mietspiegel zu beeinflussen. Vonovia wird diese Marktmacht skrupellos nutzen, sobald die selbst auferlegten fünf Jahre Schonfrist vorbei sind. Und auf die Profite aus den Betriebskosten im »System Vonovia« haben die Mietspiegel ohnehin keinen Einfluss.
Der politische Einfluss des Giganten wird dagegen enorm sein. Die finanziell ausgehungerten Berliner Bezirke überlegten sich schon in der Vergangenheit dreimal, der Deutsche Wohnen vor Gericht entgegenzutreten – erst Druck von der Straße hat in der Kreuzberger Otto-Suhr-Siedlung den Bezirk bewogen, Baugenehmigungen für energetische Modernisierung an Bedingungen zu knüpfen. Doch eine fusionierte Vonovia wäre nicht mehr durch das »Klumpenrisiko« erpressbar, unter dem die Deutsche Wohnen heute leidet. Denn mit dem Großteil ihrer Bestände in Berlin ist jede Regulierung durch den Senat ein Profitrisiko. DIW-Ökonom Michelsen hält daher fest: »Die Stadtplanung und -entwicklung dürfte durch ein solch großes Unternehmen spürbar mitgestaltet werden«. Der Müller-Kollatz-Deal zielt genau darauf – beide beschwören Partnerschaft statt Konflikt. In ihrem Politikmodell geben Unternehmen den Rahmen vor, die Landesregierung führt aus, korrigiert vielleicht minimal – und erwartet von der Bevölkerung noch Dankbarkeit dafür.
Knickt die Hauptstadt nach dem gefallenen Mietendeckel vor den Wohnungsriesen ein, würde dies auch die bundesweite stadtpolitische Bewegung schwächen.
Sollte der rot-rot-grüne Senat diesem Deal zustimmen, würde er seinen stadtpolitischen Gestaltungsanspruch aufgeben. Jede nachfolgende Regierung könnte sich auf die Kultur der »Kooperation« berufen. Weg von der Agenda wäre das eigentlich Notwendige: die Auflösung der Immobilienkonzerne. Denn Aktiengesellschaften sind der Mechanismus, mit dem seit der Finanzkrise überschüssiges Kapital in den Wohnungsmarkt geleitet wird und dort die Preisspirale antreibt. Anleger*innen müssen nicht mehr mühsam Wohnungen kaufen, sondern können mit einem Klick Aktien erwerben. Diese erlauben ihnen bequem und anonym, Löhne und Renten der Mieter*innen in leistungslose Rendite für ihr Dividendenkonto zu verwandeln. Der Deal von Müller und Kollatz stärkt und legitimiert diesen Profitmechanismus, auch wenn einige Tausend Wohnungen zurück in öffentliche Hand kommen. Dieses Zugeständnis ist ein kleiner Preis für das eigentliche Ziel des Deals: den weltweit größten Immobilienkonzern aus der Taufe heben. Politiker*innen aller Bundesländer und ebenso im Ausland werden sich an diesem Monstrum die Zähne ausbeißen.
Keinesfalls alternativlos
Das Szenario einer sozialdemokratisch begleiteten Fusion von Vonovia und Deutsche Wohnen ist also düster, doch keinesfalls alternativlos. Der heimliche Alleingang der SPD zeigt auch, wie wenig Überzeugungskraft die Idee einer Partnerschaft mit der Immobilienwirtschaft in der politischen Landschaft heute hat. Gleichzeitig haben die Menschen zumindest in Berlin eine Wahl: Der voraussichtlich im September stattfindende Volksentscheid zur Vergesellschaftung der Konzerne nach Artikel 15 des Grundgesetzes. Statt 20.000 kämen damit 200.000 Wohnungen in öffentlichen Besitz. Statt Verkehrswert würde Entschädigung unter Marktwert gezahlt. Statt einer Hydra aus Deutsche Wohnen und Vonovia die Zukunft unserer Städte zu überlassen, könnten die Menschen über Wohnraum als Gemeingut selbst verfügen. Es gibt also keinen Grund, sich hier verunsichern zu lassen. Doch besteht aufseiten der stadtpolitischen Bewegung zumindest die Gefahr, den Deal durch Einordnung als »Teilerfolg« unnötig aufzuwerten. Denn ein Erfolg wäre die Rekommunalisierung nur unter zwei Bedingungen: wenn erstens die Wohnungen wirklich unter Marktwert verkauft würden – was wiederum vom politischen Druck abhängt. Und wenn zweitens der Vonovia die gewünschte Gegenleistung einer langfristigen Partnerschaft verweigert würde. Rechtlich stehen die Chancen für letzteres gut. Die Berliner SPD kann, wenn sie ihre Koalitionspartner dreist genug unter Druck setzt, vielleicht vor September den Wohnungskauf rechtssicher einleiten. Es ist jedoch kaum denkbar, dass sie zukünftige Landesregierungen in irgendeine formalisierte Partnerschaft mit der Vonovia zwingen könnte – mehr als Absichtserklärungen sind kaum machbar. Doch selbst diese wären schädlich. Denn schon die Marktmacht der fusionierten Vonovia würde bedeuten, dass sie in vielen Fällen Kooperation erzwingen könnte. Eine zusätzliche »Partnerschaft«, und sei sie auch nur symbolisch, würde diese Macht stärken und jene Kräfte schwächen, die in Parlamenten, Bezirken und Verwaltungen den Wohnungsunternehmen etwas entgegensetzen wollen. Dies gilt über Berlin hinaus: Knickt die Hauptstadt nach dem gefallenen Mietendeckel vor den Wohnungsriesen ein, würde dies auch die bundesweite stadtpolitische Bewegung schwächen. Sie sollte daher dem rot-rot-grünen Senat klarmachen, dass sie eine solche »Partnerschaft« als Kampfansage gegen ihr eigenes Programm ansähe. Dieses Programm kann sich sehen lassen, denn Wohnraum als Gemeingut bedeutet nicht nur billige Mieten, sondern Selbstverwaltung – und nur diese bietet langfristige Sicherheit, dass über das eigene Heim und die Zukunft der Stadt nicht am Ende die Börsenkurse entscheiden.